Statistik:Mehr Unfälle, mehr Tote

Die Verkehrsunfallbilanz für 2018 fällt düster aus, 618 Menschen starben. Das hat unterschiedliche Gründe - Selbstüberschätzung ist einer davon

Von Maximilian Gerl

Am Freitagmorgen erwartet Joachim Herrmann einer dieser Termine, die wenig Freude bereiten und doch sein müssen. Als Innenminister ist er dafür zuständig, jedes Jahr die Verkehrsunfallstatistik des Freistaats vorzustellen. Die für 2018 bietet besonders wenig Anlass zu Freude: mehr Verkehrsunfälle, mehr Verletzte, mehr Tote. Insgesamt ereigneten sich im vergangenen Jahr auf Bayerns Straßen 410 252 Unfälle, das entspricht einem Plus von 1,3 Prozent gegenüber 2017. Die Zahl der dabei Verletzten erhöhte sich um 0,9 Prozent auf 70 301 Personen. 618 Menschen starben. Zehn mehr. "Zu hohe Geschwindigkeit ist leider immer noch die Ursache Nummer Eins", sagt Herrmann. Ungefähr jeder fünfte Verkehrstote sei nicht angeschnallt gewesen. Später, da referiert Herrmann gerade über seine eigenen Erlebnisse im Straßenverkehr, wird er ein Wort verwenden, das auf manch fahrerische Selbstüberschätzung gut passen dürfte: Idiotie. Verkehrsregeln seien zum Schutz aller Teilnehmer gedacht, "nicht zu ihrem Ärgernis".

Ein zweiter Blick in die Statistik offenbart: Die Zahl der Toten und Verletzten stagniert seit Jahren. Mal geht es ein paar Prozentpunkte hinauf, mal hinunter. 2014 zum Beispiel starben im Verkehr 619 Menschen, fast genau so viele wie im vergangenen Jahr. Die Gründe dafür sind vielfältig. Manchmal liegt es schon an der Sonne. Der Sommer 2018 startete früh und endete spät. Viele Menschen brachen häufiger als sonst zu Ausflügen auf. Das Ergebnis zeigt sich gerade bei den Motorradfahrern. 147 von ihnen kamen ums Leben. Fast jeder vierte Verkehrstote in Bayern war damit ein Biker. Verglichen mit dem Anteil, den Motorradfahrer im Verkehrsgeschehen einnähmen, sei dies eine "überproportionale Zahl", sagt Herrmann. Alle bayerischen Polizeipräsidien haben deshalb spezielle Motorradkontrollgruppen eingerichtet. Generell sollen Verkehrs- und Alkoholkontrollen verschärft werden, um Sünder eher aus dem Verkehr zu ziehen.

Anderen Ursachen ist schwerer habhaft zu werden. Eine ist schlicht mathematischer Natur: Es fahren mehr Autos auf bayerischen Straßen herum, damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls. So hat sich die Zahl der im Freistaat zugelassenen Fahrzeuge seit 2011 um 13,6 Prozent erhöht - auf rund zehn Millionen. Im gleichen Zeitraum wuchs die Bevölkerung von 12,4 auf 13 Millionen Menschen. Das Kfz-Wachstum ist damit stärker als das Bevölkerungswachstum. Auch die Demografie scheint eine Rolle zu spielen. Verkehrsunfälle mit Personenschaden und Beteiligung von Senioren nahmen um 5,5 Prozent auf 12 716 zu. 152 davon endeten tödlich und waren gleichzeitig von den Senioren verursacht worden. Das bedeutet ebenfalls einen Anstieg, nämlich um 8,6 Prozent. Und dann ist da noch die Umwelt. Rund 76 000 Unfälle mit Wildtieren verzeichneten die Statistiker zuletzt. Im Jahr 2009 waren es noch 55 000 gewesen. Hoffnung macht immerhin ein Pilotprojekt, das in der vergangenen Woche auf einigen Straßen Ost- und Nordbayerns startete. Dort wurden mit Sensoren ausgerüstete Kästen an Straßenleitpfosten geschraubt. Sobald die Geräte Wärmequellen neben der Straße erfassen, schlägt eine gelbe Leuchte Alarm.

Besonders tragisch: 2018 starben 17 Kinder im Verkehr, so viele wie zuletzt vor elf Jahren. Vier von ihnen verunglückten auf dem Schulweg, unter ihnen ein Mädchen auf dem Fahrrad, das von einem Lkw beim Abbiegen tödlich erfasst wurde. Ohnehin waren Radfahrer auffällig oft in Abbiegeunfälle verwickelt, nämlich 2586-mal. Dabei lag in nur rund 300 Fällen die Schuld beim Radler. Das Vorhaben der EU-Kommission, Lkw-Abbiegeassistenten bis 2024 zur Pflicht in allen Neufahrzeugen zu machen, bewertet Herrmann so: "Wenn wir das schaffen, sind wir einen großen Schritt weiter." Beim Thema Rettungsgasse hingegen scheinen bislang alle Mühen vergeblich zu sein. Rettungskräfte berichten weiterhin, ihnen würde häufig die Zufahrt zum Unfallort versperrt. Herrmann kann am Freitag keine Zahlen nennen, sagt aber, "gefühlt" habe das Problem zugenommen. Er habe sogar schon erlebt, wie hinter einem Rettungswagen die Gasse wieder zugeparkt wurde. "Den vollen Durchbruch haben wir hier noch nicht erreicht."

Wenigstens ein paar gute Nachrichten gibt es doch. So brachte das Schneechaos Anfang Januar mancherorts den Verkehr tagelang zum Erliegen - was sich in der Statistik des laufenden Jahres positiv bemerkbar machen könnte. Wo kein Auto, da kein Unfall. Und Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer weist darauf hin, dass die Zahl junger Erwachsene, die bei einem Verkehrsunfall starben, zuletzt um 25 Prozent gesunken sei. Nachts würden verstärkt Fahrgemeinschaften mit nüchternen Fahrern gebildet. "Ein dickes Lob", sagt Schmidbauer: "Wenn sich nur alle so vernünftig verhielten."

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