Süddeutsche Zeitung

Prozess in Unterfranken:Starben zwei Bahnarbeiter aus Gleichgültigkeit?

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Für zwei Männer endete ein Routineeingriff am Bahngleis vor anderthalb Jahren tödlich. Nun muss sich ein 29-Jähriger vor Gericht verantworten - er soll am Handy beschäftigt gewesen sein.

Von Olaf Przybilla, Stockstadt am Main

Die Bahnstrecke von Darmstadt nach Aschaffenburg ist zweigleisig, im Spätsommer 2020 wurden dort Bauarbeiten in der Nähe einer Eisenbahnbrücke über den Main bei der unterfränkischen Marktgemeinde Stockstadt (Landkreis Aschaffenburg) ausgeführt. Es ging um Korrosions-Arbeiten am Gleis, ein Routineeingriff eigentlich. Für zwei Gleisarbeiter aber endete dieser Eingriff tödlich. Am Morgen des 1. September 2020 kurz vor 8.30 Uhr erfasste die Regionalbahn 28758 der Hessischen Landesbahn die beiden 22 und 34 Jahre alten Männer, beide starben noch an der Unfallstelle.

Wegen fahrlässiger Tötung muss sich an diesem Mittwoch eine Aufsichtsperson am Schöffengericht in Aschaffenburg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 29-Jährigen vor, aus Gleichgültigkeit und "unter Missachtung der ihm obliegenden Unfallverhütungspflichten" für den Tod der beiden Arbeiter verantwortlich zu sein. Statt seiner Pflicht nachzukommen, soll der 29-Jährige mit seinem Mobiltelefon beschäftigt gewesen sein.

Um die Sicherheit der Arbeiter an der Grenze zwischen Bayern und Hessen zu gewährleisten, hatte die zuständige Firma an der Baustelle zwei sogenannte Bahnsicherungstrupps eingesetzt. Die Anklagebehörde geht nun davon aus, der 29-Jährige habe am Unglückstag seinen Posten zunächst verlassen und sei zu seinem Fahrzeug gegangen. Er war an diesem Tag als "Sicherungsaufsichtskraft" eingeteilt. Spätestens als er wenig später zu seinem Einsatzort zurückgekommen sei, habe er erkennen müssen, dass die beiden Arbeiter im Gleisbereich beschäftigt waren - und in dem Moment den gebotenen Sicherheitsabstand zum Gleis nicht einhielten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 29-Jährigen vor, er habe sie unverzüglich auffordern müssen, den Gleisbereich zu verlassen. Die Arbeiter hatten an diesem Tag die Aufgabe, die Wasserrinne am Gleis der Mainbrücke zu reinigen.

Laut Staatsanwaltschaft hätte der 29-Jährige auch einen der Fahrdienstleiter verständigen müssen, damit dieser die Sperrung der Strecke veranlasst. Zwar habe nur sein Kollege das dafür notwendige Verständigungsgerät bei sich gehabt. Dieser aber hätte am Gleis darüber verständigt werden können. Stattdessen soll sich der 29-Jährige nicht auf die ihm zugeteilte Position begeben haben, sondern auf die andere Seite der Gleise, um sich dort mit einem Kollegen zu unterhalten. Anschließend soll der 29-Jährige laut Anklagebehörde zunächst telefoniert und sich danach noch weiter mit seinem Handy beschäftigt haben - ohne auf in den Gefahrenbereich einfahrende Züge zu achten.

Von der mit hoher Geschwindigkeit durchfahrenden Regionalbahn wurden die beiden Arbeiter mit dem Trittbrett in Kopfhöhe getroffen. Die 17 Fahrgäste des Zuges blieben unverletzt, der Zugführer erlitt einen Schock. Die Bahn fuhr noch bis Stockstadt weiter, ehe sie zum Stehen kam. Nach dem Unfall musste die Bahnstrecke zwischen Hessen und Bayern für Stunden gesperrt werden. Für den Prozess am Aschaffenburger Amtsgericht ist nur ein Verhandlungstag angesetzt, das Urteil könnte also noch am Mittwoch ergehen.

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