Die Linie von Ministerpräsident Markus Söder und seiner Staatsregierung ist eindeutig: Ausländische Straftäter, die einen Ausweisungsbescheid haben, sollen abgeschoben werden, und zwar möglichst schnell. Oder wie es das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen schreibt: Bei Rückführungsmaßnahmen haben Straftäter und Gefährder „höchste Priorität“. Eigentlich ist also alles klar. Wenn da nicht Hubert G. wäre.
Hubert G. raubte zusammen mit seinem Bruder fünf Banken aus und schoss auf einen Polizisten. Er ist österreichischer Staatsbürger und damit Ausländer. Seit 2011 ist er ausreisepflichtig. Sein Recht, sich in Deutschland aufzuhalten, habe er verloren, steht da. Und trotzdem ist Hubert G. noch da. Seit mehr als 15 Jahren sitzt er in der JVA Straubing in Niederbayern. Er hat laut seiner Anwältin etliche Anträge auf Absehen der Vollstreckung gestellt, um abgeschoben zu werden, alle seien abgelehnt worden. Ein wegen versuchten Mordes verurteilter Straftäter will also Deutschland verlassen, aber er darf nicht. Was ist da los?

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Die Staatsanwaltschaft München I, die für G. zuständig ist, sagt, Hubert G. müsse weiter inhaftiert bleiben, weil er zu gefährlich ist. Man wirft also einen Blick in das Urteil des Münchner Landgerichts, das G. 2009 wegen schwerer räuberischer Erpressung, schwerem Raub und versuchten Mordes verurteilt hat. G. wollte nicht arbeiten, brauchte Geld und raubte zusammen mit seinem Bruder Banken aus, von 2003 bis 2008 waren es fünf Filialen im Münchner Umland. Insgesamt 730 000 Euro erbeuteten die zwei. G. schlug verängstigte Bankkunden und Angestellte, bedrohte sie mit einer Pumpgun. Eine Frau, die nicht sofort auf die Knie ging, als er „Geld her, auf den Boden“ schrie, zog er an ihrem Pferdeschwanz nach unten. Um ihre Identität zu verschleiern, redeten die Brüder Italienisch: „Avanti, avanti“ riefen sie sich zu, wenn sie das Geld einpackten, um damit Richtung Österreich zu fliehen.
Und dann kam der 20. November 2008. G. holte draußen das Fluchtfahrzeug, einen alten Renault, als sein Bruder beim Verlassen der Bank auf zwei Polizisten stieß. Sein Bruder feuerte siebzehn Schuss ab und traf einen der Beamten in den Oberschenkel. G. kam zurück und schoss sieben Mal auf den verletzten Polizisten. Getroffen hat er nicht, aber er nahm laut Urteil „den möglichen Tod des Polizeibeamten billigend in Kauf“.

