Süddeutsche Zeitung

Stromversorgung in Bayern:Wo es bei der Energiewende hakt

In der CSU schwelt der Streit um die Energiewende. Denn eigentlich wollte die Staatsregierung die Stromerzeugung in Bayern komplett umstellen. Doch die ehrgeizigen Pläne kommen kaum voran - die Probleme im Überblick.

Von Anna Günther und Franziska Rauch

Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima 2011 ging alles ganz schnell: Bayerns Staatsregierung rückte von der Kernenergie ab und ließ ein Konzept zur Förderung umweltfreundlicher Energie ausarbeiten. Das Ziel bis 2021: Die Hälfte des Stroms soll aus erneuerbaren Quellen fließen - 17 Prozent aus Wasserkraft, 16 Prozent aus Fotovoltaik, jeweils zehn Prozent aus Biogasanlagen und Windkraft. Das klingt ehrgeizig, ist es aber nicht: Nach Schätzungen des bayerischen Wirtschaftsministeriums wurde bereits vor zwei Jahren 36,3 Prozent des Stroms in Bayern aus erneuerbaren Energien gewonnen. An vielen Stellen hakt die Energiewende. Ein Überblick:

Stromnetz

In den vergangenen Jahren sind überall im Freistaat Fotovoltaik-, Solarstrom- und Biogasanlagen sowie Windräder gebaut worden, die Elektrizität in die Netze einspeisen. Der Nachteil: Die Netze sind überlastet. 99 Prozent aller Ökostromanlagen speisen in das Verteilnetz ein. Das ist laut Ludwig Hartmann, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, aber nicht für die Einspeisung, sondern für die Abnahme von Strom konzipiert worden und heute schon an der Belastungsgrenze.

Über die tatsächliche Belastung der Netze liegen nur wenig Informationen vor, eine von der Staatsregierung in Auftrag gegebene Studie hat bisher noch keine weiteren Erkenntnisse gebracht. Laut einem Grundsatzpapier von Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zur bayerischen Energiepolitik dürfte die Ertüchtigung des Netzes allein für die vielen neuen Ökostromanlagen 2,63 Milliarden Euro kosten.

Wind

1000 bis 1500 neue Windkraftanlagen sollten gemäß dem Energiekonzept der Staatsregierung ursprünglich gebaut werden. Das Landesplanungsgesetz wurde verändert, ein Windenergie-Erlass und eine Gebietskulisse Windkraft auf den Weg gebracht. Konkret umgesetzt wurde bisher allerdings wenig. Der Windatlas ist noch nicht fertiggestellt, teilweise haben Kommunen auf eigene Faust Gutachten erstellen lassen und Vorzugsgebiete ausgewiesen, um privaten Investoren zuvor zu kommen. Wegen der hohen Kosten für den Ausbau des Verteilnetzes lässt Wirtschaftsministerin Aigner derzeit prüfen, wie viel gespart werden könnte, wenn weniger Windkraftanlagen gebaut würden.

"Die 1500 Windräder, die als Ziel in unserem Programm Energie innovativ stehen, sind zu hoch gegriffen", sagte Ministerpräsident Horst Seehofer kürzlich. Wie viele seiner Meinung nach sinnvoll sind, wollte er nicht sagen, erst solle Aigner die Grundlagen berechnen. Die Wirtschaftsministerin sieht den wirtschaftlichen Betrieb von Windkraftanlagen in Bayern nur noch in Ausnahmefällen als gegeben an.

Ein Schritt, den Hartmann nicht nachvollziehen kann: "Wenn die Windkraft in Bayern nicht heimisch wird, dann wird die Energiewende nicht gelingen." In diesem Bereich habe Bayern das größte Nachholpotenzial. Verzögerungen bei den angekündigten Studien und die Forderung der Staatsregierung nach größeren Abständen zwischen den Anlagen verunsichern Investoren und Kommunen.

