Studie zum Gasthofsterben:Leb wohl, Wirtshaus

Altes Eckgebäude im Münchner Westend, 2011

Viele Lokale, wie hier im Münchner Westend, die einst Treffpunkt für alle Bevölkerungsschichten waren, werden geschlossen. Oft für immer.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Jede siebte bayerische Gemeinde hat kein Dorfwirtshaus mehr: Eine aktuelle Studie beweist den Niedergang eines Kulturguts. Das einstige Stammtischland Bayern schneidet sogar im Vergleich zu Hessen deutlich schlechter ab. Jetzt soll die Politik helfen.

Von Astrid Becker

Zum Beispiel der Laurentius Wirt in Feldkirchen bei Rosenheim: 300 Jahre war dieser Gasthof in Nachbarschaft zur Kirche Heimstatt für alle. Die 3200 Einwohner des Dorfes trafen sich dort zum Frühschoppen, spielten Karten, sprachen über ihre Sorgen und lästerten über die Großkopferten. Es wurde getrunken, gegessen, gelacht und geweint. Doch seit einem Jahr sind diese Zeiten vorbei. Das Wirtshaus hat zugesperrt - wie so viele andere in Bayern.

Nun ist das Wirtshaussterben auch wissenschaftlich untersucht worden. Eine umfassende Studie zeigt den Niedergang eines bayerischen Kulturguts auf: Früher gehörte der Wirt zum Dorf wie Maibaum und Kirche. Doch inzwischen hat bereits jede siebte Gemeinde kein Dorfwirtshaus mehr, Tendenz steigend. Damit schneidet das einstige Stammtischland Bayern im Vergleich zu Baden-Württemberg oder Hessen deutlich schlechter ab.

Vor allem die sogenannten Schankwirtschaften - also Bierkneipen - sind in Bayern vom Aussterben bedroht. Seit Mai vergangenen Jahres hatte das AMW Institut unter der Leitung von Karlheinz Zwerenz von der Fakultät Tourismus an der Fachhochschule München die Hintergründe des Wirtshaussterbens analysiert und daraus Perspektiven für die Gastronomie in Bayern erarbeitet. Auftraggeber der Untersuchung war Franz Bergmüller, der Landesvorsitzende des Vereins zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK). Die Studie selbst wurde nun am Donnerstag in München vorgestellt - und sie zeigt aus Sicht der Stammtischfreunde teilweise deprimierende Ergebnisse auf.

Besonders traurig sieht die Lage vor allem in kleineren Orten mit bis zu 5000 Einwohnern aus: Dort muss jede fünfte Gemeinde ohne Wirtshaus auskommen. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg sind es nur zwölf Prozent, in Hessen sogar nur acht.

Deutliche Unterschiede bestehen demnach zwischen Stadt und Land, zwischen den einzelnen Regionen Bayerns sowie zwischen den einzelnen gastronomischen Betriebsformen. Grundsätzlich scheint das Catering zu boomen. Speiselokale und Schankwirtschaften bleiben hingegen weit unter ihren Umsatzergebnissen aus den Jahren vor der Krise 2009.

Die Zahl der Gaststätten in Bayern hat sich hingegen zwischen den Jahren 2006 und 2010, für die entsprechende Statistiken vorliegen, unterschiedlich entwickelt. So nahm die Zahl der Speiselokale in den Städten um drei Prozent zu. In Landkreisen mit viel Tourismus war es nur mehr ein Plus von zwei Prozent, in Landkreisen mit wenig Tourismus nur ein Prozent mehr. Schankwirtschaften wiesen bayernweit überall massive Rückgänge auf, wenngleich das Minus in den Städten mit nur 2,4 Prozent geringer ausfiel als auf dem Land.

Statistisch wie ein Meteoritenschlag

Dort sind rund zwölf Prozent weniger Getränkelokale zu finden. Am schlimmsten von den Rückgängen in Sachen Bars und Kneipen betroffen sind Oberpfalz, Ober- und Unterfranken, was sich auch deutlich im Gesamtergebnis in diesem Bereich für Bayern negativ auswirkt: Jede dritte Gemeinde verfügt über keine Kneipe mehr, also 752 Gemeinden von insgesamt 2056.

Die Ursachen für diese Entwicklung scheinen vielfältig. In Bars und Kneipen blieb bereits das erste gesetzliche Rauchverbot von 2008 nicht ohne Folgen: "Das Jahr 2008 wirkte statistisch wie ein Meteoritenschlag", sagt Zwerenz. Der Umsatz der Schankwirtschaften reduzierte sich um ein Drittel, Selbstbedienungsläden hingegen legten deutlich zu. Doch rein darauf lässt sich die schlechte Lage der bayerischen Gastronomie der Studie zufolge nicht reduzieren.

"Rückzug ins Private"

Das Verbraucherverhalten hat sich demnach immer widersprüchlicher entwickelt: Einerseits sind Qualitätsbewusstsein und die Forderung nach Regionalität gestiegen - andererseits aber auch die Nachfrage nach Fast Food und Fertiggerichten. So wurden hierzulande nur drei Prozent des monatlichen Budgets in der Gastronomie ausgegeben, in Österreich ist der Anteil mit 6,5 Prozent mehr als doppelt so hoch.

Auch sehen sich die Wirte in ihrer unternehmerischen Freiheit beschränkt: In ihren Antworten bei den Onlinebefragungen klagten sie über zu viele Verbote und Verordnungen, eine zu geringe Wertschätzung, ungleiche Wettbewerbsbedingungen und zu wenig Unterstützung von Gemeinden und Regierung. Auch der "Rückzug ins Private" wird beklagt: Denn wer im Internet surft, der kann halt nicht gleichzeitig Schafkopf spielen.

Auf Basis all dieser Ergebnisse fordert der Verein nun unter anderem die Politik auf, alle Betriebe, die Speisen anbieten, mit einer reduzierten Mehrwertsteuer zu bedenken, bürokratische Hürden abzubauen, gleiche Rahmenbedingungen für Dortwirtshäuser und Vereinsheime zu schaffen und ein regionales Förderprogramm für Wirtshäuser im ländlichen Raum aufzulegen. Die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Wirte und Personal müssten verbessert, die Regionalität durch Einkaufsgemeinschaften und Kooperationen mit der Landwirtschaft gestärkt werden. Und: Die Qualität von Speisen und Service muss stimmen.

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