Syrischer Aktivist:Revolte mit der Kamera

Syrischer Aktivist: Aus humanitären Gründen darf Aras Alyosef in Deutschland bleiben. Doch ihm geht es auch um Anerkennung. "Ich will, dass man mir meine Rechte als Aktivist zugesteht", sagt er.

Aus humanitären Gründen darf Aras Alyosef in Deutschland bleiben. Doch ihm geht es auch um Anerkennung. "Ich will, dass man mir meine Rechte als Aktivist zugesteht", sagt er.

Proteste, Schüsse, Tote: Aras Alyosef zeigte die Grausamkeiten des Syrien-Kriegs auf einem Youtube-Kanal, bis er nach Deutschland flüchtete. Aus humanitären Gründen hat er eine Duldung bekommen - doch sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Von Mareike Enghusen

In ein paar Minuten soll die Vorstellung beginnen, aber Aras Alyosef ist weit weg. Der junge Syrer sitzt in der Garderobe des Neuen Theaters in München, den Laptop auf den Knien, und starrt auf ein Youtube-Video. Männer sind darin zu sehen, die durch eine Straße traben, vorbei an sand-gelben Kastenbauten. Manche schreien, manche tragen Stöcke. Es knallt. Plötzlich drehen sich zwei Männer um, sie rennen gegen den Strom, und man versteht nicht, warum, bis Alyosef erklärt: "Jemand ist erschossen worden. Sie holen die Leiche."

Aras Alyosef ist 23 Jahre alt, ein kleiner, noch jungenhaft wirkender Mann mit dunklen Augen und ernstem Gesicht. Er stammt aus Qamischli, einer Stadt in Syriens kurdischem Norden. Bis im Frühling 2011 die Revolte ausbrach, studierte er englische Literatur. Schon früher habe er gegen die Assad-Regierung demonstriert, sagt Alyosef, aber damals ging es ihm bloß um mehr Rechte für die kurdische Minderheit. Nun ging es um Freiheit für alle Syrer. Manche Rebellen griffen zu Gewehren, Alyosef griff zur Kamera. Das Video auf seinem Laptop habe er selbst gedreht, sagt er, wie so viele weitere.

Er öffnet einen Youtube-Kanal, der seinen eigenen Namen trägt: 129 Film-Clips sind darin gespeichert, sie zeigen Proteste, Schüsse, Tote im Staub. Mehr als 130.000 Syrer, schätzen Menschenrechtsorganisationen, sind bisher in den Kämpfen umgekommen. Manche von ihnen hat Alyosef dabei gefilmt. Menschen rund um den Globus können ihnen nun im Internet beim Sterben zuschauen. Die Welt solle sehen, was in Syrien passiert, sagt Alyosef. Einige seiner Videos seien sogar in den arabischen Fernsehsendern Al-Dschasira und Al-Arabija gelaufen. "Danach war es mir egal, ob ich verhaftet werde", sagt er. "Ich hatte das Gefühl, ich hatte etwas Großartiges getan."

Vor knapp einem Jahr floh Aras Alyosef vor der Gewalt nach Deutschland. Nun lebt er in Mammendorf bei München, in einer alten Pension, die als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber dient. Im September lehnten die Behörden seinen Asylantrag ab, sie glaubten den Berichten seines politischen Engagements nicht. "Absolut nicht nachvollziehbar", findet Alyosefs Anwältin. Sie hat Klage beim Verwaltungsgericht München eingereicht.

Wie auch immer die Entscheidung ausgeht, abgeschoben wird Alyosef nicht: Aus humanitären Gründen hat er eine Duldung bekommen, auf unbestimmte Zeit darf er in Deutschland bleiben. Er ist in Sicherheit. Doch ihm geht es auch um Anerkennung. "Ich will, dass man mir meine Rechte als Aktivist zugesteht", sagt er. In Syrien drehte er nicht nur Videos, er gründete auch zusammen mit Gleichgesinnten ein Magazin, Welat, heißt es, Heimatland. Die Artikel darin sind auf Kurdisch verfasst - dabei hat Syriens Regierung Medien in kurdischer Sprache verboten. Die Revolte aber hat die alten Regeln weggespült.

