Süddeutsche Zeitung

Stimmkreis München-Stadt Süd:Fast wie die Mutter

Claudia Stamm ist die Tochter der früheren CSU-Sozialministerin Barbara Stamm. Trotzdem kandidiert sie für die Grünen - Streit gibt es deswegen zu Hause nicht.

Jutta Czeguhn

Café Rizzi, in der Münchner Maria-Theresia-Straße. Es ist kurz nach 11 Uhr, Jogger biegen auf die Parkwege des Isarhochufers ein. Dort, links hinter den Bäumen muss der Bayerische Landtag sein. Claudia Stamm kommt den Gehsteig entlang gelaufen, sie hat den hastigen Gang aller jungen Mütter, die ihren Tag straff durchorganisieren müssen.

Ihr Mann ist mit den beiden Töchtern um die Ecke beim Kinderarzt. Deshalb hat sie dieses Café vorgeschlagen. Zufall also, dass es quasi in Rufweite zum Landtag liegt, wo Claudia Stamm die nächsten fünf Jahre arbeiten möchte? Sie setzt sich und bestellt eine Kanne Tee.

Der Landtag - wahrscheinlich wird Claudia Stamm jetzt gleich die innere Stoppuhr drücken. Denn unweigerlich landet ein Gespräch mit ihr binnen Minuten bei dem, was ihre Kandidatur so kurios macht für Medien aus der gesamten Republik, so irritierend für manchen Konservativen aus der eigenen Partei und so unangenehm für die anderen, die "Schwarzen": Als Tochter von Barbara Stamm, CSU-Grande-Dame und ehedem bayerische Sozialministerin, tritt die 37-Jährige als Landtagskandidatin der Grünen an.

Auf Platz 9 der Oberbayernliste, als Direktkandidatin für den Stimmkreis München-Giesing. "Natürlich bin ich die Tochter meiner Mutter", sagt Claudia Stamm, die seit knapp zwei Jahren in Ottobrunn zuhause ist. Professionell antwortet die Hörfunkjournalistin auf die immer gleichen Fragen zum politischen Showdown "Stamm gegen Stamm".

Dass sie die Arbeit und das Engagement ihrer Mutter sehr schätze, nicht aber deren Partei. Dass es eine "Schnittmenge" im Sozialpolitischen zwischen Mutter und Tochter gebe, ansonsten jedoch große Unterschiede etwa bei Themen wie Integrations- oder Umweltpolitik. Und dass der Haussegen bei den Stamms nicht schief hängt, nur weil die Tochter für die Grünen dort hin will, wo die Mutter für die CSU schon viele Jahre ist.

Claudia Stamm dürfte nicht die einzige sein, die politisch einen vollkommen anderen Weg eingeschlagen hat als die Eltern. Nur dass sich im Würzburger Haushalt der Familie Stamm wohl alles sehr verdichtete, was die CSU angeht. Claudia Stamm ist sechs Jahre alt, als ihre Mutter zum ersten Mal in den Landtag einzieht.

Weg aus der Enge

Dass es auch andere Parteien neben der CSU gibt, weiß die Tochter spätestens als Teenager, der in den friedensbewegten 80er Jahren groß wird. Auch im erzbischöflichen, erzkatholischen Würzburg formieren sich die Anti-Atom-Kraft-Gegner. Und die 14-Jährige beginnt - zum Verdruss der Eltern - die Politik der damals noch recht frischen Grünen gut zu finden.

Prägend ist in diesen Jahren ein Onkel, der in Berlin lebt. "Das grüne Schaf der Familie" hat als Entwicklungshelfer in Afghanistan gearbeitet. Auch Claudia Stamm wird zusehen, dass sie fortkommt aus der Enge der Bischofsstadt am Main.

Die Gymnasiastin geht für ein Jahr zum Schüleraustausch in die USA, später lebt sie als Studentin der Politikwissenschaften und Philosophie unter anderem in Berlin und im spanische Salamanca, wo sie recherchiert für ihre Magisterarbeit über Frauen im Widerstand gegen Diktator Franco. Frauenthemen werden ihr weiter wichtig bleiben.

