Straubing:Herausgeber des Straubinger Tagblatts verbieten Reportagen über Lesben und Schwule

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Gleichgeschlechtliche Paare dürfen inzwischen dank der "Ehe für alle" sogar heiraten. Vor allem auf dem Land schlagen ihnen aber noch immer Vorurteile entgegen.

(Foto: Imago)
  • Beim "Straubinger Tagblatt" gibt es eine schriftliche Dienstanweisung, Reportagen über gleichgeschlechtliche Paare zu unterlassen.
  • Die Anweisung wird heftig kritisiert, unter anderem vom Lesben- und Schwulenverband sowie vom Bayerischen Journalisten-Verband.

Von Andreas Glas, Straubing

Es ist der 27. Dezember 2013, als in der Chamer Zeitung ein Artikel mit der Überschrift "Frau findet Frau fürs Leben" erscheint. Eine Geschichte über zwei Frauen, die sich entschieden hatten, "ihre Liebe offiziell zu besiegeln" und beim Chamer Standesamt eine Lebenspartnerschaft eingegangen sind. "Wir knutschen schon mal in der Öffentlichkeit oder halten Händchen", verriet das junge Paar der Zeitung. "Wem das nicht passt, der soll halt wegschauen." Womit die zwei Frauen damals wohl nicht rechneten: Dass ihre Liebesgeschichte ausgerechnet den Verlegern jener Zeitung nicht passen könnte, der sie gerade ein Interview gaben.

Die Chamer Zeitung ist eine von 16 Lokalausgaben der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung. Offenbar haben auch die Verlagschefs die Geschichte über das lesbische Paar am 27. Dezember 2013 gelesen. Denn am selben Tag ließen die Verleger "aus gegebenem Anlass" eine Mitteilung an alle Redaktionen schicken.

In dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, heißt es, "dass Reportagen und Porträts über außereheliche Lebenspartnerschaften, also standesamtlich eingetragene Partnerschaften unter Lesben und Schwulen, mit der christlich-weltanschaulichen Grundhaltung des Hauses nicht im Einklang stehen und demzufolge zu unterlassen sind." Nach SZ-Informationen hing die interne Dienstanweisung auch 2017 noch in der Redaktion des Straubinger Tagblatts aus.

Martin Balle, Herausgeber des Straubinger Tagblatts, sagt auf Nachfrage, dass ihm die Mitteilung unbekannt sei. Wenig später teilt er dann mit, dass ihm ein Mitarbeiter das Schreiben gezeigt habe, von dem er bis soeben nichts gewusst habe. Er selbst habe "auch keine Anweisung gegeben. Das wüsste ich, wenn ich das gemacht hätte." Über Lesben und Schwule dürfe "in meiner Zeitung in jeder Form berichtet werden", sagt Balle und betont: "Ich habe eine Menge Freundinnen und Freunde, die homosexuell sind." Deshalb habe er "überhaupt keine Gründe, diese Beziehungen in Frage zu stellen".

Zwar ist es tatsächlich so, dass die Hausmitteilung nicht direkt von den Verlegern verschickt wurde, sondern von einem damaligen Redaktionsleiter. Doch laut Schreiben hat der Redaktionsleiter dies "im Auftrag der Herausgeber" getan. Darin bittet er alle Kollegen, "sich an diese Richtlinie, die als Verlagsanweisung zu verstehen ist, zu halten".

Hakt man beim damaligen Redaktionsleiter nach, antwortet er ausweichend auf die Frage, ob die Anweisung auch heute noch in Kraft ist oder zwischenzeitlich widerrufen wurde. "Verlagsanweisungen gelten, das weiß die Redaktion, nicht unbefristet", teilt er mit und versichert ebenfalls, dass Herausgeber Martin Balle "nicht eingebunden" gewesen sei in die Entscheidung, die Anweisung an die Redaktionen zu verschicken.

Außerdem sei die Anweisung "keinesfalls gegen Lebenspartnerschaften als gesellschaftliche Lebensform gerichtet" gewesen, "sondern ausschließlich gegen verlagsinterne Tendenzen einer übertrieben positiven Darstellung", so der frühere Redaktionsleiter.

"Das macht mich sprachlos. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas im 21. Jahrhundert bei einem modernen Verlagshaus noch auftaucht", sagt Michael Busch. Für den Vorsitzenden des Bayerischen Journalisten-Verbandes (BJV) ist die Straubinger Richtlinie "ein massiver Eingriff in die innere Pressefreiheit, weil man vorgibt, in welchen Bereichen berichterstattet werden darf oder nicht". Es sei "eine Dreistigkeit", wenn "ein Verlagshaus, das Presse- und Meinungsfreiheit hochhält, solche Anweisungen gibt".

