Süddeutsche Zeitung

Statistisches Jahrbuch 2022:Wie es um Bayern im Krisenjahr steht

Krieg und Konjunktur, Geburten und Gäste, Wohnraum und Wissenschaft: Joachim Herrmann sagt, dass der Freistaat "erstaunlich gut durch die Krise" kommt. Das trifft aber nicht für alle Bereiche zu.

Von Johann Osel, Fürth/München

Der Ukraine-Krieg und die Flucht aus dem Land machen sich in der bayerischen Bevölkerungsstatistik bemerkbar. Aktuell leben rund 13,4 Millionen Menschen im Freistaat, das sind knapp 175 000 mehr als Ende des Jahres 2021. Systematisches Wachstum gibt es zwar seit Langem, im Vergleich zum Vorjahr zeigt sich aber tatsächlich ein kleiner Sprung; auch mit Blick auf die Corona-Jahre, in denen der Zuzug nach Bayern allgemein gedämpft war. Grund für die Bevölkerungszunahme sei eben vor allem die Fluchtbewegung aufgrund des Ukraine-Kriegs, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Präsentation des Statistischen Jahrbuchs 2022 für Bayern.

Die knapp 132 000 ukrainischen Kriegsflüchtlinge machten fast 70 Prozent des diesjährigen Wanderungsgewinns aus dem Ausland aus. Dahinter folgen, mit weitem Abstand, die Herkunftsländer Rumänien und Afghanistan. Die Statistik zeigt auch, dass aus der Ukraine überwiegend Frauen mit Kindern ins Land kamen. Der Männeranteil liegt bei erwachsenen Flüchtlingen aus der Ukraine bei gut einem Drittel. Das Saldo von Zuzügen und Wegzügen innerhalb Deutschlands bescherte dem Freistaat dieses Jahr bisher nur 3800 zusätzliche Einwohnerinnen und Einwohner.

Das Jahrbuch des Landesamts für Statistik in Fürth, das Herrmann mit dessen Präsidenten Thomas Gößl vorstellte, vermisst Bayern in Zahlen. Die Datenbasis ist in weiten Teilen das statistisch abgeschlossene Vorjahr 2021, bei relevanten Themen reicht sie ins laufende Jahr hinein. Das mehr als 700 Seiten starke Kompendium sei für die Landespolitik eine "wichtige Planungs- und Entscheidungsgrundlage", sagte Herrmann. Und "nicht immer ist das, was man meint an Stimmungen wahrzunehmen, auch die Realität". Gößl verwies auf die Möglichkeit, Zeitreihen und regionalisierte Daten zu betrachten.

Durch das Bevölkerungswachstum ergeben sich laut Herrmann Herausforderungen wie der angespannte Wohnungsmarkt vor allem in Ballungsräumen. Rein rechnerisch bewohnt jede gemeldete Person in Bayern 49,1 Quadratmeter. Anders als in den Vorjahren zeichnet sich 2022 bislang ein Rückgang der Geburtenrate ab, minus acht Prozent. Die Gründe seien noch zu analysieren und auch die Frage, ob der Trend im Gesamtjahr bleibe, sagte Herrmann. Es sei aber, meinte er auf Nachfrage, oft spekuliert worden, was die Bayern während des Daheimbleibens in der Pandemie so "machen". Dieser Effekt, sofern es ihn gab, ist zumindest entfallen.

Enorme Inflation macht leichten Anstieg der Bruttolöhne zunichte

"Bayern kommt erstaunlich gut durch die Krise", bilanzierte Herrmann mit Blick auf die Wirtschaft. So stieg im ersten Halbjahr das Bruttoinlandsprodukt in Bayern preisbereinigt um 2,9 Prozent. Hinzu komme, dass man erneut die niedrigste Arbeitslosenquote aller Bundesländer hatte. Weitere Kenngrößen stimmen den Minister positiv - wobei darunter auch gewisse Erholungseffekte und eine Aufholjagd nach Corona-Dellen fallen. Bei den Umsätzen der bayerischen Industrie zeigte sich in den ersten zehn Monaten 2022 ein deutliches Plus gegenüber dem Vorjahr, um 14,7 Prozent auf 337 Milliarden Euro. Verantwortlich für das hohe nominale Wachstum sind jedoch vor allem Preissteigerungen, denn das Produktionsvolumen ist in dem Zeitraum etwas gesunken. Die Daten des Landesamts zeigen auch die enorme Inflation auf - die den statistisch erfassten leichten Anstieg der Bruttolöhne zunichte machen.

Gute Nachrichten dagegen kommen aus dem Tourismus, wo sich nach den Corona-bedingten Einbrüchen der Aufschwung fortsetzt. Von Januar bis Oktober vermel­de­ten die Beherbergungsbetriebe spürbare Steigerungen - bei den Übernachtungen um 51 Prozent (auf 80,5 Millionen) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Sehr erfreulich sei, so Herrmann, dass wieder deutlich mehr ausländische Touristen kommen. Diese Rückmeldung habe das Kabinett von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auch am Vortag beim Besuch des Nürnberger Christkindlesmarktes erhalten.

Einige weitere ausgewählte Einblicke in die Statistiken der Fürther Behörde: Bei den Fahrzeug-Zulassungen heuer war knapp die Hälfte bereits mit alternativen Antrieben ausgestattet; also auch hybrid. Rein elektrisch betriebene Autos konnten den stärksten Zuwachs verbuchen. 4,4 Millionen Menschen im Freistaat pendeln zur Arbeit. In Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern liegt der Anteil der Singe-Haushalte bei 51 Prozent. Die Zahl der jährlichen Einbürgerungen - deren Hürden und Regularien derzeit Streitthema zwischen der Staatsregierung und dem Bund sind - lag zuletzt bei 23 158, ein Höchststand. An den Hochschulen befassten sich 31 597 Promovierende mit einer Doktorarbeit, davon 46,9 Prozent Frauen. Bei Letzteren sind Medizin und Gesundheit am beliebtesten, bei männlichen Doktoranden die Ingenieurwissenschaften.

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