Die „Jagd auf die Influencer-Steuersünder“, ein „riesiger Steuer-Skandal“ rund um „Top-Stars von Youtube, Instagram oder Tiktok“ – deutsche Finanzbehörden haben seit einiger Zeit professionelle Socia-Media-Akteure im Visier, Verdacht auf Steuerhinterziehung. Vor allem Boulevardmedien begleiten die Maßnahmen mit flotten Schlagzeilen. Influencer teilen demnach auf ihren Kanälen ihr oft luxuriös anmutendes Leben mit der Öffentlichkeit, beim Fiskus machen sie sich unsichtbar. Als eine Art Speerspitze im Kampf gegen säumige Online-Akteure trat zuletzt das Bundesland Nordrhein-Westfalen in Erscheinung.
Und Bayern? Das Finanzministerium in München gibt sich bislang recht zurückhaltend in der Sache – keine proaktiven Meldungen über das Vorgehen der Steuerbehörden im Freistaat, auch tendenziell spärliche Informationen auf Nachfragen von Medien. Die Summen mutmaßlicher Steuerausfälle, die Stellenzahl der Ermittler, erste Erfolge? Keine Angaben. Wie ist also der Stand der Dinge?
Man unternehme „erhebliche Anstrengungen“, um die korrekte Besteuerung von Influencern sicherzustellen, teilt das Finanzministerium auf Nachfrage der SZ mit. Eine Spezialeinheit am Landesamt für Steuern gehe gezielt möglichen Steuerausfällen bei Geschäftsaktivitäten im Internet nach. Diese habe sich mit großen internationalen Gruppenauskunftsersuchen an Internetplattformen gewandt. Bei derartigen Ersuchen werden Betreiber von Plattformen aufgefordert, Informationen zu digitalen Akteuren zu übermitteln. Dadurch konnte Bayern in den Jahren 2024 und 2025 etwa 60 000 Datensätze für ganz Deutschland mit Bezug zur Branche beschaffen.
Solche Gruppenauskunftsersuchen waren eine Forderung, die der Oberste Rechnungshof (ORH) in Bayern in seinem Jahresgutachten 2024 erhoben hatte. „Der verhältnismäßig junge Geschäftszweig stellt die Steuerverwaltung vor besondere Herausforderungen“, schrieben die unabhängigen Rechnungsprüfer. So komme es bei der Besteuerung von Influencern zu „erheblichen Ermittlungs- und Vollzugsdefiziten“.
ORH-Präsidentin Heidrun Piwernetz nannte im SZ-Interview mal ein Beispiel: „Ein Influencer, der 100 000 Follower auf Instagram und Youtube hat, 1,9 Millionen auf Tiktok – und beim Finanzamt werden 351 Euro Verlust geltend gemacht. Dass das nicht stimmen kann, liegt auf der Hand.“ Auch die Opposition im Landtag zeigte sich nach den Mahnungen des ORH alarmiert. Claudia Köhler, Haushaltspolitikerin der Grünen, befand damals: „Der ehrliche Steuerzahler ist der Dumme, weil die Staatsregierung immer blank ist, wenn es mit Digitalem zusammenhängt.“
60 000 Datensätze sammelte Bayerns Fiskus bundesweit ein
Der ORH hatte über Daten von Finanzämtern und eigene Recherchen im Internet – es ging vor allem um Influencer für Mode, Lifestyle, Reisen und Fitness – aber auch beispielhaft Personen identifiziert, die steuerlich überhaupt nicht erfasst waren. Die aber durch Werbeanzeigen, Abonnements ihrer Kanäle, Kooperationen mit Unternehmen oder „Trinkgelder“ durch Nutzer zuweilen hohe Einkünfte erzielt haben müssen. „Angesichts der Schnelllebigkeit der Branche und der örtlichen Flexibilität der Social-Media-Akteure hält es der ORH für dringend erforderlich, neue Betriebe möglichst zeitnah zu identifizieren und steuerlich zu erfassen“, hieß es im Bericht. Zentral dabei „können und müssen“ eben die besagten Auskunftsersuchen bei den Online-Plattformen sein.
