Süddeutsche Zeitung

Stimmenauszählung bei der US-Wahl:Wie Niederbayern den amerikanischen Stolz retten

Lesezeit: 3 min

Der größte Erfolg eines niederbayerischen Unternehmens ist untrennbar mit der größten Blamage bei US-amerikanischen Wahlen verbunden: Wie die speziellen Hochleistungsscanner der Firma Datawin dafür sorgen, dass bei der Auszählung alles glatt läuft.

Wolfgang Wittl

Die Retter des amerikanischen Stolzes arbeiten ziemlich zurückgezogen. Ihr Betrieb befindet sich mitten in einem niederbayerischen Wohngebiet, gegenüber von einem Acker, ein paar Meter weiter spielt der örtliche Fußballverein. Im Innenhof feiert die Belegschaft gelegentlich Grillfeste, doch jetzt stehen hier nur zwei Autos neben einer Reihe von Containern, in denen jene Geräte gefertigt werden, die der kleinen Firma Datawin für wenige Stunden weltweite Bedeutung verschaffen: Datawin mit Sitz in Ergolding bei Landshut produziert Hochleistungsscanner, die bei der Auszählung zur Wahl des US-Präsidenten zum Einsatz kommen.

Der größte Erfolg in Datawins Firmengeschichte ist zweifellos untrennbar mit der größten Blamage bei US-amerikanischen Wahlen verbunden. Al Gore und George W. Bush lagen vor zwölf Jahren nahezu gleichauf, die Entscheidung über die Präsidentschaft musste im Bundesstaat Florida fallen. Doch veraltete Lesegeräte und fehlerhafte Lochkarten ließen die Wahl zum Chaos werden. Es folgten eine Handauszählung und richterliche Beschlüsse, bis der Oberste Gerichtshof gut einen Monat später den Republikaner Bush zum Sieger erklärte - trotz aller Zweifel an dessen Stimmenmehrheit. Die Vereinigten Staaten hatten sich vor aller Welt bloßgestellt und schnell war klar: So eine Peinlichkeit würde sich nie wiederholen dürfen.

Die US-Regierung startete ein Sonderprogramm namens "Hava" (Help America vote act), der Wahldienstleister ES&S (Election Systems & Software) erhielt den Auftrag zur Neustrukturierung der Wahlauswertung. Doch ES&S benötigte einen Partner, der die hohen Anforderungen an die benötigten Scanner erfüllen würde: Die Geräte sollten in einem Durchgang bis zu 1000 Wahlscheine verarbeiten, sie sollten bedienungsfreundlich und nicht zu manipulieren sein - und sie sollten problemlos gefaltete Briefwahlunterlagen einziehen können.

2008 vergab ES&S den Auftrag an Datawin, das sich gegen zwei größere Konkurrenten durchsetzte. Für die kleine Firma aus Ergolding war es der Durchbruch auf dem amerikanischen Markt.

Man muss sich Nischen suchen - es gibt ja genug

"Wir waren immer schon Spezialisten", sagt Peter Schrittenlocher, der geschäftsführende Gesellschafter des Unternehmens. Je komplizierter und individueller das Auftragsprofil, desto mehr steigen die Chancen für Datawin. Gegen die günstigen Serienanbieter aus Asien zum Zug zu kommen, hält Schrittenlocher weder für realistisch noch für wünschenswert. Er sagt: "Man muss sich als mittelständisches Unternehmen Nischen suchen auf dem Weltmarkt, es sind ja genügend vorhanden."

Schrittenlocher, 64, steht wie kein Zweiter für Datawin. Der Ingenieur der Nachrichtentechnik wuchs in Ergolding auf, gründete die Firma und baute sie in 30 Jahren vom Ein-Mann-Vertrieb zum mittelständischen Unternehmen mit 25 Mitarbeitern aus. Zweiter Gesellschafter ist der IT-Dienstleister Datagroup, "eine starke Mutter, die uns Sicherheit gibt", wie Schrittenlocher sagt.

Fünf Millionen Euro beträgt der Jahresumsatz, 80 Prozent davon werden im Ausland erwirtschaftet. Datawin ist auf allen Kontinenten tätig, hat Großkunden in Taiwan und Saudi Arabien. Doch das größte Potenzial liegt derzeit wohl in den USA: DS850 heißt der Hochleistungsscanner, der den Markt erobern soll.

Ein Jahr dauerte die Entwicklung des Gerätes, weitere eineinhalb Jahre die Zertifizierung: Jede Schraube sollte registriert sein, die Maschine wurde testweise enormer Hitze, Kälte und elektromagnetischen Störungen ausgesetzt. Am Ende stand ein Produkt, das allen Ansprüchen genügte: Mit 90 Kilogramm und einem Meter Länge ist der DS850 mobil einsetzbar.

Bis zu 300 händisch ausgefüllte Stimmzettel wertet der Scanner in einer Minute aus. Die gültigen wandern ins untere Fach, die ungültigen ins obere - und die mit Namen versehenen ins mittlere. Die Fehlerquote liegt bei 0,02 Prozent, was allerdings nicht bedeutet, dass falsche Stimmzettel gewertet würden. Hierbei handelt es sich etwa um einen doppelten Blatteinzug, der per Ultraschall erkannt wird. Die Zettel werden dann aussortiert oder die Maschine stoppt.

Nachträgliche Manipulation ist unmöglich

Jedes gescannte Blatt wird außerdem mit einem Code versehen, der eine nachträgliche Bearbeitung im Photoshop unmöglich macht. Die USB-Sticks mit den Ergebnissen sind versiegelt und dürfen lediglich von Notaren entnommen werden. "Ich glaube nicht, dass das Gerät irgendwelche Schwachstellen hat", sagt Schrittenlocher. Er ist überzeugt: "Durch die Auszählung von Menschenhand passieren mehr Fehler."

Der DS850 wurde ausschließlich für ES&S entwickelt, ein Gerät kostet etwa 60.000 Euro. Nahezu sämtliche Teile werden in Ergolding hergestellt - die Kameras mit der Genauigkeit von einem hundertstel Millimeter ebenso wie die Silikonrolle, die bis zu zehn Millionen Blätter einzieht.

100 solcher Scanner hat ES&S bereits gekauft, der Markt für weitere 600 sei vorhanden, schätzt Schrittenlocher. Dass die nun 75 bei der Präsidentschaftswahl eingesetzten DS850 etliche Millionen Stimmzettel auswerten werden, das erfülle ihn mit Stolz auf seine Mitarbeiter, sagt Schrittenlocher. Aber man müsse die Kirche auch im Dorf lassen: "Einen amerikanischen Präsidenten gäbe es auch ohne uns."

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Quelle:
SZ vom 07.11.2012
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