Süddeutsche Zeitung

Staudhamer See:Ein See zum Streiten

Der Eigentümer des Staudhamer Sees will eine der beliebtesten Badestellen der Region schließen. Nach 21 Jahren muss auch der Kiosk von Hannelore und Jürgen Kleinhenz dichtmachen. Bürgermeister und Badegäste sind sauer.

Von Ines Alwardt

Es sieht schon ein bisschen nach Abschied aus vor dem Kiosk am Staudhamer See. Im Beet auf der Wiese wuchern Pflanzen, umrandet von Buchsbäumen, davor im Gras liegen vier Büschel Unkraut. "Da, die hab' ich no' rauszupft", sagt Pächter Jürgen Kleinhenz und schaut über die Wiese hin zum See, das Gras steht hoch. "Ja, wir fangen scho an und lassen alles zuwuchern." Seine Frau Hannelore Kleinhenz steht neben ihm. "Wir pflegen ja nichts mehr", sagt sie. "Für was denn?"

Sie machen jetzt nur noch das Nötigste: Mülltonnen ausleeren, Rasen mähen, wenn der Klee anfängt zu blühen und die Bienen anzieht, "das is' ja gefährlich für die kleinen Kinder". Man kann die Liegewiese nicht ganz verwildern lassen. Die Badegäste wollen es schön haben, sich zu Hause fühlen, auch jetzt noch. Ende der Saison machen sie ihren Kiosk dicht. Nach immerhin 21 Jahren.

Der Eigentümer des Sees, Josef Irlbacher, schließt die Badestelle, am 31. Dezember ist offiziell Schluss. Nach 30 Jahren läuft der Pachtvertrag aus, den der Landkreis Rosenheim noch mit Irlbachers Vater geschlossen hat. Der Sohn hat ihn nicht verlängert, im April kam die Kündigung. "Er will seine Ruhe", sagt Jürgen Kleinhenz und faltet die Hände über dem gebräunten Bauch. "Wir müssen das akzeptieren."

Öffentlicher Zugang seit fast 120 Jahren

Der Staudhamer See, ein Moorweiher vier Kilometer von Wasserburg entfernt, ist seit Jahrzehnten einer der beliebtesten Badeplätze in der Region, schon seit 1898 gibt es den öffentlichen Zugang. Gäste jeden Alters kommen, um hier zu schwimmen, nicht nur aus der Umgebung: Viele fahren aus München, Ebersberg, Wasserburg oder Erding nach Staudham, um sich auf der grünen Liegewiese zu entspannen und im See zu baden; an warmen Tagen kommen unter der Woche etwa 50 Gäste, am Sonntag ist die Liegewiese voll.

Nicht länger als 500 Meter ist der kleine See, im Sommer steigt die Wassertemperatur schnell über 20 Grad, besonders Familien mit kleinen Kindern schätzen deshalb den Weiher. Und weil das Ufer flach ins Wasser führt: Denn es ist die einzige Badestelle in der Gegend, an der Kinder gefahrlos einfach ins Wasser laufen können. Etwas Vergleichbares gibt es in der ganzen Umgebung nicht. Der Kesselsee wurde schon vor Jahren aus Naturschutzgründen geschlossen, am Penzinger See müssen die Gäste über Betonstufen ins Wasser steigen, 2,50 Euro kostet der Eintritt. Ein Besuch in Staudham ist umsonst.

Hildegard Wiegand kommt seit 20 Jahren an den Staudhamer See, weil es der schönste Platz ist in der ganzen Umgebung, sagt sie. In Ebersberg drüben haben sie nur den Klostersee, "verflixt klein" sei der, eine "Pfütze" im Vergleich zu diesem. Seit ihr Mann in Rente ist, fahren sie vier mal in der Woche her. Manchmal zum Schwimmen, immer zum Ratschen. Ein Badesee ist nicht nur ein Badesee, er ist auch ein Stück Leben, ein Stück Zuhause. Die Stammgäste fühlen sich wie eine Familie. "Früher, wenn eine Straße gebaut wurde, wurden die Leute enteignet", sagt Wiegand. "Sollen sie den doch enteignen!"

