Steuerschätzung:Das Corona-Loch

Bis 2022 drohen dem Freistaat mehr als zehn Milliarden Euro Steuerverluste. Finanzminister Füracker will geplante Investitionen nicht streichen, aber den Haushalt nach Sparpotenzial durchforsten. Wirtschaftsminister Aiwanger liebäugelt derweil mit einem Investitionsprogramm

Von Maximilian Gerl

Albert Füracker zu Steuererleichterungen

Finanzminister Albert Füracker

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Gefühlslage des Finanzministers ist an diesem Freitag widersprüchlich, das räumt er selbst ein und es verwundert nicht. Die Corona-Krise bringt alles durcheinander, weshalb sich der Arbeitskreis Steuerschätzung zu Rechenoperationen mit ungewohntem Ergebnis genötigt sah. Demnach drohen dem Freistaat mehr als zehn Milliarden Euro Steuerverlust bis 2022. Allein für das laufende Jahr erwarte man, etwa 5,5 Milliarden Euro weniger Steuern einzunehmen als noch im Herbst prognostiziert, sagt Albert Füracker (CSU). "Das ist eine erhebliche Summe, die dem Haushalt fehlen könnte" und "ein deutlicher Einbruch, wie wir ihn noch nie in der Nachkriegszeit hatten". Trotzdem sei er "froh, soweit man überhaupt von froh sprechen kann". Schließlich hätte es noch weit schlimmer kommen können.

Corona reißt ein Loch in Bayerns Haushalt. Das, was seit Freitag offiziell ist, war freilich absehbar gewesen. Doch die Dimensionen dieser Krise sprengen regelmäßig alle Vorstellungen, jetzt eben die Haushaltsplanung. Zum Vergleich: Die Finanzmarktkrise führte von 2008 auf 2009 zu Mindereinnahmen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Und damals dachte man, wie Füracker anmerkt, "das ist schon eine sehr große Krise".

Doch nun geht es noch viel, viel größer. Nur etwa 41,6 Milliarden Euro wird der Freistaat 2020 wohl an Steuern einnehmen. Die Mindereinnahmen gehen vor allem auf zwei Effekte zurück. Da sind zum einen die Umsatzeinbußen, die derzeit fast alle Branchen beklagen. Viele Firmenbücher werden am Ende des Jahres bestenfalls eine schwarze Null aufweisen. Zum anderen machen sich die steuerliche Hilfen bemerkbar, die der Freistaat Unternehmern im Zuge der Krise gewährt, also Steuerstundungen und Steuererstattungen.

Die Mindereinnahmen werden sich in den kommenden Jahren fortsetzen, wenn auch nach derzeitigem Stand vergleichsweise moderat. Für 2021 fehlen wohl Einnahmen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro, für 2022 in Höhe von 2,6 Milliarden Euro. Zwar verschafften die milliardenschweren Rücklagen des Freistaats laut Füracker etwas Ruhe. "Aber die Krise, das müssen wir ehrlicherweise sagen, ist zu groß." Entsprechend geht es nun in den kommenden Wochen darum, den Haushalt einerseits umzuplanen, andererseits trotzdem die Wirtschaft mit ausreichend Fördermaßnahmen zu unterstützen. Für Letzteres hat sich die Staatsregierung vom Landtag bereits eine Kreditermächtigung über 20 Milliarden Euro ausstellen lassen - was aber, wie Füracker am Freitag vorsorglich erinnert, nicht als Aufforderung zu verstehen sei, die Summe komplett auszugeben. Er wolle sich die Haushalte der Kabinettskollegen nach Sparpotenzial ansehen. Bereits geplante Investitionen und Maßnahmen werde man aber nicht streichen.

In der Tat ist die Lage ernst. Etliche Betriebe fürchten, die Krise wirtschaftlich nicht zu überleben Selbst der Bund der Steuerzahler stützt darum am Freitag grundsätzlich Fürackers Kurs, dabei war die Aussetzung der Schuldenbremse für ihn immer ein rotes Tuch gewesen. Doch liege "eine Notsituation vor", die neue Schulden erzwinge, "um den Schaden für die Menschen und die Wirtschaft zu minimieren". Allerdings gehörten alle Ausgaben auf den Prüfstand. "Es darf nur noch das ausgegeben werden, was absolut notwendig ist und der wirtschaftlichen Erholung dient. Sonst droht dem Haushalt eine massive Schieflage", teilt der Bund mit.

Doch was genau dient der Erholung? Wirtschaft ist auch immer Psychologie. Und sie ist schwer ins Rollen zu bringen - sogar dann, würden alle Beschränkungen des öffentlichen Lebens sofort aufgehoben. Erstens herrschte schon vor Corona mancherorts Krise, im Autobau etwa. Zweitens ist Bayerns Wirtschaft international eng verzahnt. Wenn ausländische Zulieferer wegen Beschränkungen in ihren Ländern keine Teile schicken können, stehen in Bayern Bänder still. Konsumenten halten sich zurück, Betriebe scheuen Investitionen, der Export ist eingebrochen. Viele Unternehmer haben die Sorge, dass bei einer möglichen zweiten Infektionswelle alles noch schlimmer und kostspieliger werden könnte. Auch reichen die bisherigen Hilfsmaßnahmen nicht aus, sofern sie überhaupt ankommen, Stichwort Soforthilfe: Mit großen Worten gestartet, haben von ihr bis heute viele Solo-Selbständige nichts gesehen. Mit spitzer Zunge appelliert Füracker am Freitag darum an seine Kollegen, keinen Überbietungswettbewerb an Versprechungen zu veranstalten. Jeder solle "in seiner Kommunikation überlegen, was er so tut und macht".

Namen nennt Füracker nicht, muss er auch nicht. Anderthalb Stunden später tritt dann Hubert Aiwanger (FW) mit Ifo-Präsident Clemens Fuest vor die Presse. Das Forschungsinstitut hat erarbeitet, mit welchen Maßnahmen Bayern und der Bund die Wirtschaft stützen könnten. Die Studie ist aber mehr als Gedankenanstoß, weniger als fertiges Konzept zu verstehen. Geringverdiener sollten demnach bei der Einkommensteuer entlastet werden. Firmen sollten mehr steuerrechtliche Möglichkeiten erhalten, um zum Beispiel Investitionen abzuschreiben. Zudem sollten Freistaat und Kommunen mehr investieren und so die regionale Wirtschaft ankurbeln. Vor allem Letzterem gegenüber zeigt sich Aiwanger aufgeschlossen. Allerdings umfasse ein solches Programm wahrscheinlich bis zu einer Milliarde Euro, weshalb man auch mit dem Bund sprechen müsse. Die Vorschläge des Ifo-Instituts sollen nun den Kollegen am Kabinettstisch zugehen, damit daraus ein "Fahrplan für die Wirtschaft" entstehen kann.

Vorerst bleibt also alles, wie es ist in der Corona-Krise: schwierig. Für den Staats- wie den persönlichen Gemütshaushalt. Füracker sagt, Selbstmitleid sei keine Option, und natürlich bestehe die Gefahr, dass die nächste Steuerschätzung im Herbst die Zahlen abermals nach unten korrigiere. Aiwanger sagt, man müsse bei allen Maßnahmen "weiter Vorsicht walten lassen", um ein erneutes Ansteigen der Infektionszahlen zu verhindern. Fuest sagt, man werde wohl langfristig mit dem Virus leben und arbeiten müssen. "Das geht schon, aber es ist ein bisschen rumpelig."

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