Stimmkreis Nürnberg-Nord:Zwischen "Gostanbul" und Knoblauchsland

Michael Brückner

"Ich bin ein Bauer": Michael Brückner ist CSU-Kandidat im Stimmkreis Nürnberg-Nord.

(Foto: dpa)

Der Stimmkreis Nürnberg-Nord ist ein besonderes Pflaster für Wahlkämpfer. Nirgendwo in Nordbayern stehen die Chancen für die SPD besser als in einer Gegend, die geprägt ist von Gemüsebauern, Bildungsbürgern - und Migranten. Einer von ihnen könnte der Erste im Landtag werden.

Von Olaf Przybilla

Michael Brückner ist Landwirt, pathetische Reden sind seine Sache nicht. Wenn aber die Sprache auf die Zeit kommt, in der in Nürnberg-Nord bei der Landtagswahl nicht die CSU gewann, dann fallen da zwei Wörter: "Trauer und Resignation" habe er nach den verlorenen Wahlen empfunden, obwohl er sich damals noch gar nicht aktiv um Politik gekümmert habe.

Man muss nur diese zwei Wörter hören, um zu ahnen, wie tief der Stachel in der CSU noch immer sitzt über diese historischen Niederlagen. Obwohl das inzwischen lange her ist: 1994 und 1998 eroberte Renate Schmidt den Stimmkreis für die SPD. Und das gegen Günther Beckstein.

Nürnberg-Nord war immer ein besonderes Pflaster für Wahlkämpfer, und es ist es auch diesmal: Wohl nirgends in Nordbayern dürften die Chancen für einen SPD-Kandidaten so gut stehen wie in dem Stimmkreis nördlich der Nürnberger Burg.

Unberechenbarer Wahlkreis

Das Gebiet ist denkbar heterogen, das macht die Sache für Wahlkämpfer so unberechenbar. Der Stadtteil Gostenhof - Kosename "Gostanbul" - ist geprägt von Migranten. In den sanierten Altbauwohnungen von St. Johannis wohnt städtisches Bildungsbürgertum: Universitätsangestellte aus Erlangen, Juristen, ökologisch Bewegte. Weiter nördlich stehen klassische Mietskasernen, vor allem Angestellte leben dort. Danach kommt der Flughafen, eingerahmt von hübschen Bauernhöfen: das Knoblauchsland, eines der größten Gemüsebauangebiete Bayerns. Auf dem Boden einer Halbmillionenstadt dürfte eine solche Dichte an landwirtschaftlichen Betrieben rekordverdächtig sein.

Von einem dieser Höfe stammt Michael Brückner, 47, der CSU-Bewerber. Er war als Kandidat lange nicht vorgesehen, das macht die Sache nun umso spannender. Nürnbergs CSU-Chef Markus Söder hatte dafür den jungen Juristen Tobias Schmidt auserkoren, einen Mann, der seit seiner Zeit als Fraktionsgeschäftsführer im Stadtrat selbst in der SPD höchstes Ansehen genoss. Einer mit Ambitionen, auf den sie in der Stadt-CSU schon stolz waren, ehe er in München überhaupt etwas geworden war. Schmidt aber musste seine Ambitionen abrupt aufgeben, aus persönlichen Gründen.

Für die CSU war das ein Schock: ein Kandidatenwechsel kurz vor der Wahl, ausgerechnet in Nürnberg-Nord. Dort, wo selbst Günther Beckstein nie sicher sein konnte. 2008 fuhr er gerade mal 40 Prozent der Erststimmen ein, als Ministerpräsident. "Spannend", sagt Beckstein, der künftig privatisiert, sei es dort eben immer schon, der sozialen Gemengelage wegen.

Der SPD-Mann könnte der erste Migrant im Landtag werden

Auch Brückner mögen sie in der CSU, aber als politische Figur ist er das glatte Gegenteil von Tobias Schmidt, den Söder als Vorzeige-Repräsentanten einer aufgeklärten Stadt-CSU aufbauen wollte. Brückner gäbe rein phänotypisch einen guten Franz-Josef-Strauß-Parodisten ab, vom Typ her aber ist er völlig anders: ein ruhiger, fast sanftmütiger Mann, Chef eines Hofes, der sich auf den Anbau von Gurken und Feldsalat spezialisiert hat.

Ist er der richtige Mann für die Stadtbürger aus St. Johannis und Gostenhof? "Ich bin ein Bauer", sagt Brückner mit Stolz in der Stimme, man solle sich aber nicht irren: "Meinen Urlaub verbringe ich am liebsten in Großstädten." Bodenständig und weltoffen sei er und sicher auch in Gostenhof wählbar.

Die Nürnberger Stadträte Theodoros Agathagelidis (l.) und Arif Tasdelen.

Der Nürnberger Stadtrat Arif Tasdelen (SPD) - hier mit dem Kollegen Theodoros Agathagelidis (l.) bei einer Gedenkveranstaltung zum Gedenken an die NSU-Opfer 2012.

(Foto: dpa)

Dort kann man Arif Tasdelen, 39, Personalrat beim Hauptzollamt, beim Straßenwahlkampf beobachten. Tasdelen ist wie Brückner Stadtrat, damit aber enden die Gemeinsamkeiten schon. Würde Tasdelen, geboren in Anatolien, für die SPD in den Landtag gewählt, wäre er dort der erste Migrant.

CSU-Rebellin Gabriele Pauli tritt nicht mehr an

"Das verstehe ich nicht", sagt er. In anderen deutschen Landtagen haben sie Migranten längst zu Fraktionsvorsitzenden bestimmt, in Bayern gibt es noch nicht mal einen Abgeordneten. Tasdelen trägt einen eng geschnittenen Anzug, er zieht von Haustür zu Haustür, um sich herum stets einen Pulk von Helfern. Die SPD legt alles in die Waagschale. Denn wenn sie in Nürnberg-Nord nichts reißt - wo dann?

Söder wiederum unterstützt Brückner, wo er nur kann, in Bierzelten sieht man sie jetzt oft gemeinsam auftreten. Würde Söder den Stimmkreis abgeben müssen, es wäre auch für ihn ein herber Rückschlag. Horst Seehofer mag es nicht, wenn in den CSU-Bezirken nicht erfolgreich gearbeitet wird. Beide Lager geben sich siegesgewiss, dass es eng wird, glauben alle.

Einen Unsicherheitsfaktor immerhin gibt es diesmal nicht mehr: Gabriele Pauli tritt nicht an. Man sieht sie zwar noch auf Wahlplakaten der Freien Wähler. Die aber sind von 2008 und waren eigentlich mit einem anderen Kandidaten überklebt - bis in Nürnberg ein sommerlicher Platzregen niederging.

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