Den Mahnungen ist die bayerische Finanzverwaltung inzwischen in Teilen nachgekommen; der ORH-Bericht bezog sich auf einen früheren Prüfzeitraum, als noch keine Auskunftsersuchen gestellt wurden beziehungsweise keine Ergebnisse vorlagen. Anlässlich einer Sitzung des Haushaltsausschusses im Landtag vor drei Monaten, in der es um offene ORH-Fälle ging, würdigte der Rechnungshof zumindest die Bemühungen: Man erwarte durch ergriffene oder angekündigte Maßnahmen nun „Verbesserungen“.
Die etwa 60 000 Datensätze für ganz Deutschland, die der bayerische Fiskus dieses und vergangenes Jahr bei Plattformen anfordern konnte, haben ein bundesweites Umsatzvolumen von insgesamt etwa 1,4 Milliarden Euro, teilt das Finanzministerium auf Anfrage mit. Dieses Volumen lasse jedoch „noch keine Rückschlüsse auf etwaige steuerliche Auswirkungen“ zu. Auf Bayern entfallen davon 9000 Datensätze; bei der Prüfung des erlangten Kontrollmaterials komme auch eine KI-gestützte Software zum Einsatz, um die Aktivitäten von Influencern auf deren Kanälen zu analysieren. „Soweit die Auswertung Hinweise auf Steuerstraftaten liefert, schaltet die Spezialeinheit umgehend die Steuerfahndung ein.“

Aufstieg der AfD in Bayern:Wie die CSU seit 2015 mit dem „Stinktier“ kämpft
Der sogenannte Flüchtlingssommer vor zehn Jahren veränderte die politische Landschaft auch in Bayern nachhaltig: Die AfD etablierte sich und ist nun stärkste Oppositionspartei. Die CSU verlor deutlich an Zustimmung und schwankt zwischen Ignorieren, Kopieren und Bekämpfen – bis heute ein Spagat.
Das übrige Material sei inzwischen an andere Bundesländer verteilt worden. Stichprobenartige Anfragen der SZ ergeben, dass mehrere Finanzverwaltungen in Deutschland von den aus Bayern gelieferten Daten profitieren. Zum Beispiel Thüringen erhielt mehr als 1000 Datensätze über fast 500 Personen aus dem bayerischen Paket.
Bleibt die Frage, wieso Bayern medial so zurückhaltend agiert? Bis dato gab es keine einzige Pressemitteilung des Ministeriums zum Thema, während ansonsten auch vermeintliche Bagatellen im Zuständigkeitsbereich Finanzen und Heimat eifrig per Aussendung beworben werden; und während andere Bundesländer eben längst öffentlichkeitswirksam versuchen, der Influencer-Szene auf die Pelle zu rücken. Zu weiteren Details oder gar einzelnen Fällen könne auch „aus ermittlungstaktischen Gründen“ keine Aussage getroffen werden, heißt es im Finanzministerium. Soll bedeuten: Man will mutmaßliche Steuerhinterzieher in der Szene nicht warnen.
Im politischen München kursieren derweil noch weitere Deutungsversuche für die Diskretion der Staatsregierung: Es lasse sich nicht zuverlässig schätzen, in welcher Dimension tatsächlich damit Steueraufkommen generiert werden kann. In Nordrhein-Westfalen, wo die Behörden anfangs von einem Steuerschaden von 300 Millionen Euro durch Influencer gesprochen hatten, zeigte sich unlängst, dass damit offenbar der gesamte Umsatz von Akteuren gemeint war. Die Summe der hinterzogenen Steuern dürfte, sofern ermittelbar, am Ende nur ein Bruchteil davon sein. Die bei Influencern oft üblichen Auslandsbezüge – Postings in anderen Ländern und wechselnde Wohnsitze – erschweren offenbar darüber hinaus den Zugriff bei der Umsatzsteuer.
Vielleicht hat die Vorsicht auch mit der Hauspolitik zu tun. Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) ist auch in anderen Fragen dafür bekannt, „nicht über ungelegte Eier reden“ zu wollen, er sagt diesen Spruch sehr häufig. Ähnlich könnte es in dem Fall sein: Rummel erst, wenn das Geld wirklich in der Staatskasse ist. Obwohl das bei Fürackers Vorgänger im Amt sicherlich ganz anders gelaufen wäre: Markus Söder ist ja mit all seinem Darstellungsgeschick selbst ein Influencer, wenn auch nur mit politischer Gewinnabsicht.

