Streit am Berg:Pistengeher leben gefährlich

Bis zu 300 Tourengeher gleichzeitig auf der Piste: Der Konflikt zwischen Skifahrern und Tourengehern verschärft sich. Im Spitzingseegebiet und am Brauneck werden Pistengeher nun sogar ausgeschlossen.

Christian Sebald

Was für ein Skitag. Der Schnee am Spitzing ist g'führig wie selten, die Kanten schneiden sich scharf ins Weiß. Natürlich lassen es die Skifahrer laufen. Doch dann, mitten in einer Rechtskurve, in der es eng hergeht, sind plötzlich zwei Skitourengeher auf der Piste.

Streit am Berg: Immer häufiger sind Tourengeher auch auf präparierten Abfahrtspisten unterwegs, weil es weniger anstrengend ist.

Immer häufiger sind Tourengeher auch auf präparierten Abfahrtspisten unterwegs, weil es weniger anstrengend ist.

(Foto: Manfred Neubauer)

Ins Gespräch versunken stapfen sie nebeneinander die Abfahrt hoch. Ein Skifahrer erkennt die beiden so spät, dass er scharf abbremsen muss, damit es nicht zum Zusammenstoß kommt. Lauthals schimpft er "über so viel lebensgefährliche Unvernunft".

Peter Lorenz kennt Beinahezusammenstöße wie diesen. "Es gibt Tage, an denen haben wir hier am Spitzing 300 Tourengeher auf den Pisten und alle steigen sie gegen den Strom hoch. Am Brauneck ist es nicht anders", sagt er. Lorenz ist der Geschäftsführer der Alpenbahnen Spitzingsee und der Brauneckbahn. Für ihn ist es "nur eine Frage der Zeit, bis der erste schwere Unfall zwischen einem Skifahrer und einem Tourengeher passiert".

Damit es nicht so weit kommt, hat Lorenz nun zu einer drakonischen Maßnahme gegriffen: Mit Beginn der Wintersaison hat er die Abfahrten am Spitzing und am Brauneck für Tourengeher gesperrt. Natürlich gibt es Proteste. Schließlich zählen die beiden Skigebiete zu den beliebtesten der Münchner. "Komplettsperrungen lehnen wir ab", sagt Thomas Urban, der Geschäftsführer des Deutschen Alpenvereins (DAV). "Allein schon weil sie in völligem Gegensatz zum Recht auf freien Zutritt zur Natur stehen."

Tourengehen ist für viele die Königsdisziplin des Skisports. Die meist langen Aufstiege erfordern viel Kondition und die Abfahrten sind nur dann ein Genuss, wenn man das Tiefschneefahren ebenso sicher beherrscht wie das Fahren im Harsch- und Bruchschnee. Außerdem braucht man viel Erfahrung, um die Lawinengefahr richtig einzuschätzen. Ältere Tourengeher sind meist Individualisten, die den Rummel in den Skigebieten verabscheuen.

Für jüngere gilt das nicht mehr. Tourengehen in Skigebieten ist seit sieben, acht Jahren ein Trendsport. Ob am Jenner im Berchtesgadener Land oder am Sudelfeld, im Spitzinggebiet oder am Brauneck, an der Zugspitze oder im Allgäu, es gibt kein Skigebiet in Bayern mehr, in dem nicht auch Tourengeher ihren Sport treiben. An schönen Tagen sind es oft Hunderte - pro Skigebiet. Und von Jahr zu Jahr werden es mehr.

"Pisten und Loipen sind Teil der freien Natur"

Denn das "Pistengehen", wie Tourengeher alten Schlags geringschätzig sagen, ist aus vielen Gründen attraktiv: Es ist konditionell nicht so anspruchsvoll, weil die Aufstiege kürzer sind und man sie jederzeit abbrechen kann. Es ist technisch einfach, weil man auf präparierten Pisten abfährt. Außerdem bewegt man sich in lawinensicherem Gelände. Für viele, die es nicht weit in ein Skigebiet haben, ist Pistengehen auch eine Art "Winterjogging", das sie sogar nach Feierabend betreiben können - mit einer Stirnlampe gegen die Dunkelheit.

Im Alpenverein hat man schon vor Jahren reagiert und "Regeln für Skitourengeher auf Skipisten" entwickelt. "Denn natürlich sehen wir die Gefahren", sagt DAV-Mann Urban. "Vor allem wenn die Tourengeher nicht ganz am Pistenrand und hintereinander aufsteigen und Abfahrten in Steilstücken und an Engstellen queren." Deshalb hat es der DAV nicht bei seinen allgemeinen Regeln belassen. Sondern auch welche für einzelne Skigebiete ausgearbeitet, etwa für den Jenner. "Da beschreiben wir genau, welche Piste wann begangen werden darf, welche Engstelle man einzeln durchqueren soll und anderes mehr", sagt Urban. "Gerade die örtlichen Regeln zeigen, wie man jedem gerecht werden kann."

Liftechef Lorenz ist das zu wenig. "Der Erfolg der DAV-Regeln steht und fällt damit, dass sich die Pistengeher daran halten", sagt er. "Aber das tun längst nicht alle." Im Gegenteil. Mit dem immer stärkeren Andrang steige die Zahl der schwarzen Schafe. Für Lorenz ist die Komplettsperrung eine Notbremse. "Ich will auf der sicheren Seite sein", sagt er. "Wer garantiert mir, dass wir nach einem Unfall nicht in Rechtsstreitereien verwickelt werden?"

Unterstützung erhält der Lifte-Chef von einem Gutachten einer renommierte Anwaltskanzlei für den Verband Deutscher Seilbahnen (VDS). Danach sind Skigebiete keine freie Natur, die jedermann betreten darf - allein schon wegen des Aufwands für die Präparierung der Pisten. Es sind Sportstätten, deren Betreiber ein Hausrecht gegen Störenfriede hat, wie VDS-Sprecher Hannes Rechenauer sagt. Beim Deutschen Ski-Verband (DSV) teilt man diese Sicht. "Das ist wie auf einem Golfplatz", sagt Norbert Höflacher von der DSV-Stiftung Sicherheit im Skisport. "Dort können Sie auch nicht Mountainbike fahren."

In der Staatsregierung dagegen hält man die Rechte der Tourengeher hoch. "Pisten und Loipen sind Teil der freien Natur", sagt eine Sprecherin des Umweltministeriums. "Nach der Bayerischen Verfassung haben alle Erholungssuchenden Zutritt zu ihnen." Viele Bergbahnbetreiber fragen sich deshalb, wie Lorenz die Sperrungen durchsetzen will. "Selbst wenn das mit dem Hausrecht möglich ist, sagt einer, "so viele Leute hat er nicht, dass er die Tourengeher aus seinen Gebieten heraushalten kann. Und der Ärger, den das macht."

Zumal die Tourengeher eine attraktive Kundschaft sind - vor allem für die Hütten. Im Garmisch-Partenkirchner Classic-Gebiet und am Kolben in Oberammergau wollen sie daher den Ansturm anders bewältigen. Dort haben sie diesen Winter erstmals Aufstiegswege nur für Tourengeher präpariert. Der am Kolben ist sogar beschneit und führt durch einen Tunnel, damit sich Tourengeher und Skifahrer nicht ins Gehege kommen. Zwar ist die Wintersaison noch viel zu jung, als dass der Oberammergauer Lifte-Chef Franz Greiner bereits von einem Erfolg sprechen will. Aber überrascht ist er schon, "wie gut die Tourengeher den neuen Aufstiegspfad annehmen".

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