Streit um Kündigung:Albs Albtraum

Mieterstreit Pfaffing

Jürgen Alb hat Angst, in seine Wohnung zu gehen - er kommt nur noch, um Blumen zu gießen.

(Foto: Korbinian Eisenberger)

Er schläft im Freien, im Auto oder bei Freunden: Bildhauer Jürgen Alb traut sich nicht mehr in seine Wohnung. Vor dem Amtsgericht Rosenheim kämpft er nun gegen die Vermieterin, die ihn mit allen Mitteln loswerden will.

Von Korbinian Eisenberger, Pfaffing

Jürgen Alb hat einen Zeugen mitgebracht. Nur deshalb traut er sich an diesem Dienstag Mitte Juli bei Tageslicht auf das Grundstück, das sein Zuhause ist. Kurz nachdem er die Einfahrt betritt, ertönt Gebell. Alb zuckt zusammen. Hinter einer Glasfassade sind die Konturen zweier Hunde zu erkennen. Unter ihrem Kläffen rennt Alb auf das schützende Hoftor zu.

Alleine wagt sich Jürgen Alb nur noch nachts in seine Wohnung. Wenn der 56-jährige Bildhauer von dem Grundstück in Pfaffing im Landkreis Rosenheim erzählt, beginnt er zu zittern. Er spricht von Drohungen, Beleidigungen und Angriffen, weswegen er nur noch alle paar Wochen zum Blumengießen in seine Wohnung komme. Nach Sonnenuntergang, wenn er sich unbemerkt vorbeischleichen kann an den Hunden und an der Hauseigentümerin, die für Albs Erdgeschosswohnung jeden Monat 420 Euro Miete überwiesen bekommt.

Ersatz-Wohnung im Dachgeschoss

Noch vor Kurzem, sagt Alb, sei das alles ganz anders gewesen. Mit dem früheren Eigentümer des Anwesens habe er ein freundschaftliches Verhältnis gehabt, Reparaturarbeiten für ihn erledigt. Als der Mann schließlich im Sommer 2012 hoch verschuldet starb, wurde ein Insolvenzverwalter eingesetzt. Der vermittelte das Anwesen im Frühjahr 2013 an die neue Käuferin, Annemarie J. Bereits nach kurzer Zeit entsteht ein Kündigungsstreit, der an diesem Freitag in einem Zivilverfahren vor dem Amtsgericht Rosenheim gipfelt. Auf der Anklagebank wird der arbeitslose Künstler Jürgen Alb sitzen.

Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagt die Klägerin Annemarie J., sie habe Alb sofort zu verstehen gegeben, dass er aus seiner Wohnung müsse. Als Ersatz habe sie ihm eine Wohnung im Dachgeschoss angeboten. Sie sagt, Alb habe dies abgelehnt. Albs Rechtsanwalt sagt dagegen, sein Mandat würde dem Wohnungswechsel zustimmen. Tatsächlich zieht die Vermieterin ihr Angebot wenige Wochen später zurück. Alb soll ausziehen, und das möglichst schnell.

Räumungsklage fünf Tage vor Heiligabend

Das Mieterrecht schreibt für Fälle wie diese eine dreimonatige Kündigungsfrist vor. Zudem braucht es einen triftigen Grund. Dieser fehlt in der Räumungsklage, welche die Vermieterin fünf Tage vor Heiligabend verfasst. Alb und sein Anwalt weigern sich, die Kündigungen zu akzeptieren - und das Echo folgt prompt.

Eine Freundin erinnert sich, wie Alb sie am 21. Dezember am Handy anruft und um Hilfe bittet. Als sie zu seiner Wohnung kommt, stehen Annemarie und Norbert J. vor der verglasten Tür und schlagen gegen die Scheibe. "Komm raus du feige Sau", will die Freundin gehört haben. Sie ruft die Polizei, als die Beamten eintreffen, hätte sich die Situation beruhigt, sagt die Freundin. Sie findet Alb zitternd am Boden kauernd. Die Vermieterin sagt, sie könne sich an den Vorfall nicht erinnern.

Alb, der unter einer 40-prozentigen Gehbehinderung leidet, muss kurze Zeit später zur Behandlung in die Reha. Als er zurückkommt, ist der Strom abgestellt, der Herd abgekabelt. Alb findet heraus, dass die Sicherung in der Wohnung seiner Vermieter gelöst wurde. Er beschließt, sich zu wehren.

