Süddeutsche Zeitung

Streit in der CSU:"Unverschämt arrogant"

Bei ihrer Klausur fällt die CSU-Fraktion über Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt her. Sie soll endlich in die Kritik an Merkel einstimmen.

Von Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl, Bad Staffelstein

Gerda Hasselfeldt hat einiges erlebt in ihrer politischen Laufbahn. Seit 1987 gehört sie dem Bundestag an, als Nachrückerin für Franz Josef Strauß. Seitdem war sie Ministerin und Vizepräsidentin des Parlaments, vor vier Jahren avancierte sie als Chefin der CSU-Landesgruppe zu einer der wichtigsten Politikerinnen der Regierungskoalition. Ein derartiges Einprasseln von Vorwürfen wie am Mittwoch bei der Herbstklausur in Kloster Banz, zumal aus der eigenen Partei, dürfte allerdings auch für Hasselfeldt, 65, eine neue Erfahrung gewesen sein. "Heftig", "Abreibung" und "abgewatscht" waren noch die glimpflicheren Worte, die nach der als "Bericht aus Berlin" apostrophierten Sitzung fielen.

Der Zorn, der sich in der CSU-Fraktion angestaut hatte, ploppte auf wie der Korken einer Sektflasche, die zu lange geschüttelt worden war. Und vieles, was in der Flüchtlingspolitik auf Kanzlerin Angela Merkel zielte, bekam Hasselfeldt ab. Bayern werde im Stich gelassen, Berlin habe die Probleme nicht erkannt, ob die Bundesregierung überhaupt einen Plan habe - so hagelte es auf Hasselfeldt ein. Einer der ersten wortmächtigen Kritiker war ein Mann, der Parteichef Horst Seehofer besonders nahe steht: der frühere Justizminister Alfred Sauter.

Richtig giftig wurde die Aussprache laut Teilnehmern, als Hasselfeldt sich weigerte, in die Kritik an Merkel einzustimmen. Sie werde nichts dazu sagen, ob der Kurs der Kanzlerin mit den nach oben offenen Flüchtlingszahlen richtig oder falsch sei, soll die Landesgruppenchefin gesagt haben. Manch einem nötigte diese Loyalität Respekt ab, die meisten Abgeordneten brausten da erst richtig auf. Auch die mäßigenden Worte von Fraktionschef Thomas Kreuzer, man habe mit Hasselfeldt doch immer gut zusammengearbeitet, halfen da wenig. Einige fragten sich vielleicht auch, welche gute Zusammenarbeit Kreuzer genau meinte.

Spannungen zwischen der Landtagsfraktion in München und der Landesgruppe in Berlin gehören zur CSU wie der Löwe im Parteiwappen. Wer jemanden finden will, der schlecht über die andere Gruppe sprechen will, musste nie lange suchen. Auch abschätzige oder sogar verächtliche Worte sind keine Seltenheit. Während einige Berliner meinen, sie würden die wirklich wichtigen Themen beackern (was hätten die Landtagskollegen überhaupt den ganzen Tag zu tun?), sagen die Münchner, sie hätten das Ohr am Volk und seien diejenigen, die sich um die handfesten Bedürfnisse der Menschen kümmerten.

Viele Berliner CSUler zelebrieren die Distanz zu ihren bayerischen Kollegen regelrecht, sie empfinden sie als kleinkariert und sich selbst als weitsichtig. Umgekehrt halten Landtagsabgeordnete die Berliner CSU-Leute für abgehoben und sich selbst für klarsichtig. Und so ist es kein Wunder, dass es bei dem Auftritt von Landesgruppenchefin Hasselfeldt vor den Landtagskollegen hoch her ging. Einer der Münchner beschrieb ihren Auftritt hinterher sogar als "fast schon unverschämt arrogant".

