Streit um Hochspannungs-Trassen:Politik unter Strom

Wirtschaftsminister Gabriel fühlt sich an eine "Karnevalsveranstaltung" erinnert: Neue Pläne für Hochspannungs-Trassen empören Kommunalpolitiker - während Ministerpräsident Seehofer und die Netzbetreiber ihre Muskeln spielen lassen.

Von Stefan Mayr, Wolfgang Wittl und Olaf Przybilla

Der Streit um die geplanten Stromtrassen von Norddeutschland nach Bayern flammt wieder auf - und das heftiger denn je. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und die Netzbetreiber lassen ihre Muskeln spielen, indem sie widersprechende Kommentare abgeben. Sehr zum Verdruss von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der von einer "Karnevalsveranstaltung" spricht. Gabriel beklagt "irre Zustände" und fordert einen raschen Ausbau der Stromnetze.

Weil der im Norden produzierte Windstrom wegen fehlender Leitungen nicht in den Süden gelangt, müsse dort manchmal Strom aus veralteten Öl-Kraftwerken in Österreich zugekauft werden, kritisiert Gabriel: "Die Kollegen in Österreich kommen vor Lachen nicht aus dem Schlaf." Unterdessen ist auch in Schwaben der Ärger groß, nachdem die dortigen Politiker von den umgeplanten Trassen ohne Vorwarnung aus den Medien erfahren haben.

Seehofer gibt sich betont gelassen

Die Diskussion um die Höchstspannungs-Leitungen "Ost-Süd-Trasse" und "Südlink" nahm am Dienstag skurrile Züge an: Auf der einen Seite betonten die Netzbetreiber, dass die Trassen nach wie vor dringend nötig seien, um die Energiewende stemmen zu können. Andernfalls drohten in Süddeutschland steigende Preise.

Auf der anderen Seite gab sich Horst Seehofer betont gelassen und warnte vor den großen Kosten durch den Neubau der Leitungs-Trassen. Zudem betonte er, die bayerische Staatsregierung werde nun bis Februar mit Bürgern und Experten diskutieren, ob die zwei Trassen wirklich benötigt werden. "Und dann werden wir entscheiden", sagte Seehofer beim Arbeitgebertag in Berlin. "Da brauchen wir eine saubere Systemanalyse für die Netze, damit uns nicht die Kosten über den Kopf wachsen."

"Das ist eine inakzeptable Schweinerei"

Zuvor hatten die Netzbetreiber ihre überarbeiteten Trassenpläne vorgestellt. Trotz der massiven Proteste aus Bayern beharren sie auf den zwei Trassen, die sie nur geringfügig änderten: Der Südlink gilt als "Hauptschlagader" der Energiewende, nach den neuen Plänen soll er in Schleswig-Holstein beginnen und 800 Kilometer bis nach Wendlingen führen, um die Industrieregion Stuttgart zu versorgen. Die Ost-Süd-Trasse sollte ursprünglich von Bad Lauchstädt im Saalekreis (Sachsen-Anhalt) nach Meitingen führen. Jetzt wollen die Netzbetreiber die Leitung auf 600 Kilometer verlängern: Von Magdeburg bis Gundremmingen, wo wegen des Kernkraftwerkes bereits ein Umspannwerk und Hochspannungsleitungen existieren.

Streit um Hochspannungs-Trassen: Ein Weg, den Strom zum Verbraucher zu bringen, sind Leitungstrassen. Die Notwendigkeit ist klar, doch vor der Haustür will die Masten niemand haben.

Ein Weg, den Strom zum Verbraucher zu bringen, sind Leitungstrassen. Die Notwendigkeit ist klar, doch vor der Haustür will die Masten niemand haben.

(Foto: Robert Haas)

Den Dillinger Landrat Leo Schrell bringen diese Pläne auf die Palme. "Das ist eine inakzeptable Schweinerei", schimpft der Freie Wähler. Die Politiker aus den betroffenen schwäbischen Landkreisen erfuhren am Dienstag aus den Zeitungen, dass die umstrittene Ost-Süd-Trasse künftig nicht mehr in Meitingen bei Augsburg enden soll, sondern im 30 Kilometer westlich liegenden Gundremmingen. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass am Montag der Dialog über die Stromtrassen startet und am Dienstag die Netzbetreiber andere Trassenverläufe verkünden", wettert Landrat Schrell. Dabei sollte der "Dialog" in Bayern ergebnisoffen sein und bis 2015 andauern. Dass die Netzbetreiber jetzt vorpreschten, versteht Schrell nicht: "Diese Vorgehensweise ist völlig falsch und verunsichert die Bevölkerung."

Auch Stefan Rößle, Chef des Landratsamtes Donau-Ries, war zunächst fassungslos, als er von dem neuen Konzept erfuhr. "Ich bin sehr überrascht", sagt der CSU-Landrat, "bis heute früh ging ich noch davon aus, dass die Süd-Ost-Trasse überhaupt nicht kommt und dass stattdessen der Südlink verlängert wird." Diese Variante brachte auch Seehofer ins Gespräch: Warum könne nicht vom Endpunkt des Südlinks in Baden-Württemberg ein Abzweig nach Gundremmingen gemacht werden, statt eine weitere Trasse durch Ostbayern zu verlegen, fragte er in Berlin.

"Viele Fragezeichen"

Der Gundremminger Bürgermeister war am Dienstagmorgen ebenso geschockt wie seine Landrats-Kollegen: "Hier gibt es viele Fragezeichen", sagt Tobias Bühler (CSU). "Es ärgert mich sehr, dass es da keinerlei Abstimmung mit uns gab, da wurde vorab überhaupt nichts besprochen." Im Landkreis Landshut, der ebenfalls als Trassen-Endpunkt im Gespräch war, sieht man keinen Grund zum Aufatmen. Man werde die Diskussion weiterhin aufmerksam verfolgen, sagt Landrat Peter Dreier (Freie Wähler).

Ulrich Strauß aus dem fränkischen Betzenstein hat als Vertreter der Initiativen gegen die Trasse am Stromdialog teilgenommen. Er betont: "Es geht nicht um den Verlauf der Trasse, denn wir wollen nicht, dass statt uns unsere Nachbarn belastet werden." Vielmehr gehe es darum, die Notwendigkeit der Trasse infrage zu stellen. Und um eine dezentrale Energieversorgung. Einen zufriedenen Politiker gab es am Dienstag in Schwaben aber doch: Meitingens Bürgermeister Michael Higl. "Nach zwei Jahren Kampf gegen die Trasse darf ich mich heute ein bisschen freuen."

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