Der Besitzer redet nicht

Alle hier reden über Josef Irlbacher, "den da oben", der sich ein Haus gebaut hat oberhalb des Sees, direkt an der Bundesstraße 304. Sie nennen es hier unten "Toskana-Villa". Sie schimpfen über den "Großgrundbesitzer", den "Kinderfeindlichen", der die einzige Badestelle in der Region schließt, an der Kinder ungehindert ins flache Wasser laufen können.

Nur Josef Irlbacher selbst redet nicht: Wenn man ihn anruft, wird er schnell sauer. Er sagt, er wolle sich zu der Sache nicht äußern. So viel verrät er aber doch: Niemand wisse, wie es sei, 25 Jahre lang neben einem Badesee zu wohnen. Für ihn, sagt er, sei die Sache nun erledigt.

Vor zwei Wochen haben sie unten am See sogar einen kleinen Protestzug organisiert, 50 Leute waren da mit Transparenten, "Wohin im Sommer 2015?", "Bitte, lasst uns den Staudhamer Badesee" stand da geschrieben, auch die Lokalzeitungen waren da, sogar das Fernsehen hat berichtet. Genützt hat es nichts.

"Der Mann ist mächtig, dem gehört hier alles", sagt Daniel Riemer. Die Felder drum herum, der See, die Gastwirtschaft oben an der Bundesstraße. Zusammen mit seiner Frau hat Riemer die Demo organisiert und einen Brief an Josef Irlbacher geschrieben: Warum er den einzigen kinder- und familienfreundlichen Zugang am See schließen will, haben sie ihn gefragt. Er hat nicht geantwortet.

Aber es geht nicht nur um den See, es geht auch um die Frage, ob es moralisch ist, wenn ein Mensch, der sehr viel Grund besitzt, der Allgemeinheit nicht ein kleines Stück davon abgibt. Neulich haben sie in der Lokalzeitung geschrieben: "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm . . ." Hannelore Kleinhenz sagt: "Aber mit seinem Vater konnte man wenigstens reden."

Die Straße ist lauter als die Kinder

Fünf Minuten sind es vom See zu Fuß zum Haus von Josef Irlbacher; es steht versteckt hinter einer hohen Hecke, man hört die Autos auf der B 304 vorbeirasen. Dass der angebliche Lärm vom Badesee der Grund dafür ist, dass der Eigentümer die Stelle schließen will, glaubt unten am See keiner. Die Straße sei viel lauter, außerdem sei jeden Abend spätestens von acht Uhr an nichts mehr los.

Michael Kölbl kennt die Argumente. Der Wasserburger Bürgermeister hat versucht, mit Josef Irlbacher zu verhandeln und ihm angeboten, eine Schranke mit Zeitschaltung aufzustellen oder auf Kosten der Stadt Parkplätze und eine Erschließungsstraße zu bauen. Ohne Erfolg. "Er ist nicht mehr interessiert daran, den Badeplatz zu erhalten", sagt Kölbl, und es sei auch "keine ausgeprägte Kompromissbereitschaft" vorhanden gewesen. Im Landratsamt Rosenheim hat man die Hoffnung aufgegeben: Josef Irlbacher plane, an der Badestelle einen Jungwald anzupflanzen. Und wer aufforstet, hat nach Artikel 32 des Bayerischen Naturschutzgesetzes auch das Recht, die Fläche einzuzäunen.

In Seewies wird verhandelt

Es ist später Nachmittag, am Ufer planschen Kinder im Wasser, ein Opa badet mit der Enkelin, am Kiosk schlendert ein Paar mit Picknickkorb vorbei. Jürgen Kleinhenz schaut hinüber ans andere Ufer, man sieht einen Steg - die andere Badestelle drüben in Seewies. Auch dort gehört Josef Irlbacher Grund. Die Bürgermeister verhandeln jetzt mit ihm, ob und wie man den Zugang attraktiver gestalten könnte. Kleinhenz schüttelt den Kopf. Drüben ist es viel enger, die Liegewiese schattig, Hecken versperren den Blick auf den See. "Des is nicht schön, da drüben, des ist nix", sagt er.

Die vier Büschel Unkraut liegen noch immer im Gras, später wird Kleinhenz sie wegräumen, er wird die Mülltonnen ausleere, neue Beutel einziehen und aufräumen, wie jeden Abend. So viel Ordnung muss sein am Staudhamer See, auch jetzt noch, findet er.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2014/wolf
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