Symposium:Bayern und die große Welt

Bei den Berchtesgadener Gesprächen erörtern Politiker, Wissenschaftler und Künstler regionale und globale Themen der Zeit

Von Hans Kratzer, Berchtesgaden

Ganz zu Recht wird König Maximilian II. von Bayern (1811-1864) in den Geschichtsbüchern als ein großer Förderer der Kultur und der Wissenschaft dargestellt. "Seine Wissenschaftspolitik und sein großes Interesse an allen möglichen Forschungsgebieten waren zu seiner Zeit einzigartig", bestätigt sein Nachfahre Franz Herzog von Bayern, der Chef des Hauses Wittelsbach, der vor 15 Jahren eine Gepflogenheit aufgegriffen hat, die Maximilian II. eingeführt hatte. Wie sein Vorfahr veranstaltet Franz Herzog von Bayern im Schloss in Berchtesgaden alljährlich ein Symposium mit hochrangigen Gesprächspartnern.

Der König hatte regelmäßig Wissenschaftler, Schriftsteller, Philosophen und Künstler eingeladen, um mit ihnen zu erörtern, was ihm für das Land wichtig erschien. Im Oktober 1854 kam zum Beispiel der berühmte Historiker Leopold von Ranke nach Berchtesgaden und trug dort an 13 Abenden, in freier Rede, seine später auch gedruckten "Betrachtungen über die neueren Epochen der Weltgeschichte" vor.

An jene Sternstunden erinnerte sich Albert Scharf, der frühere Intendant des Bayerischen Rundfunks, als er sich einmal bei einer Feierlichkeit in Berchtesgaden mit seinem Tischnachbarn Franz Herzog von Bayern unterhielt. "Warum machen denn Sie im Schloss keine solchen Veranstaltungen?", fragte er ihn unverblümt. Franz Herzog von Bayern willigte nach kurzem Nachdenken ein. "Ja", sagte er, "ich nehme das auf, aber Sie müssen es organisieren." So entstand die Idee zu den heutigen Berchtesgadener Gesprächen, zu denen Franz Herzog von Bayern seit 2004 alljährlich eine interne Runde von zwölf bis 16 Koryphäen einlädt. In den vergangenen Jahren wurde beispielsweise erörtert, welche Rolle Bayern in einem größeren Europa und in der globalen Welt spielt. Überdies ging es um Anstand und Ethik in Wirtschaft und Gesellschaft, um die Zukunft der deutschen Sprache, um die Bedeutung der Geisteswissenschaften sowie um Föderalismus und Zentralismus. 2014 ging es um die Frage, wie Kriege entstehen - was angesichts der Gewalt im Nahen Osten, auf der Krim und in der Ukraine bedrohlich nahelag.

Zu den bisherigen Gästen zählte unter anderem der britische Staatstheoretiker Peter George Pulzer, dessen 1966 erschienenes Buch "Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867-1914" als Standardwerk der Antisemitismusforschung gilt. Scharf hatte Zweifel, ob er ihn nach Berchtesgaden locken könne. "Wir wollen zeigen, dass die Gegend auch eine andere Kultur verkörpert als den Obersalzberg", teilte er ihm mit. "Genau deswegen komme ich", antwortete der gebürtige Wiener Pulzer, dessen Familie 1939 nach Großbritannien emigrierte.

Beim Symposium an diesem Freitag und am Samstag geht es um die Frage, ob Europa noch zu retten ist angesichts der vielen Kräfte, die daran arbeiten, ein handlungsfähiges Europa zu verhindern. 16 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen werden erwartet, darunter Karl Schwarzenberg, der frühere Außenminister Tschechiens, der frühere EU-Kommissar Franz Fischler, die Zeithistorikerin Hélène Miard-Delacroix (Sorbonne, Paris) und Ex-Finanzminister Theo Waigel. Damit die Ergebnisse der Gespräche nicht verwehen, will Albert Scharf die Summe aller bisherigen Berchtesgadener Gespräche in einem Buch festhalten. Zum Symposium im nächsten Jahr soll es erscheinen, "wenn ich gesund bleibe", sagt Scharf.

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