"Ich habe keine Rechte"

Noch von Deutschland aus, sagt Alyosef, schreibe er Artikel, organisiere materielle Unterstützung, koordiniere per Internet Druck und Verteilung. Er hält Kontakt zu mehreren Menschenrechtsorganisationen, "Reporter ohne Grenzen" etwa. Manche dieser Organisationen liefern Geld und Kameras an sein Team in Syrien, andere geben Seminare für ihn und seine Mitstreiter: Wie man Videoclips bearbeitet, wie man E-Mails verschlüsselt.

Im Mai, sagt er, habe ihn eine Organisation in die Türkei eingeladen, zu einem Kurs über Internet-Sicherheit. Zu dem Zeitpunkt hielt er sich bereits in Deutschland auf. Er konnte nicht nach Italien fahren, weil er wegen seines Status keinen Anspruch auf einen deutschen Reiseausweis für Flüchtlinge hat. Er, der sich gegen eine Diktatur erhoben hat, mag nicht begreifen, dass er sich nun bürokratischen Regeln beugen muss. "Ich habe keine Rechte", ruft er und rudert mit den Armen, wütend und hilflos. "Die Behörden bestimmen über mein Leben."

Aras Alyosef klappt den Laptop zu, er muss gehen. An diesem Abend läuft im Neuen Theater ein Stück über den Krieg, "Voices from Syria", heißt es, Stimmen aus Syrien, und Alyosef hat einen kurzen Auftritt darin. Das kleine Theater ist mäßig besucht, vielleicht 50 von 80 Plätzen sind besetzt. Verschnürte schwarze Plastiktüten hängen von der Decke über der Bühne. In solchen Säcken, erzählen manche syrische Flüchtlinge, würden in ihrem Land die Folteropfer am Straßenrand entsorgt. Drei Schauspieler treten auf die Bühne.

Einer von ihnen mimt den syrischen Präsidenten Baschar Assad, dann wechseln die Rollen, die drei tragen Leidensberichte von Syrern vor, feste Rollen gibt es nicht. Das Stück ist fast vorbei, da schwenkt der Scheinwerfer plötzlich ins Publikum und verharrt auf Alyosef, der in einer der hinteren Reihen sitzt. Er steht auf. "Ich bin Syrer", sagt er auf Englisch. "Ein Teil von mir ist hier, ein Teil von mir ist in Syrien." Mit fester Stimme sagt er seinen Text auf, spricht über seinen Kampf in Syrien und sein neues Leben in Deutschland. Er sagt: "Jeden Tag denke ich an meine toten Freunde."

Nach der Vorstellung steht Alyosef neben den anderen Darstellern im Foyer. Er sagt, er möge das Stück, weil es die syrischen Rebellen so zeige, wie er selbst sie sieht: keine Islamisten, "sondern Opfer vom Regime und von al-Qaida". Später bricht er mit den anderen auf zu einer Wasserpfeifen-Bar, "zum Aufmuntern", sagt einer von ihnen. Doch die Wasserpfeife wirkt nicht. Am nächsten Tag fühlt Alyosef sich schlecht. Das Theater hat Erinnerungen hochgespült. "Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen", sagt er. Er geht nicht zu seinem Deutschkurs in München. "Mein Kopf ist so voll." Seine Familie hat sich nach Dubai gerettet, aber einige enge Freunde leben noch in Syrien.

Aras Alyosef sagt, er würde gern mehr tun, für sie und für sein Land. Er will Unterstützer werben und einen kurdischen Radiosender gründen, der aus der Türkei sendet. Doch derzeit darf er nicht einmal Bayern verlassen, ohne einen Antrag zu stellen. "Warum geben sie mir meine Rechte nicht?", fragt er immer wieder und meint die Behörden hier in Deutschland. "Niemand interessiert sich dafür, wer ich bin."

Fragt man, ob ihm München gefalle, schaut er etwas ratlos. Er hat keine Antwort, nicht einmal eine höfliche, nichtssagende. Er lächelt gezwungen, zuckt mit den Schultern, schließlich sagt Aras Alyosef, er sei noch gar nicht richtig angekommen. "Jedes Mal, wenn ich mich schlafen lege, sehe ich Demonstrationen." Selbst die Uhr auf seinem Laptop geht eine Stunde vor, sie ist noch nach syrischer Zeit eingestellt.

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