Overtourism im GebirgeWenn man in Bayerns Bergen nicht mehr skifahren kann

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Der Südliche Schneeferner auf der Zugspitze in einer Aufnahme aus dem Jahr 2021. Ein Jahr darauf hat er nach wissenschaftlichen Kriterien seinen Status als Gletscher verloren.
Der Südliche Schneeferner auf der Zugspitze in einer Aufnahme aus dem Jahr 2021. Ein Jahr darauf hat er nach wissenschaftlichen Kriterien seinen Status als Gletscher verloren. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Dumm, überflüssig, wertlos: Der Extrembergsteiger Stefan Glowacz geißelt im Gespräch mit Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber den weiteren Ausbau von Pisten im Freistaat und die Eventisierung der Bergwelt. Glauber kontert - einigermaßen ungewöhnlich.

Von Matthias Köpf

Sei es in Kanada oder Oman, Grönland oder Vietnam, in Mexiko oder in der Antarktis: Der Extrembergsteiger und Spitzenkletterer Stefan Glowacz ist selbst schon an viele Orte gelangt, die für die meisten anderen Menschen unerreichbar bleiben, und das auf Wegen und Routen, die nur ganz wenige außer ihm gehen und klettern können. Eine Sache ist aber auch für den mittlerweile 60-jährigen Glowacz inzwischen nahezu unmöglich und bleibt eine ferne Erinnerung an seine Kindheit und Jugend in Oberau bei Garmisch-Partenkirchen.

Wie sie also damals mit dem Fahrrad zum Eibsee gefahren „und nackert allein in der Schweinebucht gelegen sind, selbst am Wochenende“ – das ist dort am Fuß der Zugspitze kaum mehr vorstellbar. Dafür zieht es mittlerweile viel zu viele Menschen an den Eibsee, und sei es nur zur Selbstinszenierung im Internet. Dass Extremsportler wie er ihre Abenteuer vermarkten und damit auch in Sachen Selbstinszenierung eine Art Pioniere sind, ist Glowacz bewusst. Zugleich tritt er immer wieder gegen die zunehmende Eventisierung und Übernutzung der Bergwelt ein, auch am Montag bei einer Diskussion mit Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) im Münchner Presseclub. Die Berge dürften nicht zum Freizeitpark und „nicht zu einem Disneyland werden“, mahnt Glowacz.

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Zugleich dürfe aber auch „der Mensch aus der Natur nicht herausgeschützt werden“, ergänzt Glowacz, denn nur so könne man wirklich begreifen, wie schützenswert die Natur ist. „Und man sieht ja das Bedürfnis der Menschen, in die Natur hinauszugehen.“ Die Frage ist für Glowacz dabei aber, wie sie das tun, wie sie dorthin kommen und welchen ökologischen und klimatischen Fußabdruck sie dabei insgesamt hinterlassen. Und ob jedes Angebot, das die Touristiker in den Bergen schaffen, wirklich zukunftsträchtig ist.

In Bayern trotz des in den Alpen besonders schnell fortschreitenden Klimawandels immer noch Skilifte zu bauen, nennt Glowacz zum Beispiel „viel zu kurzsinnig“, „überflüssig“, „wertlos“ und ganz schlicht: „dumm“. Denn Skifahren werde in Bayerns Bergen bald nicht mehr möglich sein. Auch in Garmisch-Partenkirchen bleibe es zum Beispiel im Tal inzwischen oft grün und nur die künstlich beschneiten Pisten zögen sich weiß von den Bergen herunter.

Was die langfristigen Perspektiven für den Skibetrieb im Freistsaat angeht, ist sich Glowacz einig mit Bayerns Umweltminister. Und doch muss Thorsten Glauber (FW) als Mitglied der Staatsregierung deren Pläne rechtfertigen, bei Aus- und Neubauten von Bergbahnen und Skipisten sehr viel seltener Umweltverträglichkeitsprüfungen zu verlangen. Inhaltlich ändere sich an den Prüfungen nichts, beteuert Glauber, während ein breites Bündnis aus Oppositionsparteien und Naturschutzverbänden kritisiert, dass künftig in den allerwenigsten Fällen überhaupt noch geprüft werden solle.

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (links) und Extrembergsteiger Stefan Glowacz im Gespräch im Presseclub München.
Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (links) und Extrembergsteiger Stefan Glowacz im Gespräch im Presseclub München. (Foto: Matthias Köpf)

Glauber setzt dem eine Erfahrung seiner bald siebenjährigen Amtszeit entgegen: „Die Projekte, die bei mir auf dem Schreibtisch lagen, sind am Ende doch gebaut worden“ – und das oft nach einem lokalen Bürgerentscheid.  Wenn ohnehin stets „der Tourismus obsiegt“, wie Glauber es ausdrückt, dann könne es doch wenigstens schneller gehen. „Zehn oder 15 Jahre für so ein Projekt, das ist doch am Ende nicht mehr vertretbar.“ Zudem wolle der Freistaat mit der Reform der Umweltverträglichkeitsprüfungen lediglich gleiche Standards schaffen wie in Österreich und der Schweiz.

Wie die Schweizer Behörden im Mai mit dem Bergsturz umgegangen sind, der das Dorf Blatten verschüttet hat, nennt Glauber „hochprofessionell“. Aus Glowacz’ Sicht sind prominente Bergstürze wie dieser „nur die Spitze des Eisbergs“. In Wirklichkeit komme es durch Erderwärmung und schwindenden Permafrost zu viel mehr Bergstürzen, als einer größeren Öffentlichkeit bekannt würden, zuletzt etwa an der Eiger-Nordwand oder in der Mieminger Kette in Tirol, wo bei Kletterrouten plötzlich ganze Seillängen fehlten. Als er selbst mit dem Klettern begonnen habe, seien Bergstürze überhaupt kein Thema gewesen, sagt Glowacz. Inzwischen sei klar, dass eines Tages „bestimmte Wege gesperrt oder umgeleitet werden müssen“.

Auch das Abtauen der Gletscher und in der Folge ein absehbarer Wassermangel bedroht in seinen Augen die Existenz mancher Orte, wenn auch weniger in Bayern. Die letzten vier Gletscher Bayerns und ganz Deutschlands sind für den Wasserhaushalt jedenfalls kaum mehr von Bedeutung und werden laut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wohl bis spätestens 2034 ganz verschwunden sein.

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