Mit dem Begriff "Heimat" tut sich Claudia Stamm schwer. Als Fränkin fühlt sie sich jedenfalls nicht, sie spricht ohne Dialektfärbung, was nicht nur mit ihrer Rundfunk-Arbeit zutun hat. "Im Moment ist Ottobrunn meine Heimat, die Kinder fühlen sich hier wohl, wir haben Wurzeln geschlagen", sagt sie. Die Gemeinde habe eine sehr gute Infrastruktur, was für Familien mit kleinen Kindern wichtig sei.

Das Wohnen sei noch einigermaßen bezahlbar, die Nachbarschaft sehr nett. Als Landtagskandidatin der Grünen tritt sie allerdings im Münchner Stimmkreis 103 an, zu dem Giesing, Harlaching, Sendling, Thalkirchen, Solln, Fürsten- und Forstenried zählt. Dort hat sie "Claudias Grünen STAMMtisch" eingeführt, steht an Info-Ständen und wirbt zusammen mit den Partei-Veteranen und Spitzenkandidaten Theresa Schopper und Sepp Daxenberger um "Stamm-Wähler".

Trotz langer Affinität für die Grünen ist sie selbst noch ein Partei-Neuling, erst seit Anfang des Jahres ist Stamm eingetragenes Mitglied. Sie spricht von einem "gegenseitigen Erkennen", wenn man sie fragt, wie sie zu ihrer Kandidatur gekommen ist. Dass die Grünen gern prominente Zugpferde unter den Top Ten auf ihren Listen platzieren, ist bekannt.

"In Sachen Gleichstellung Entwicklungsland"

Claudia Stamm glaubt allerdings nicht, dass der Exoten-Faktor bei ihrer Nominierung eine große Rolle gespielt hat. "Stamm"- viele Delegierte hätten den Namen gar nicht mit ihrer Mutter in Verbindung gebracht. Beworben hat sie sich auf Platz sieben und landete bei der Aufstellungsversammlung in Rosenheim schließlich auf Rang 9 der Oberbayern-Liste.

Noch vor Fraktionschef Sepp Dürr, der von den Delegierten auf den zwölften Platz durchgereicht wurde. Für Claudia Stamm ist das Beweis dafür, dass bei den Grünen - anders als bei der CSU - "keine Regie von oben greift". Die Basis lasse sich ihr Mitspracherecht nicht nehmen.

Die Wähler allerdings auch nicht, weshalb Stamms 9. Listenplatz erst einmal gar nichts verheißen muss. In jedem Fall aber, so sieht es Claudia Stamm, sei ihre Platzierung Zeichen für eine "Erneuerung bei den Grünen". Junge Leute wie sie, mitten in der Elternphase, müssten nun auch im Landtag Weichen stellen.

Ende 2007 wurde ihre zweite Tochter geboren, die ältere ist mittlerweile fünf. Claudia Stamm, die als Freie für die Nachrichtenredaktion des Bayerischen Rundfunks arbeitet, hat Elternzeit genommen. Was sich fügt für den Sender, der spätestens sechs Wochen vor der Wahl keine aktiven Wahlkämpfer mehr ans Mikro lässt.

Beim Thema Kinderbetreuung kann sich Claudia Stamm, die beim BR viel im Schichtdienst arbeitet, in Fahrt reden. Zuviel liege hier im Argen. "Deutschland, vor allem Bayern, ist in Sachen Gleichstellung ein Entwicklungsland", lautete der erste Satz ihrer Bewerbungsrede bei der Aufstellungsversammlung.

Vom Landtag, sagt Claudia Stamm, kommen die Abgeordneten gern in den Pausen ins Café Rizzi herüber. Nun will auch sie also dazu gehören. Sie hat den festen Vorsatz, "sich von gewissen Strukturen nicht verbiegen zu lassen". Sie vertraut auf ihren "starken Charakterzug, immer das zu sagen, was ich denke".

Dass sich das Ansehen von Politikern derzeit im freien Fall befindet, weiß auch Claudia Stamm. Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit ist nicht eben das, was man den Parteien-Vertretern attestieren würde. "Wissen Sie, es gibt Ausnahmen in allen Parteien - und meine Mutter würde ich auch dazu zählen."

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Quelle:
SZ vom 18.09.2008/ssc
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