Süddeutsche Zeitung

Stellenabbau bei Airbus:Manching in Schockstarre

Es trifft fast jeden vierten Mitarbeiter: Airbus streicht 1010 Stellen im "Eurofighter"-Werk im oberbayerischen Manching. Die Stimmung schwankt zwischen Wut und Hilflosigkeit. Manche sehen die Hauptschuld in Berlin. Doch die Politik macht wenig Hoffnung.

Von Mike Szymanski, Frank Müller und Wolfgang Wittl

So viel Zeit muss sein: In wenigen Minuten beginnt die eiligst einberufende Betriebsversammlung, es pressiert, doch ein paar Sätze muss Betriebsratschef Thomas Pretzl noch loswerden: "Extrem geladen" sei die Stimmung in der Belegschaft, "nicht nachvollziehbar" die Entscheidung der Konzernspitze. Und dass man um die Arbeitsplätze kämpfen werde. Mit welchen Mitteln, wird Pretzl gefragt. Kurze Pause. "Wir sind noch in der Informationsphase."

Manching bei Ingolstadt, hier steht das militärische Luftfahrtzentrum des Konzerns, der vor kurzem noch EADS hieß und sich nun Airbus nennt. Sechs Werksfahnen wehen im eisigen Wind, die Stimmung ist auf Halbmast. Am Montag sickerte durch, dass der Konzern mit seinen angekündigten Stellenstreichungen ernst macht. Das Ausmaß für Manching ist schockierend: Etwa 2600 Arbeitsplätze sollen in Deutschland gekappt werden, 1010 davon in Manching - mehr als an jedem anderen Standort. Es trifft fast ein Viertel der Belegschaft, damit hatte niemand gerechnet.

"Von jeder Emotion ist etwas dabei", berichtet ein Betriebsrat und Gewerkschafter nach ersten Gesprächen mit Beschäftigten: Fassungslosigkeit, Zorn, auch Trauer und Hilflosigkeit. Vor Journalisten will sich niemand äußern. Mitarbeiter hasten an den Mikrofonen vorbei, einer entschuldigt sich nahezu akzentfrei mit den Worten, er spreche kein Deutsch. Immerhin kann er noch lächeln. Von der Unternehmensleitung soll es die Anweisung geben, dass sich niemand äußern dürfe.

Wirkungen über Airbus hinaus

Auch Manchings Bürgermeister Herbert Nerb war zunächst sprachlos. "Das hat mich umgehauen", gibt er zu. Nerb war von 200 Stellen ausgegangen, die gestrichen werden sollten. So wurde es ihm zumindest von verschiedenen Seiten zugetragen. Von Leuten, die sich auskennen und etwas zu sagen haben, wie er glaubte. Nun das: 1000 Arbeitsplätze bis 2017.

Welche Auswirkungen das für den Ort hat, für seine Steuereinnahmen, das vermag noch niemand abzuschätzen. Mit Airbus allein sei es ja nicht getan, sagt Nerb. Zulieferbetriebe, der Metzger, der Bäcker, sie alle werden den Einschnitt zu spüren bekommen.

Die bayerische Staatsregierung hat sich mit dem Stellenabbau offenbar bereits abgefunden. Ministerpräsident Horst Seehofer lehnt Staatshilfen ab: "EADS ist ein ganz anderer Fall als Loewe und Weltbild. Ich kann nicht glaubwürdig auf der einen Seite dafür kämpfen, dass wir weniger für Rüstung brauchen, und wenn dann ein Konzern hergeht und sagt, ich passe meine Konzernstruktur dieser Realität an, sagen: Das ist falsch."

Auch Staatskanzleichefin Christine Haderthauer (CSU) schließt sich dieser Haltung an, den Jobverlust nennt sie "bedauerlich". In den betroffenen Regionen würden Fachkräfte gesucht. "Wir gehen von einem hoch aufnahmefähigen Arbeitsmarkt aus", sagt Haderthauer, die nur ein paar Kilometer von Manching entfernt ihr Zuhause hat.

Auch Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) versucht erkennbar, keine zusätzliche Aufregung zu produzieren. Sie habe schon Gespräche geführt und werde dies im Lauf der Woche weiter tun. Staatshilfen für das Unternehmen schieden aber in jedem Fall aus, sagt sie am Rande der Sitzung der CSU-Fraktion im Landtag. Vor allem müsse es nun um die betroffenen Ingenieure gehen. Der Arbeitsplatzabbau solle "möglichst nicht über betriebsbedingte Kündigungen vor sich gehen", hofft sie.

Die Mitarbeiter in Manching bekommen von den politischen Beileidsbekundungen nichts mit. Fast 3000 von ihnen sind am Dienstagnachmittag in die Lackierhalle gekommen, um zu hören, was ihnen Bernhard Gerwert, der Chef der Airbus-Rüstungssparte, zu sagen hat. Ihre Stimmung changiert zwischen Schockstarre und Verärgerung, wie es heißt. Auch Pfiffe gibt es. An der Entschlossenheit des Unternehmens dürften sie kaum etwas ändern. Gerwert kündigt an, dass er betriebsbedingte Kündigungen vermeiden wolle. Ausschließen kann er sie nicht. Die Zielmarke bleibt: 1010 Stellen bis 2017.

So lange sind die Auftragsbücher noch gut gefüllt. Der Eurofighter wird hier montiert, die Bundeswehr lässt ihre Maschinen warten. Manching sei nicht nur der größte Standort, sondern auch einer der profitabelsten, sagt Betriebsratschef Pretzl: "Die Kollegen kommen am Wochenende rein und machen Überstunden."

Wie das Pensum mit einer derart geschrumpften Belegschaft zu bewältigen sein soll, sei ihm ein Rätsel. Tatsache ist aber auch, dass die Auftragslage nach 2017 anders aussehen wird. Die letzte Tranche des Eurofighters wurde vom Verteidigungsministerium bereits vor zwei Jahren abbestellt, ein Milliardengeschäft war damit geplatzt.

Kahlschlag als Druckmittel?

Immer wieder werden am Dienstag daher auch Forderungen laut, die Bundesregierung solle ihrer Pflicht nachkommen. "Die Politik ist gefordert", sagt Pretzl. Der Staat müsse die einst georderten Eurofighter auch abnehmen, Verträge müssten eingehalten werden. Aus Gewerkschaftskreisen heißt es, Deutschland riskiere in einem wesentlich Gebiet seine Position als Technologiestandort, sollte die Luftfahrtindustrie jetzt aufgegeben werden.

Es gibt Stimmen in Manching, die eine eigene Theorie entwickelt haben. Und die geht so: Airbus wolle durch den angekündigten Kahlschlag lediglich Druck auf die Regierung aufbauen, nachdem EADS die angestrebte Fusion mit der britischen Waffenschmiede BAE verwehrt worden sei. Der Konzern versuche nun wohl, auf diese Weise seine Aufträge zu sichern. In der Gewerkschaft teilt man diese Einschätzung nicht. Aus taktischen Gründen mit den Ängsten der Mitarbeiter zu spielen, das traut man der Unternehmensführung dann doch nicht zu.

Zwei Stunden dauert die Betriebsversammlung, dann steht Betriebsratschef Thomas Pretzl wieder vor dem Tor. Er sei immer noch geplättet ob der großen Zahl. Doch er schaut schon nach vorn: "Dieser Standort ist bereit zu kämpfen für die Arbeitsplätze", sagt er.

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SZ vom 29.01.2014/infu
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