Styling für Nutztiere:Aufbrezeln im Kuhstall

  • Nicole Nägele ist von Beruf Kuh-Fitterin: Mit Rasierer, Puder und Föhn sorgt sie dafür, dass die Tiere sich bei Präsentationen von ihrer besten Seite zeigen.
  • Eine schöne Kuh macht den Bauern stolz - und lohnt sich auch finanziell.

Von Sarah Kanning, Seeg

Um die Queen zu stylen, braucht Nicole Nägele Haarspray, Föhn, Puder - und eine dicke Rasiermaschine mit mehreren Ersatzakkus. Denn um sie für die Ansprüche der Schönheitsindustrie herzurichten, müssen ziemlich viele Haare fallen: Löckchen am Kopf, die Büsche an den Ohren, der Flaum an Bauch und Euter, dann wird mit Spray und Lack fixiert.

Die Queen ist schließlich nicht irgendein Model. Sie ist die Kuh Nummer 993 aus dem Stall der Familie Nägele in Seeg im Ostallgäu und soll bald an ihrer ersten Tierschau teilnehmen. Die Tochter des Hofs bringt sie in Form, damit sich Rippen, Muskulatur und Milchader bestmöglich abzeichnen, wenn Queen den Preisrichtern vorgeführt wird. Seit vier Jahren arbeitet Nicole Nägele als sogenannte Kuh-Fitterin - als eine von ganz wenigen Frauen in der Männerdomäne der Braunviehzucht.

Die Kuh könnte während des Stylings ausschlagen

"Der Kopf ist das schwierigste, daher fange ich an den Beinen an", sagt Nicole Nägele, kniet sich vor Queen ins Stroh der Abkalbebox, und setzt den Rasierer kurz über den Hufen an. Unruhig tritt Queen von einem Bein aufs andere. Bis Ende Oktober stand sie auf der Weide, vor drei Wochen hat sie ein Kalb geboren. Nicole Nägele legt ihr die Hand auf die Flanke - das beruhigt die Kuh und schützt die Kuh-Stylistin, falls Queen ausschlagen sollte.

"Ich merke da sofort, wenn sie sich erschreckt oder bewegt, aber eine Garantie hat man nie - meine Schwester hat es mal erwischt", sagt sie. Die 21-Jährige trägt einen lila Sternenpulli zur Weste der Jungzüchter und Arbeitshose. Queens Fell ist dicht, lang und braun, am Morgen hat Nicoles Mutter Brigitte sie mit viel Wasser und Bürsten sauber geschrubbt. Jetzt kommt der Pelz ab.

Mehr Haare bedeuten mehr Spaß für die Fitterin

Leises Brummen, der Rasierer arbeitet sich durch die Fellschicht, die anderen Kühe aus dem Laufstall kommen neugierig angelaufen. Beim Kuh-Fitten geht es nicht darum, dem Tier eine Frisur zu verpassen, sondern darum, die Körperlinien durch gekonnte Schur und bewusstes Styling zu betonen, sodass das Tier bei Auktion, Schau oder Fototermin ein optimales Bild abgibt.

"Je mehr Haare die Kuh hat, desto mehr Spaß macht es", sagt Nicole Nägele. Dünn sehen die Beine jetzt aus, das kurze Fell am Bauch glänzt hell. Am Rücken lässt Nägele eine Handbreit Haare stehen - daraus wird sie die Topline frisieren, den Scheitel der Kuh. Der Irokese zaubert einen geraden Rücken - aber bei Queen sitzt ohnehin alles straff. Sie ist erst zweieinhalb Jahre alt.

Zwei Stunden Rasieren

Nach zwei Stunden erreicht Nicole Nägeles Rasierer den Kuhkopf. Queen ist jetzt völlig entspannt, kneift die Augen zusammen und genießt die Kopfmassage. Brigitte Nägele bringt Tee und Kekse in den Stall, Vater Willy macht sich bereit fürs Abendmelken. "Früher war das vor den Schauen immer eine riesige Herumtelefoniererei: Wer kommt zum Stylen? Hat der Zeit für unsere Kühe?", erzählt er. "So weißt jetzt, die Nicole macht das."

60 Euro kostet es normalerweise, allein die Topline der Kuh richten zu lassen. Kühe in Form zu bringen ist anstrengend und zeitintensiv. Nicole Nägele nimmt sich vor großen Schauen eine Woche frei von ihrem Job im Elektrogeschäft. Sie träumt davon, noch einmal in der Schweiz einen Kuh-Fitter-Kurs bei Profis zu besuchen, denn vom kommendem Jahr an will sie Kühe anderer Höfe stylen. In der Szene gilt sie als eine der besten und hat schon mehrere Preise gewonnen.

Eine viertel Dose Haarspray muss sein

Nicole Nägele nimmt sich jetzt die Topline vor: Sie pudert den Haarstreifen am Rücken und föhnt ihn in Form. Dann rasiert sie ihn schmaler. Wieder pudern, wieder föhnen, kürzen. Die Linie muss aufrecht stehen und absolut gerade sein, so als wollte der Preisrichter mit der Wasserwaage nachprüfen. Feinschliff mit dem kleinen Rasierer. Perfekt. Dann mit kräftig Muh-Fitter-Spray fixieren: "Würden wir uns das in die Haaren sprühen, würden wir sie nie wieder gekämmt bekommen", sagt sie. Kuhhaare sind drahtig und störrisch. Eine viertel Dose Spezialspray muss schon sein.

Willy Nägele hat die Kühe lange Zeit selbst geschoren und Kuh-Fitter dann für das Stylen bezahlt. Die Schauen sind wichtig für seinen Hof: Am Körperbau der Kühe lesen die Zuschauer ab, wie gut das Erbgut des Vaters ist. Züchter ließen dann ihre Kühe von diesem Stier besamen. 75 Milchkühe und 100 Jungtiere leben auf dem Ferienhof Nägele - gewinnen einige davon bei Schauen, verkaufen sich die anderen besser. "Es macht den Bauern stolz, wenn seine Kuh gewinnt", sagt Willy Nägele. In der Milchleistung seien seine Kühe schon sehr gut, andere seien etwas besser in der Optik von breitem Becken, geraden Beinen, Rücken und Oberlinie.

Das soll nun die Nicole herausarbeiten. Die ist inzwischen beim Finetuning angekommen: Desinfizierendes Puderspray kaschiert schorfige Stellen an den Sprunggelenken, Spray bringt die Klauen zum Glänzen. Noch etwas bürsten und Kuh Nummer 993 ist perfekt: Schädel, Ohren und Körper sind gut präsentiert, am blank rasierten Euter zeichnet sich die kräftige Milchader ab. Auch das Klauenspray entfaltet jetzt seine volle Wirkung: Die Kuh trägt optisch Lackschühchen. Ganz wie die echte Queen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: