Sterbehilfe:Umkehr ins Leben

Eine 76-jährige Frau aus Bayern wollte sich das Leben nehmen. Die Sterbehilfeorganisation Dignitate soll ihr Hilfe angeboten haben - obwohl die Frau gesund ist. Eine Landrätin konnte die Frau umstimmen.

Hans Holzhaider

Die Landrätin des Landkreises Rottal-Inn, Bruni Mayer, hat durch ihren persönlichen Einsatz möglicherweise verhindert, dass sich zum ersten Mal ein Mensch in Deutschland mit Unterstützung einer Sterbehilfeorganisation das Leben nimmt.

Sterbehilfe: Eigentlich wollte sich die 76-Jährige aus Niederbayern selbst das Leben nehmen. Die Landrätin Bruni Mayer konnte sie von diesem Plan abbringen.

Eigentlich wollte sich die 76-Jährige aus Niederbayern selbst das Leben nehmen. Die Landrätin Bruni Mayer konnte sie von diesem Plan abbringen.

(Foto: Foto: dpa)

In mehreren Gesprächen mit einer 76-jährigen Frau im niederbayerischen Simbach am Inn erreichte Mayer, dass die alte Dame von ihrem ernsthaften Vorhaben, mittels eines tödlichen Medikaments aus dem Leben zu scheiden, zumindest vorläufig Abstand nahm. "Sie hat mir versprochen, dass sie jetzt nichts unternimmt", sagte Bruni Mayer zur SZ.

Die Polizei geht davon aus, dass die lebensmüde Frau in Kontakt mit dem Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold stand. Arnold ist der stellvertretende Vorsitzende von Dignitate, dem deutschen Ableger der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas. Er hatte erst vor kurzem mit der Ankündigung Aufsehen erregt, Dignitate wolle erstmals in Deutschland einem Menschen bei der Selbsttötung helfen und damit einen juristischen Präzedenzfall schaffen.

Der Fall hatte seit dem letzten Wochenende die Behörden im Landkreis Rottal-Inn beschäftigt. Am Samstag hatte ein persönlicher Bekannter der 76-Jährigen die Polizei von dem Selbstmordplan informiert. Die Polizei unterrichtete daraufhin das Landratsamt, das zuständige Vormundschaftsgericht in Landshut und die Staatsanwaltschaft.

Am Dienstag trafen sich Vertreter dieser Behörden, unter ihnen auch Landrätin Mayer, um zu beraten, was zu tun sei. In Frage kam in erster Linie eine Unterbringung der Frau in einer psychiatrischen Anstalt.

Das ist nach dem Bayerischen Unterbringungsgesetz aber nur möglich, wenn der Betroffene psychisch krank oder zumindest gestört ist. Ein Vormundschaftsrichter und ein Arzt des Gesundheitsamts konnten aber bei einem Besuch keinerlei Anzeichen einer psychischen Erkrankung der Frau feststellen.

Auch ein psychiatrischer Sachverständiger kam nach einer sorgfältigen Exploration zu dem Schluss, dass die Lebensmüde geistig völlig gesund und entscheidungsfähig sei. "Eine Unterbringung gegen ihren Willen kommt somit nicht in Frage", sagte der juristische Beamte im Pfarrkirchner Landratsamt, Herbert Horak.

Die Landrätin, schon immer für ihre unkomplizierte und zupackende Art bekannt, nahm die Sache umgehend selbst in die Hand. Dreimal suchte sie die Frau in deren Wohnung auf, dann war die alte Dame, die nie verheiratet war und keine Kinder hat, bereit, ihr Vorhaben zunächst aufzugeben.

Nach Bruni Mayers Einschätzung war Einsamkeit der Hauptgrund, der die Rentnerin zu ihrem Entschluss getrieben hatte. Sie leidet zwar unter einigen altersbedingten Behinderungen, aber nicht an einer schweren oder sehr schmerzhaften Erkrankung. "Nach unserem letzten Gespräch hat sie den Arzt angerufen und ihm gesagt, er braucht nicht mehr zu kommen", berichtete Bruni Mayer. Jetzt müsse man Mittel und Wege finden, die Frau aus ihrer sozial isolierten Situation zu befreien.

Uwe-Christian Arnold bestätigte den Kontakt zu der 76-Jährigen, bestritt aber, dass er vorgehabt habe, der Frau in Deutschland beim Selbstmord behilflich zu sein. Die Frau sei Mitglied bei Dignitate, sagte Arnold. Er habe sie im Juli besucht, um einen Suizid in der Schweiz vorzubereiten. Damals habe er den Eindruck gehabt, sie sei so schwer krank, dass ihr Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, berechtigt sei.

Keinesfalls habe es sich bei der Simbacherin um den von ihm angekündigten Präzedenzfall einer Beihilfe zum Selbstmord in Deutschland gehandelt. Er habe die Frau jetzt lediglich noch einmal aufsuchen wollen, weil er ohnehin das Wochenende in Süddeutschland verbringe. Möglicherweise sei das von der Frau missverstanden worden, sagte Arnold.

Die Berliner Ärztekammer hat mittlerweile gegen Arnold eine "Untersagungsverfügung" erlassen, in der ihm alle Maßnahmen verboten werden, "die geeignet sind, den Tod der ... (Name der Patientin) herbeizuführen". Gleichermaßen wird ihm untersagt, "sie in ihrem Wunsch zu sterben zu unterstützen oder ihr todbringende Medikamente zu verabreichen". Vom Landratsamt sei ihm verboten worden, sich der Wohnung der Frau zu nähern, sagte Arnold.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk äußerte sich "sehr erleichtert", dass es durch unbürokratisches Zusammenwirken der zuständigen Stellen gelungen sei, die Frau von ihrer Selbstmordabsicht abzubringen. Der Fall zeige, so Merk, "wie hochgefährlich das Tun von Sterbehilfeorganisationen ist, die offenbar nicht davor zurückschrecken, auch körperlich völlig gesunden, aber vereinsamten und deshalb verzweifelten Menschen den Suizid anzubieten". Sie werde deshalb mit allen Mitteln dafür kämpfen, "dass das Treiben dieser Organisationen in Deutschland verboten und bestraft wird", kündigte Merk an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: