Streit um kleines Mädchen:Ein Kind zwischen allen Fronten

Es gab Gutachten und Gerichtsurteile, Vorwürfe und Verdächtigungen. Seit Jahren streiten die leibliche Mutter und eine Pflegefamilie um ein kleines Mädchen. Sogar Lokalpolitiker und der Landtag haben sich eingeschaltet - aber eine Lösung ist nicht in Sicht.

Katja Auer, Hof

Im Kinderzimmer hängt ein grünes Feenkostüm, auf dem Nachttisch steht eine Spieluhr und auf dem Bett sitzen Stofftiere. Knetgummi, Bauklötzchen, Puppen, ein ganz gewöhnliches Kinderzimmer. Nur dass Julia, nennen wir sie Julia, das Kind, dem dieses Zimmer gehört, noch nie darin gespielt hat. Ihre Mutter hat dem Mädchen den Raum eingerichtet, weil sie hofft, dass Julia irgendwann zu ihr zurückkommt. Die Vierjährige lebt in einer anderen Familie, und dieses Ehepaar möchte ebenfalls, dass das Mädchen bei ihm bleibt.

Seit mehr als drei Jahren streiten die Parteien um Julia. Es gibt mehrere Gerichtsurteile, viel Anwaltspost und noch mehr Beschuldigungen. Eine zentrale Rolle hat dabei das Jugendamt Hof, das sich nach Ansicht der leiblichen Mutter und des Amtsgerichts Hof parteiisch zugunsten der Pflegefamilie verhält. Inzwischen hat sich sogar der Sozialausschuss des Landtags eingeschaltet und fordert, "diesen nunmehr langjährigen und wie durch das Gericht festgestellt unrechtmäßigen Kindsentzug zu beenden". Das kommt selten vor.

Die Geschichte beginnt 2007, als eine Frau in Hof schwanger wird. Sie ist verheiratet, doch das Kind ist nicht vom Ehemann. Er verlässt sie, und als Julia geboren wird, schafft es die Mutter nicht lange. "Ich war gefühlsmäßig überfordert", sagt sie, "ich hatte Zukunftsängste und wusste nicht, wie ich ihr gerecht werde." Mit etwa zehn Monaten gibt sie Julia zur Adoption frei. Ein unwiderruflicher Schritt. Keinen Monat später beginnt der Rechtsstreit. Die Mutter will das Kind wiederhaben. Sie habe eine Fehler gemacht, sagt sie, einen, den sie seitdem bereue.

Das Mädchen lebt inzwischen bei einer Familie, die es adoptieren will. Das Ehepaar gibt Julia einen neuen Namen, sie hat nun einen Bruder und nennt die neuen Eltern Mama und Papa. Rechte allerdings hat die Familie nicht. Die geplante Adoption scheitert 2009, da der leibliche Vater von Julia seine Zustimmung verweigert- und auch den rechtlichen Status als Pflegeeltern hat das Ehepaar nicht.

Die Gerichte müssen entscheiden, wo Julia in Zukunft leben soll, da die beteiligten Erwachsenen keine Lösung hinbekommen. Es finden sogenannte Umgänge statt, Julia trifft ihre leibliche Mutter zusammen mit einer Psychologin. Diese vermerkt keine Probleme. "Sie hatte überhaupt keine Berührungsängste", sagt die Mutter. Die Pflegeeltern erzählen, dass Julia danach aggressiv gespielt habe und dass sie die Frau, von der sie irgendwann erfahren habe, dass sie ihre "Bauchmama" sei, nicht mehr sehen wolle. Auch das Stottern habe sie angefangen. Als sich das Kind irgendwann weigert, bei einem Treffen aus dem Auto zu steigen, bricht die Betreuerin die Umgänge ab.

Seit mehr als einem Jahr haben sich Mutter und Tochter nicht mehr gesehen. Es werden Gutachten erstellt. Das Kind habe eine enge Bindung an die Pflegeeltern, wird da festgestellt, und wenn es zurück zur leiblichen Mutter müsste, könnte es das traumatisieren. Mit entsprechender Vorbereitung sei die sogenannte Rückführung aber möglich. Daran, dass sich die Mutter gut um Julia kümmern kann, zweifelt der gerichtlich bestellte Gutachter nicht. Das Gericht in Hof sieht das auch so, Anfang 2011 bekommt die leibliche Mutter das Sorgerecht für Julia zurück. Die Pflegeeltern und das Jugendamt legen Beschwerden ein, die werden zurückgewiesen.

Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Mutter

Julia bleibt trotzdem bei den Pflegeeltern. Wieder wird gestritten und geklagt, bis das Amtsgericht Hof im Mai 2012 "die Herausgabe des Kindes" zum 1. September anordnet. Darin stellt das Gericht fest, dass sich das Jugendamt im gesamten Verfahren "einseitig mit den Antragsgegnern solidarisiert" habe. Die Pflegefamilie habe Unterstützung vom Jugendamt erhalten, die leibliche Mutter sei "weitgehend ausgegrenzt" worden.

Ebendas wirft nun auch der Sozialausschuss des Landtags der Behörde vor. Das Jugendamt Hof habe der Mutter trotz gegenteiliger Urteile und Gutachten das Kind entziehen wollen, schreiben die Abgeordneten in einem Brief an den Oberbürgermeister. Deswegen habe man Julia so lange bei der Pflegefamilie lassen wollen, bis es niemand mehr verantworten könne, das Mädchen zur leiblichen Mutter zurückzubringen. Das Verhalten des Jugendamtes sei "eine unglaubliche Missachtung des Rechtes der Mutter auf ihr Kind, des Rechtes des Kindes auf seine leibliche Mutter und des Kindeswohls".

Das Jugendamt weist die Vorwürfe zurück. "Wir verhalten uns nicht parteiisch, haben jedoch in erster Linie die Belange und Interessen des Kindes zu vertreten", erklärt ein Sprecher. Julia betrachte ihre Pflegefamilie als ihre Eltern. "Wir sehen diese Bindungen als existenziell" und damit für das Kindeswohl entscheidend an, hieß es. Man habe dem Kind einen Beziehungsabbruch "ersparen" wollen.

Zudem habe das Amt Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der leiblichen Mutter. Es wird aber eingeräumt, "dass die Gerichte die Bedenken des Jugendamtes nicht geteilt" hätten. Hofs OB Harald Fichtner weist in einem Brief an den Ausschuss "den unglaublichen Vorwurf zurück, mein Jugendamt missachte das Recht und unterstütze einen unrechtmäßigen Kindsentzug". Dass sich die Politiker einmischen, kommt nicht gut an in Hof. Der Ausschuss sei nicht umfassend informiert, heißt es. Es sei nur die leibliche Mutter angehört worden.

Wie es nun weitergeht, liegt wiederum beim Gericht. Gerade hat das Oberlandesgericht Bamberg den Beschluss ausgesetzt, wonach Julia am 1. September zurück zu ihrer leiblichen Mutter kommen sollte. Mit einer neuerlichen Entscheidung rechnen beide Seiten noch im September.

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