"Vielleicht hat es die Sicherung herausgehauen"

Weil die Vermieterin, wie Alb sagt, immer wieder den Strom abstellt, weigert er sich fortan, die Strompauschale zu zahlen. "Vielleicht hat es die Sicherung herausgehauen", sagt Annemarie J. auf SZ-Nachfrage. Alb reicht mehrere Anzeigen bei der Polizei ein. In Ordnern hat er sie chronologisch sortiert, die meisten von ihnen sind handschriftlich verfasst. "Weil ich meinen Computer ohne Strom nicht anschalten konnte", sagt Alb. Die Polizei sei keiner einzigen Anzeige ernsthaft nachgegangen.

Am 25. März erhält Alb die nächste Kündigung. Einen triftigen Grund nennen die Vermieter auch diesmal nicht. Alb und sein Anwalt befinden, die Kündigung sei unwirksam. Am 3. Juni 2014 eskaliert der Mieterstreit. In seiner Erinnerung wird Alb vor seiner Wohnungstür von J.s Ehemann angegriffen, gegen Hauswand und Zaun geworfen, schließlich über einen Blumenkasten geschubst.

Alb duscht und rasiert sich im Fitnessstudio

Alb sagt, er habe Prellungen und Schürfwunden erlitten, Wochen im Krankenhaus verbracht. Laut Attest ist er zwei Monate krank geschrieben. J. erinnert sich auch an den Vorfall. Alb sei ohne Fremdeinwirkung über den Blumenkasten gestolpert, sagt sie. Alb will bei der Staatsanwaltschaft Rosenheim vorsprechen, einen Termin habe er bis heute nicht bekommen.

Tags darauf flüchtet er. Der Strom ist bereits seit einer Woche abgedreht. Gegen Mitternacht packt er bei Kerzenlicht seine Tasche, leert den Briefkasten und steigt in sein Auto. Seitdem, sagt Alb, schlafe er im Freien, in seinem Auto oder bei Freunden. In einem Fitnessstudio in Grafing dusche und rasiere er sich. Die Wohnung habe er seitdem nicht mehr betreten, sagt er. Jetzt hofft er auf die Justiz - und eine Abfindung, um als Arbeitsloser bei der Wohnungssuche eine Chance zu haben.

Bei der Verhandlung am Freitag vertritt ihn der Grafinger Rechtsanwalt Herwig Eder-Richter. "So einen krassen Fall habe ich noch nicht erlebt", sagt er. Unabhängig davon, dass die Kündigungen nicht wirksam seien, sagt Eder-Richter, sei das Verhalten der Vermieter "absurd". "Mag sein, dass meine Mandantin wegen der verfahrenen Situation nervös gehandelt hat", sagt der Rechtsanwalt der Gegenseite. Eder-Richter wundert sich dagegen, dass sich die Staatsanwaltschaft nicht längst für das Verhalten von J. interessiert. "Das, was hier abläuft, ist beispiellos", sagt der 62-Jährige. Beispiellos, und kaum zu glauben.

Das Bellen beginnt, der Puls geht hoch

Wenige Tage vor der Verhandlung fährt Alb nach Pfaffing. Seit sechs Wochen, sagt er, sei er tagsüber nicht mehr in der Wohnung gewesen. Auf das Grundstück will er sein Auto nicht stellen, weil dort vor Kurzem sein Tankstutzen aufgeschlitzt wurde. In Sichtweite der Glasfassade beginnt das Bellen, der Puls geht hoch. Hinter einem der Fenster springt eine Frau auf, als Alb vorbeihuscht. Wenig später hastet er um die Ecke zu seiner Wohnungstür.

Auf dem Boden liegt abgeblätterter Putz. Von oben habe jemand mit einem Vorschlaghammer wochenlang gegen die Decke geklopft, sagt Alb. Die Küchentür sei seit den Schlägen kaputt. Sie schließt nicht mehr. Die Steckdosen sind ohne Strom. Dagegen, wenn die Hunde scharfgemacht werden und gegen die dünnen Wände kratzen und bellen, sagt Alb, sei dies harmlos. Alb setzt die Gießkanne ab, schließt die Wohnungstür von außen. Auf dem Hof wartet J. "Verlassen Sie mein Grundstück", sagt sie. Dann lässt sie die Hunde los.

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