Mitarbeiter reagieren teils mit Kopfschütteln, teils mit Galgenhumor

Von "einem Wahnsinn" spricht Hannah Lea vom Lesben- und Schwulenverband Bayern (LSVD). Nach ihrer Ansicht sei die Verlagsrichtlinie "darauf bedacht, uns aus dem normalen Leben auszuschließen, uns totzuschweigen". Dies sei gefährlich, da das Straubinger Tagblatt "eine wichtige Nachrichtenquelle für zahlreiche Menschen in der Region ist und womöglich die einzige Tageszeitung".

Laut Auflagenkontrolle IVW hatte die Mediengruppe zuletzt eine Druckauflage von mehr als 120 000 Zeitungsexemplaren pro Tag. "Bei einer so bornierten Einstellung" brauche man sich nicht zu wundern, wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender "sich auf dem Land nicht wohlfühlen", sagt Hannah Lea.

In den Redaktionen der Mediengruppe reagierten die Mitarbeiter teils mit Kopfschütteln, teils mit Galgenhumor auf die Anweisung der Herausgeber. "Sehr beschämend", sagt eine Journalistin. Ein anderer Mitarbeiter sagt, dass die Richtlinie kein Zeichen für Weltoffenheit sei. Anderswo hört man, die Anweisung habe im Kollegenkreis für Belustigung gesorgt. Hinter dem Schreiben vermuten mehrere Redakteure Seniorverleger Hermann Balle, der sich im Jahr 2002 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, sich bei redaktionellen Fragen aber offenbar immer noch einmischt.

Schon damals, als er noch operativ tätig war, berichteten Mitarbeiter, dass der heute 80-Jährige resolut eingegriffen habe, wenn ein Artikel nicht zu einer "wertkonservativen, christlichen, niederbayerischen Zeitung" passte, wie dessen Sohn Martin Balle das Straubinger Tagblatt mal nannte. Den heutigen Verlagschef wiederum nehmen viele Mitarbeiter in Schutz. Unter Martin Balles Führung "habe ich nicht das Gefühl, dass bestimmte Themen ausgelassen werden", sagt eine Redakteurin.

Es gibt auch Mitarbeiter, die versichern, noch nie von der Hausmitteilung gehört zu haben. Und solche, die sagen, man dürfe die Mitteilung "nicht so bierernst" nehmen, da die Redaktionen durchaus frei seien in ihrer Berichterstattung. Tatsache ist: In den Zeitungen des Straubinger Verlagshauses sind auch nach dem 27. Dezember 2013 vereinzelt Geschichten über Homosexuelle und Transsexuelle erschienen. Kürzlich etwa brachte der Dingolfinger Anzeiger ein Porträt über eine transsexuelle Pfarrerin aus der Region. "Es ist schön, dass Kollegen sich nicht beeindrucken lassen und trotzdem ihrer Arbeit nachgehen", sagt BJV-Chef Busch.

Auch über die diesjährige Entscheidung des Bundestages, die Ehe für alle Menschen zu öffnen, hatte das Straubinger Tagblatt berichtet, ebenso über die politische Debatte in den Jahren zuvor. Allerdings hatten die Herausgeber "die politische Debatte und Gesetzgebung" explizit von ihrer Anweisung zur Nicht-Berichterstattung über schwule und lesbische Lebenspartnerschaften ausgenommen.

Darüber "kann und muss" berichtet werden, heißt es in der Hausmitteilung. "Beim Thema Lebenspartnerschaften galt und gilt im Verlag der Grundsatz strikter Neutralität, sie also weder zu verteufeln noch hochzujubeln", teilt der frühere Redaktionsleiter mit, der die Hausmitteilung damals verschickte. Diese Neutralität sei "in einigen unserer Lokalausgaben damals, als die politische Debatte zu dem Thema nach langen Koalitionsverhandlungen breit aufflammte, nicht mehr gewährleistet" gewesen.

Für den bayerischen Journalistenverbands-Chef Michael Busch ist eine solche interne Anweisung dennoch nicht in Ordnung, da in der Mitteilung nicht die Rede von neutraler Berichterstattung ist, sondern ausdrücklich untersagt wird, in bestimmten Darstellungsformen zu berichten. Dass ein Verlag auf diese Art und Weise in die Berichterstattung eingreife, "habe ich noch nie irgendwo mitbekommen".

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