Diese Konflikte in der CSU haben Tradition: Auch Strauß stänkerte von Bonn aus hin und wieder Richtung Freistaat, bis er selbst Ministerpräsident wurde. Später lautete das Duell Edmund Stoiber gegen Theo Waigel. Der eine wetterte von München aus gegen die da oben in der Bundesregierung, der andere sprach kühl von der großen Verantwortung, die man von Länderebene aus gar nicht immer nachvollziehen könne. Tatsächlich fällt es der CSU in Bayern leichter, als alleinregierende Partei ihre Vorstellungen umzusetzen. Die Kollegen in Berlin sind Koalitionszwängen und Kompromissen unterworfen.

In Berlin wird Hasselfeldt für ihren konsensualen Führungsstil geschätzt. Andere sehen sie zu nah am Kurs der Kanzlerin. Diese kritischen Stimmen haben in den vergangenen Wochen jedoch deutlich zugenommen. Was man Hasselfeldt vor allem vorwirft: dass sie es bislang nicht fertiggebracht hat, die Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen zu öffnen, als "Fehler" zu bezeichnen. Das Grummeln darüber nimmt zu, auch in der Landesgruppe. So soll CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer Anfang der Woche gezielt ein paar Berliner Kollegen kontaktiert und aufgefordert haben, sich am Dienstag in der gemeinsamen Fraktionssitzung mit der CDU doch zu Wort zu melden und endlich laut die CSU-Linie zu vertreten. Das berichten mehrere Berliner CSU-Abgeordnete. Scheuer selbst stellt klar: "Da gab es nicht viel aufzufordern, die hatten eh alle schon vor, sich zu Wort zu melden."

Hasselfeldt ist so ziemlich in jeder Hinsicht das Gegenteil von Scheuer. Wo er lospoltert, wägt sie ihre Worte ab. Wo er draufhaut, versucht sie zu moderieren. Jeder übernimmt die Rolle, die ihm zugeteilt wurde. Nur im Moment will es Hasselfeldt aus Sicht vieler CSU-Leute nicht so recht gelingen. Als Seehofers Statthalterin hat sie in Berlin eine "Scharnierfunktion", sie ist das Bindeglied zwischen CDU und CSU. Andererseits hat sie CSU-Interessen zu vertreten, wenn es zum Disput mit der CDU kommt. Im Moment gibt es daran Zweifel.

Hasselfeldt stehe der Kanzlerin näher als der eigenen Partei, schimpfen Landtagsabgeordnete. Manche übersehen dabei, entgegnen Hasselfeldts Unterstützer, dass die Landesgruppenchefin mit leisen Töne bei Merkel mehr erreiche, als würde sie rüde auf den Tisch hauen. Für eben dieses diplomatische, umgängliche Verhalten wurde sie von den meisten in der Landesgruppe bislang sehr geschätzt. Offenen Zwist will deshalb auch jetzt niemand riskieren.

In der Landtagsfraktion ist solche Art von Rücksichtnahme weniger ausgeprägt. Je mehr Flüchtlinge in Bayern ankommen, je schwieriger ihre Unterbringung wird, desto kraftmeierischer tritt die CSU auf. Die Stimmung in der Fraktion, die sich seit jeher als Herzkammer der Partei versteht, sei "exzellent", sagt ein führendes Mitglied. Es herrscht die Überzeugung: Hier sind die einzigen, die es wagen, die Probleme deutlich zu benennen. Seehofer hat in seiner Grundsatzrede nahezu ausschließlich über Flüchtlinge gesprochen, die Unterstützung für ihn sei enorm.

Doch auffällig ist auch: Während Seehofer in Bayern massive Kritik an Merkel äußert, gibt er sich in Berlin vergleichsweise zahm. Es sei immer leichter, Dinge zu fordern, als sie in Verantwortung umzusetzen, sagt ein erfahrener CSU-Mann. Grundsätzlich habe die Zusammenkunft in Banz aber wieder ein altes CSU-Vorurteil bestätigt: "Wir im Landtag ziehen die richtigen Schlüsse, die in Berlin haben es noch nicht kapiert."

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SZ vom 25.09.2015/infu
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