Bei zwei Kilometern Abstand vom Windrad zur nächsten Wohnbebauung komme man im dicht besiedelten Bayern schnell an Grenzen, sagt Hartmann: "Grundremmingen hat 800 Meter Abstand zu den nächsten Häusern und das ist ein Atomkraftwerk." Statt die Zahl der Windkraftanlagen jetzt zu reduzieren, solle im Regionalen Planungsverband eine Stelle geschaffen werden, um gezielt mit Kommunen und Bürgern nach geeigneten Flächen zu suchen.

Wasser

Die Wasserkraft ist eine der tragenden Säulen des bayerischen Energiekonzeptes, 2012 waren 4220 Wasserkraftanlagen in Betrieb, die mit 12.500 Gigawattstunden pro Jahr bereits 15 Prozent des Stromverbrauchs liefern. Es fehlen zwar nur zwei Prozentpunkte zum gesteckten Ziel, doch das Ausbaupotenzial bei Wasserkraft ist nur noch relativ gering. In 93 Prozent der bayerischen Flüsse sind bereits Anlagen zur Stromgewinnung eingebaut. Auch die schon für 2012 von der Regierung versprochene Liste mit potenziellen Standorten lässt weiter auf sich warten.

Fotovoltaik

Im Freistaat glänzt es blauschwarz auf Dächern und Wiesen, die Sonne steht günstig für Fotovoltaik- und Solarthermie-Anlagen. Bis 2021 sollen 16 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Bayern aus Sonnenenergie gewonnen werden. Das entspricht einer installierten Gesamtleistung von etwa 14.000 Megawatt. 2013 waren es bereits mehr als 10.000 Megawatt, die meist durch die kleinen Anlagen von Privatleuten produziert werden. 2009 waren es noch 3900 Megawatt, also drei Prozent des bayerischen Energiebedarfs. Solarstrom zu produzieren ist trotz der steten Senkung der Einspeisevergütung offenbar noch immer rentabel, auch ohne Zutun der Staatsregierung.

Biomasse

Biomasse soll bis zum Jahr 2021 neun Prozent des Gesamtenergieverbrauchs und knapp zehn Prozent des Stromverbrauchs Bayerns decken. In Zahlen wären das etwa 50 Milliarden Kilowattstunden Primärenergie und rund acht Milliarden Kilowattstunden Strom aus Biomasse pro Jahr. Dazu sollen unter anderem bereits vorhandene Quellen, wie die ohnehin anfallende Gülle, noch umfassender für die Biogaserzeugung genutzt werden.

Für Grünen-Fraktionschef Hartmann kommt Biogas bei der Energiewende eine Schlüsselrolle zu - ohne, dass zwangsläufig neue Anlagengebaut werden müssten: Wenn die bestehenden Biogasanlagen ihre Motoren aufrüsten und Gasspeicher ausbauen würden, könnten Biogasanlagen bei Spitzenlast Strom zuliefern oder dann die Versorgung übernehmen, wenn Wind und Sonne gerade keine Energie liefern. "Biomasse kann man speichern, für die Landwirte müssten nur Anreize geschaffen werden", sagt Hartmann. Allerdings: Viele Bauern gewinnen das Gas aus Mais, Monokulturen überziehen das Land.

Speicher

Energie zu produzieren ist das Eine, doch gerade beim Thema Energiespeicher werfen die Landtags-Grünen der Staatsregierung Stillstand vor. Damit der Strom aus den erneuerbaren Energien nicht verschenkt wird, müssen spätestens nach 2020 Speicher vorhanden sein, um beispielsweise an Regentagen die zuvor produzierte Energie abzugeben. Was fehlt: Das von der Staatsregierung versprochenes Speicher-Kataster. Es sollte schon vor einem Jahr vorliegen. Damit umstrittene Großprojekte wie etwa am Jochberg oder in Riedl bei Passau bis 2030 fertig sind, müssen die Planungen jetzt beginnen.

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SZ vom 08.01.2014/infu
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