Also verurteilten die Richter ihn nicht nur zu einer lebenslangen Haftstrafe von fünfzehn Jahren, sondern ordneten auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Selbst nach Absitzen seiner Strafe muss G. in Haft bleiben, wenn er weiterhin als gefährlich gilt. Und das tut er. Seit 20. November 2023 ist er in Sicherungsverwahrung, laut der JVA Straubing zu kurz, als dass sie „auf die Gefährlichkeit des Untergebrachten in relevantem Maße einzuwirken“ vermochte. Vor allem, weil G. eine Therapie verweigere. In einem solchen Fall die Haft zugunsten einer Abschiebung zu beenden, stelle „nur die absolute Ausnahme und keinesfalls die Regel dar“, schreibt die Staatsanwaltschaft. Sie weist außerdem darauf hin, dass G., der in Österreich ein freier Mann wäre, nach Deutschland zurückkehren könnte, um wieder Straftaten zu begehen. Zwei Punkte, die G.s Anwältin völlig anders sieht.
Zunächst zu der Gefährlichkeit. Sollen ausländische Straftäter nicht genau deshalb abgeschoben werden, weil sie gefährlich sind? So könnte man das Bayerische Landesamt für Asyl verstehen, das schreibt: „Die Abschiebung von Straftätern dient in erster Linie dem Schutz der deutschen Allgemeinheit und der Aufrechterhaltung der hiesigen öffentlichen Sicherheit und Ordnung.“ Aus Deutschland werden Vergewaltiger abgeschoben, Männer, die Kinder missbraucht haben oder denen man zutraut, einen Anschlag zu begehen. Allein aus Bayern wurden 2024 fünfzehn Personen abgeschoben, die als Extremisten eingestuft waren.
Auch Abschiebungen aus der Sicherungsverwahrung gab es im Freistaat, wie das Landesamt für Asyl mitteilt. So ungewöhnlich wie die Staatsanwaltschaft es darstellt, sind sie offenbar nicht. Ja, die Rückführung von solchen Straftätern sei sogar besonders gewollt: Gerade aufgrund der Anordnung der Sicherungsverwahrung, die auch zur Abwehr einer Gefahr für die Allgemeinheit erfolgt, „besteht ein hohes öffentliches Interesse an der Rückführung“, schreibt das Landesamt für Asyl.
Es mag egoistisch klingen, aber Deutschland scheint es egal zu sein, ob abgeschobene Straftäter in ihrer Heimat weitere Verbrechen begehen. Das Bundesinnenministerium schreibt auf Anfrage: „Ob der Untergebrachte ein Risiko im Abschiebeland darstellt, ist rechtlich ohne Bedeutung.“ Und es klärt auf, dass – rein rechtlich betrachtet – die Gefährlichkeit eines Täters gar keine Rolle spiele, sie sei „unerheblich“. Es geht allein ums Geld. Juristisch ausgedrückt: Der Paragraf 456a der Strafprozessordnung, in dem Abschiebungen aus der Haft geregelt sind, „dient dem fiskalischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, um diese von der Last der Straf- und Maßregelvollstreckung zu befreien, nicht jedoch dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit“.

Eine Ausnahme aber gibt es, so schreibt das auch das bayerische Justizministerium: Wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der eben Abgeschobene wieder nach Deutschland zurückkehrt, um weitere Straftaten zu begehen. Eben das ist die Befürchtung der Staatsanwaltschaft. Dass G. in Deutschland weitere Taten verübt, ist für sie „sehr wahrscheinlich“. G. habe in Österreich keinen „sozialen Empfangsraum, keine Arbeit und keine finanziellen Mittel“. Er sei zuvor nach Deutschland gekommen, um Straftaten zu begehen, warum also nicht wieder?
Hubert G. freilich sagt etwas anderes. Ein Anruf im Gefängnis, G.s Stimme hallt, als stünde er auf einem weiten Flur. Er sagt, er sei ein neuer Mensch, in Österreich wolle er „neu starten“, er könne dort bei der Frau seines Bruders unterkommen. In Deutschland habe er weder Bekannte noch Verwandte. Außerdem sei er 61 Jahre alt und krank. Wieder straffällig werden? „Dann werde ich im Gefängnis sterben.“ Laut seiner Anwältin habe eine Sachverständige bestätigt, dass G.s Aussagen, nicht mehr nach Deutschland zu kommen, glaubwürdig seien. Zudem erscheint es wenig durchdacht, in Deutschland wieder Gesetze zu brechen. In Österreich wäre G. ein freier Mann, weil es dort keine Sicherungsverwahrung gibt, in Deutschland würde er sofort wieder eingesperrt. Auch im Schreiben der JVA steht, dass es derzeit „keine konkreten Anhaltspunkte“ für eine Rückkehr gebe.
Nur: „Ohne konkrete Anhaltspunkte gibt es keinen Grund mehr, dass man ihn hier behält“, sagt G.s Anwältin Daniela Holler. Sie argumentierte mit genau den rechtlichen Grundsätzen, die auch das Bundesinnenministerium und das bayerische Justizministerium nennen. Aber vergebens. Mittlerweile wurde die Ablehnung von G.s Antrag durch die Generalstaatsanwaltschaft bestätigt. Und nun? Legen sie eben wieder Rechtsmittel ein, sagt Holler: „Wir streiten es bis zum Schluss durch.“