Streit um die Erinnerungskultur:Augsburger Kompromiss droht zu platzen

Holocaust victims commemorate memorials in Budapest

Gunter Demnig will mit "Stolpersteinen" die Erinnerung an NS-Opfer hochhalten. Seine Art der Erinnerungskultur stößt auf Widerstand.

(Foto: Szolt Szigetvary)

Der Kölner Bildhauer Gunter Demnig will mit seinen Stolpersteinen auch der überlebenden NS-Opfer sowie der Angehörigen verfolgter Juden, Homosexueller und Kommunisten gedenken. Die Stadt droht mit juristischen Schritten

Von Christian Rost, Augsburg

Die Debatte um Stolpersteine als Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus verlief auch in Augsburg kontrovers. Nach zwei Jahren zähen Ringens konnte sich die Stadt mit Gegnern und Befürworten dann aber auf einen Kompromiss einigen: Der "Augsburger Weg" sieht vor, dass neben den Stolpersteinen auf öffentlichem Grund auch Erinnerungsbänder an Laternenmasten angebracht werden können. Kurz vor der Verlegung der ersten Stolpersteine am 4. Mai wird der Kompromiss nun in Frage gestellt. Der Kölner Bildhauer Gunter Demnig, der schon europaweit Stolpersteine verlegt hat, will sich nicht an die Vereinbarung mit der Stadt halten, wonach nur Opfern, die in der NS-Zeit bis 1945 zu Tode gekommen sind, in dieser Form gedacht werden soll. Demnig fasst den Opferbegriff weiter und will mit seinen Steinen auch Überlebender und Angehöriger verfolgter Juden, Homosexueller und Kommunisten gedenken. Die Stadt wird das nicht dulden, wie Kulturreferent Thomas Weitzel im Gespräch mit der SZ ankündigte.

Vor dem Hintergrund, dass sich Städte wie München bislang nicht auf diese Form des Erinnerns einigen konnten, wurden die Augsburger für ihren eingeschlagenen "Weg" bundesweit gelobt. Eine "Kommission für Erinnerungskultur" entwickelte das Konzept, das auf zwei Säulen beruht: Stolpersteinen und Erinnerungsbändern, die auf die jeweils letzten Wohnorte der Opfer hinweisen. Kritik an der Gedenkform mit Stolpersteinen gab es auch in Augsburg, so haben sich Rabbiner Henry Brandt und Teile der jüdischen Gemeinde gegen diese Erinnerungszeichen ausgesprochen. Dem Vorschlag, auf Wunsch der Hinterbliebenen alternativ Bänder an Laternenmasten anzubringen, fand schließlich auch die Zustimmung der Kritiker, für die die Steine im Boden schon aus rituellen Gründen nicht tragbar sind. Auch die Stolpersteininitiative mit dem Künstler Gunter Demnig im Hintergrund zeigte sich mit dem Konzept einverstanden, das der Stadtrat einstimmig guthieß. Der von der Stadt eingesetzte Fachbeirat allerdings legte sich auch auf strenge Einschränkungen in der Frage fest, wem gedacht werden soll: vor allem der Opfer während der NS-Zeit. Ausnahmen seien möglich, wie der Kulturreferent sagt. Demnach könnten auch Schleifen oder Steine für Menschen angebracht werden, die an den Spätfolgen nach ihrer Internierung in Konzentrationslagern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, also Ende der Vierzigerjahre oder Anfang der Fünfzigerjahre, starben. Nicht einverstanden ist die Stadt laut Weitzel mit einer "inflationären Verlegungsart", wie sie Gunter Demnig in vielen anderen Kommunen praktiziere. Dort verlegt er Stolpersteine auch für Kinder, die ihren Eltern von den Nazis weggenommen wurden oder für Menschen, die ins Ausland fliehen mussten. Bei der Stadt ist man der Auffassung, dass das Erinnern an die "eigentlichen Opfer" im Fokus stehen sollte. "Der Erinnerungsbegriff wird sonst entwertet", sagt Weitzel. Deshalb sei es abgelehnt worden, einen Stein mit dem Namen einer Frau zu genehmigen, die am 23. Februar 1944 ums Leben kam, also in der Nacht, als Augsburg von den Alliierten bombardiert wurde.

Angemeldet für die erste Verlegung im öffentlichen Raum wurden 20 Stolpersteine. Genehmigt hat die Stadt zwölf Steine, die ihren Kriterien entsprechen. Dagegen protestiert Demnig. Er kündigte an, weitere acht Steine als Platzhalter zu verlegen. Weitzel bezeichnet dies als "solitäre künstlerische Entscheidung". Sollte sich Demnig nicht an die Vorgaben halten, werde er sich eine Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit einhandeln, droht der Kulturreferent, und fügt an, "so hart das auch klingt". Er mahne an "die Vernunft".

Zunächst hatte die Stadt einen Kompromiss angeboten: Sogenannte Kopfsteine mit den Namen der Angehörigen von eigentlichen NS-Opfern könnten zusätzlich neben den Stolpersteinen Platz finden. Eine Einigung mit dem Künstler kam nicht zustande. Thomas Weitzel verteidigt seine harte Haltung mit dem Argument, dass in anderen Kommunen, die keine Einschränkungen vorgegeben hätten, inzwischen "Unbehagen" darüber vorherrsche.

Bei den Erinnerungsschleifen, von denen vier in der kommenden Woche in Augsburg angebracht werden sollen, gab es diese Debatte nicht. Die dafür zuständige Erinnerungswerkstatt habe sich an die Vorgaben gehalten, so Weitzel.

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