Süddeutsche Zeitung

Streit in Andechs:Was ein Dorf spaltet

Im oberbayerischen Andechs tobt zwischen dem Kloster auf dem Heiligen Berg und der Bio-Molkerei Scheitz im Tal ein erbitterter Kampf um Käse, das ® und viel Geld. Nun bringen sich auch noch 600 Milchbauern in Stellung.

Von Ralf Scharnitzky

Auf dem Heiligen Berg dürfte man diese Auszeichnung mit einigem Unmut zur Kenntnis genommen haben. Ausgerechnet Barbara Scheitz, die Chefin der Andechser Bio-Molkerei, ist Ende November von CSU-Landrat Karl Roth mit dem Wirtschaftspreis 2012 des Landkreises Starnberg geehrt worden. Die Jury war vor allem beeindruckt von der Lieferkette, die stets nachvollziehbar sei, und von der Herstellung der Produkte, die sich an ökologischen Kriterien ausrichte. Seit gut sieben Jahren liegt das Kloster mit Abt Johannes Eckert an der Spitze mit dem Unternehmen im Clinch. Der Graben ist tief; es tobt ein Streit, den inzwischen viele "unchristlich" nennen. Es geht um Markenrechte, um unlauteren Wettbewerb. Der Streit spaltet ein ganzes Dorf. Ein Dorf, das inzwischen endlich wieder Ruhe haben will.

Das weltberühmte Benediktinerkloster ist nicht nur ein Ort der Kontemplation, es ist auch ein Wirtschaftsunternehmen. Hier wird seit Jahrhunderten Bier gebraut. Aber es gibt hier eben auch Europas größte Bio-Molkerei. Die produziert seit Jahrzehnten vor allem Milch und Joghurt. Dumm nur, dass beide den gleichen Namen verwenden: Andechs!

Kirchturm vs. Hundertwasser

Und genau darum geht der Streit. Ausgetragen schon in vielen Instanzen, mit immer neuen Anschuldigungen und Wendungen - auch wegen des Hundertwasserturms, den die Molkerei bauen will und durch den die Mönche das Alleinstellungsmerkmal ihres Kirchturms gefährdet sehen. Es sind Argumente, die zum Teil sogar Richter fassungslos machen: Warum können Kloster und Molkerei nicht friedlich nebeneinander existieren? So, wie es war, viele Jahre. Kloster, Kirche, Bier, Gasthaus - Kühe, Molkerei, Milch, Hofladen. Mehr Bayern geht nicht.

Um zu verstehen, warum das nicht mehr so ist, muss man zurückblicken. Um die Jahrtausendwende herrschte noch Frieden im Klosterdorf. In der Abtei hatte der umtriebige Prior Anselm Bilgri, genannt "Manager in Kutte", das Sagen. Er vermarktete sein klerikales Unternehmen geschickt - mit dem Segen vom damaligen Abt Odilo Lechner. Schließlich muss der Betrieb nicht nur das Klosterleben der gut ein Dutzend Mönche in Andechs und München St. Bonifaz finanzieren, sondern zum Beispiel auch die Obdachlosenhilfe.

Prior Anselm brachte Senf und Speck auf den Markt - unter dem Namen des Klosters, hergestellt von Fremdfirmen. Er schloss einen Vertrag mit der Molkerei Scheitz, die exklusiv fürs Bräustüberl, den Klostergasthof und die klostereigenen Gaststätten Käse lieferte, den "Andechser Klosterkäse".

Die Stimmung kippte, als Anselm 2003 nicht zum Abt gewählt wurde - nicht nur er hatte fest damit gerechnet. Knapp an die Spitze des Konvents kam Mitbruder Johannes Eckert; Pater im Kloster und Pfarrer der Andechser Ortsteile Erling und Machtlfing. Bilgri war einer Mehrheit seiner Mitbrüder wohl doch zu profan. Es begann ein Kampf gegen allzu Weltliches, auch und vor allem um die Hinterlassenschaft sowie gegen Geschäftspartner von Anselm Bilgri - und das mit sehr weltlichen juristischen Mitteln. Bilgri, der nach der verlorenen Wahl die Klostermauern hinter sich ließ und seither als Unternehmensberater tätig ist, nannte das Vorgehen seiner ehemaligen Brüder einmal "den Neid der Kleriker".

Wenn sich ein Kloster zurückzieht

Die Neuausrichtung hat tiefe Spuren in Andechs hinterlassen. Das Kloster, so sehen und sagen es viele in der Gemeinde, zieht sich zurück. Es gibt sie nicht mehr, die Symbiose, die der frühere Andechser Bürgermeister und jetzige Landrat Karl Roth so umschrieb: "Wenn es dem Kloster gut geht, geht es der Gemeinde gut - und umgekehrt."

Die örtliche Bäckerei, früher Stammlieferant, darf seit Jahren keine Brezn mehr fürs Kloster backen. Die Mönche schlossen den Erlinger Hof, das einzige Wirtshaus im Andechser Ortsteil Erling am Fuß des Heiligen Bergs. Andere Wirte bekamen nur noch Ein-Jahres-Verträge, es gab keine Gespräche mehr wie zu Bilgris Zeiten, alles lief nurmehr schriftlich.

Das klostereigene Kulturprogramm wurde zusammengestrichen. Sprecher Martin Glaab macht deutlich, dass das Kloster alles dafür tun muss, seine Wirtschaftlichkeit zu erhalten. Und dazu seien eben solche Entscheidungen unvermeidbar. Ein Rückzug aus der Gemeinde oder gar vom Weltlichen sieht er nicht, aber: "Dem Kloster ging es immer dann gut, wenn die Waage zwischen geistlichem Zentrum und wirtschaftlichem Unternehmen austariert ist."

Im Visier der Mönche

Unversehens geriet beim Aufräumen auch die Molkerei Scheitz ins Visier der Mönche. Auf einmal mäkelten die Brüder an der Regionalität und der Qualität des Andechser Klosterkäses herum. 2009 wurde der Lizenzvertrag gekündigt - "weil sich unsere Philosophien auseinander entwickelt haben", wie es heute aus dem Kloster heißt. Die Mönche verkaufen seit einiger Zeit eigenen Frischkäse. Den Rohstoff liefert eine Firma im Landkreis München - mit Gewürzen wird die Masse im Bräustüberl zur "Andechser Frischkäsezubereitung" aufgehübscht.

Zwar ist die Palette noch äußerst begrenzt, aber das könnte sich ändern. Deshalb hat Scheitz vor dem europäischen Markenamt in Alicante gegen die vom Kloster beantragte Markeneintragung geklagt: "Die Herstellung von Milchprodukten liegt in der Kompetenz der Molkerei. Wir maßen uns auch nicht an, Bier zu brauen", sagt Unternehmerin Scheitz. Klostersprecher Glaab sieht das anders: "Wir lassen uns von niemanden unser Markenportfolio streitig machen. Und da gehören Milchprodukte dazu. Schließlich hatte das Kloster früher eine eigene Landwirtschaft."

Die Mönche stört vor allem das kleine eingekreiste R auf den Produkten der Firma Scheitz - das Zeichen für eine registrierte Marke steht seit 2008 oberhalb des Wortes "Andechser". Scheitz: "Wir sind nun mal ein Andechser Betrieb und dürfen uns auf unsere Herkunft berufen." Die Mönche verweisen auf ältere Rechte, reklamieren den Namen für sich. Zu Recht, wie ein Gericht urteilte. Inzwischen ist das R versetzt, abgerückt vom Ortsnamen. Bei Zuwiderhandlung muss Scheitz 250.000 Euro Strafe zahlen.

Vergebliche "Friedenswallfahrt"

Das eingekreiste R - für die Patres ein Teufelszeug. Vertreter der rund 600 die Molkerei beliefernden Biobauern, die Abt Johannes kürzlich empfing, wurden vor möglichen Folgen gewarnt, weil der französische Lebensmittelkonzern Bongrain an der Molkerei beteiligt ist. Das Kloster fürchtet, dass bei einem Verkauf von Scheitz "Ortsfremde mit dem Namen Andechs werben, der eng mit der klösterlichen Tradition verbunden ist", heißt es in einer Erklärung nach dem Treffen.

Die Bauern zeigten sich enttäuscht: "Die Mönche haben die Molkerei nur schlecht gemacht und versucht, uns Angst einzujagen", berichtet deren Sprecher Anton Daxenbichler, der auch Vorsitzender des katholischen Dekanatsrats von Bad Aibling ist. "Wir sind enttäuscht über das Verhalten des Abtes. Er hat sich nicht bewegt." Die Milchbauern, die wegen des langwierigen Rechtsstreits und des Stillstands bei der Molkereierweiterung um ihre Existenz fürchten, hatten sich eine Annäherung erwartet. Schließlich hatte sie Abt Johannes zum Gespräch eingeladen - während der "Friedenswallfahrt" der Bauern mit 300 Teilnehmern im Oktober nach Andechs.

Im März wird es nun wieder ein Urteil geben. Barbara Scheitz hat in Absprache mit den Bauern Berufung eingelegt - vor allem wegen der angedrohten Strafe von 250.000 Euro pro falschem Aufdruck: "Ein kleiner technischer Fehler beim Druck würde die Molkerei ruinieren." Und damit auch die Bauern. Die engagierte Katholikin hätte die Streitigkeiten gerne endlich vom Hals - und hat deshalb vorgeschlagen, nach dem Berufungsverfahren weitere noch laufende Auseinandersetzungen einzustellen.

Doch die Friedensappelle, die inzwischen sogar von Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) kamen, prallen an den dicken Klostermauern ab. Von dort kommt die eindeutige Ansage: "Das Kloster wird weiterhin seine Bedenken klar artikulieren und notfalls vor Gericht gegen Verletzungen seiner Namens- und Markenrechte vorgehen."

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SZ vom 26.01.2013/infu
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