Start-up:Diese Männer haben etwas gegen falsches Sitzen

Sensor gegen Rückenschmerzen: Die Gründer von 8sense arbeiten gegen falsches Sitzen.

Die falsche Haltung kann zu Rückenproblemen führen, gerade bei Leuten, die lange am Schreibtisch sitzen. Ralf Seeland und Christoph Tischner haben was dagegen.

(Foto: PR)
  • Das Rosenheimer Start-Up 8sense hat einen Sensor entwickelt, der die Haltung und Bewegung des Rückens erfasst.
  • Damit wollen zwei Wirtschaftsingenieure Rückenleiden durch zu viel Sitzen bekämpfen.

Von Johann Osel

Bereits nach einer Viertelstunde wird der persönliche Trainer etwas ungehalten, daher verpasst er dem Probanden einen Stoß. Keinen richtigen Stoß, eher eine sanfte Vibration am hinteren Hemdkragen. Der Trainer ist kein Mensch, sondern ein aufsteckbarer Sensor, nicht größer als ein Feuerzeug. Der Anlass der Schelte ist auf dem Smartphone zu sehen, mit dem der Sensor verbunden ist: keine Bewegung, kaum Positionswechsel, statisches Sitzen. Aufgestanden? Null Mal.

Wie es der Büromensch halt gern macht, aber nicht machen sollte; erst recht nicht, wenn das Verhältnis zu seinem Rücken ohnehin angespannt ist. Ein Blick in die App nach gut 40 Minuten zeigt eine heikle Zwischenbilanz: 30 Prozent der Zeit saß man aufrecht, 14 Prozent nach vorne gebeugt, 56 Prozent nach hinten. Herumlümmeln also. Immerhin nicht schief, die Neigung nach rechts und links beim Sitzen hält sich die Waage. Der persönliche Trainer empfiehlt prompt eine Gymnastikübung - zum Ausgleich für die vernachlässigte Muskulatur.

"8sense" - also der achte Sinn - heißt der Sensor, den sich Ralf Seeland, 42, und Christoph Tischner, 28, in Rosenheim in ihrer gleichnamigen Firma ausgedacht haben. Er soll Haltung und Bewegung erfassen und analysieren, damit wollen die beiden Wirtschaftsingenieure Rückenleiden durch zu viel Sitzen bekämpfen. Seit anderthalb Jahren entwickelt und vermarktet das junge Unternehmen diese Idee. Auf sie ist Seeland, so erzählt er es selbst, durch eigene Rückenschmerzen nach monotonen Schreibtischtagen gekommen. Aua und heureka!

In ehemaligen Räumen einer Volksbank im Zentrum von Rosenheim ist das "Stellwerk 18" untergebracht, eine Initiative für digitale Gründer und Start-ups im südöstlichen Oberbayern und dem angrenzenden Tiroler Unterland. Wo sich früher Bankangestellte über Kreditanträge gebeugt haben könnten, womöglich mit Stechen im Kreuz, sind jetzt junge Gründer beheimatet. Eine Übergangslösung, ein Neubau auf dem Bahnhofsareal soll noch heuer bezogen werden. Der Charme des Unfertigen hier in der vierten Etage des Hauses passt aber doch ganz gut zur digitalen Gründerszene.

Der Clip

Der Clip für den Kragen ist nicht größer als ein Feuerzeug.

(Foto: PR)

Auch "8sense" war lang ein Probieren und Ausloten. Die Grundidee ist simpel: Bis zu zwölf Stunden am Tag sitze der moderne Büroarbeiter jeden Tag, das sei eine Belastung für Muskeln und Gesundheit, sagt Tischner, der für das Marketing verantwortlich zeichnet. In den USA nenne mancher Sitzen "das neue Rauchen". Die Gründer glauben, dass nur "das klare Selbstverständnis des eigenen Körpers" die Möglichkeit biete, seine schlechten Gewohnheiten abzulegen und etwas dagegen zu tun. Technik soll da helfen.

Acht Vollzeitstellen und einige Werkstudenten, viele von der Rosenheimer Hochschule, zählen mittlerweile zum Team; es braucht neben Software- und Hardware-Entwicklern und Betriebswirten auch physiotherapeutische Expertise. Die perfekte Haltung gebe es gar nicht, sagt Tischner; vielmehr sei Sitzen mit Dynamik und Wechsel ein guter Weg. Wenn sie zurückkamen von Treffen mit möglichen Partnern, Kunden, Investoren oder Experten, dann hatten sie nicht selten neue Fragen dabei, zum Produkt, zur Strategie. Immer wieder gab es Anpassungen.

3,3 als Schulnote

bekommt Bayern im "Start-up-Monitor 2017" für die Förderung des Gründer-Standorts. Der Bundesverband Deutsche Start-ups hatte in der Szene die Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen im jeweiligen Bundesland abgefragt. Auch wenn die Note eher mäßig klingt - sie liegt über dem Durchschnitt aller Länder (3,6). Bayerns Wirtschafts- ministerium bietet über seine Initiative "Gründerland" zahlreiche Förderungen für Start-ups und Wettbewerbe an. Mit etwa 80 Millionen Euro insgesamt werden seit 2016 digitale Gründerzentren gefördert, in der ganzen Breite des Freistaats wie etwa in Cham oder Hof. Auch einige Städte und Landkreise haben in diesem Bereich zuletzt stark investiert.

Und immer wieder spielte die K-Frage eine Rolle - Kapital. Allein mit einem Gründungskapital kommt man nicht weit. Seit Herbst 2016 hat das Start-up einige Preise und Förderungen eingeheimst, wie den Digitalpreis beim Gründerpreis Rosenheim mit 2500 Euro oder den "Start?Zuschuss!" des Freistaats Bayern mit 36 000 Euro. Eine Crowdfunding-Initiative, also Kleinstbeteiligung durch unzählige Leute, haben sie wieder abgebrochen.

100 000 Euro hat das Start-up durch Förderungen generiert

Gut 100 000 Euro hat das Start-up durch Förderungen generiert - es ist nur ein Baustein für das, was man braucht auf dem harten Weg von der Idee zum Geschäft. Im Boot sind inzwischen private Investoren, die "8sense" teilweise auch beraten. Gründen ist ja immer auch Zusammenklauben von Geld - auch wenn Start-ups, zumal mit digitalen Innovationen, politisch heute als Herzensthema gepriesen werden, muss man doch vor allem aus eigener Kraft vorankommen. Rausgehen, werben, sammeln. "Man sieht hier nicht viel von all dieser Arbeit, sieht aus wie normale Büros", sagt Tischner.

Die Kiste mit den Prototypen haben sie etwas versteckt im Konferenzraum platziert. Ursprünglich sollte der achte Sinn ein ganzes T-Shirt werden. Was da denkbar ist, offenbart die Kiste: Sportoberteile mit durchgehendem roten Wirbelsäulen-Streifen, ein Spanngurt. Seeland suchte am Anfang einfach ein Instrument, um besser zu sitzen, ohne Schmerzen am Abend. Als er Tischner kennenlernte, bei einem Vortrag für Gründer in Rosenheim, war der begeistert von der Idee. Die Bekleidungsvariante aber hatte Tücken: Waschbarkeit, Tragbarkeit, auch der Preis; wohl mehrere hundert Euro hätte das fertige Teil im Laden kosten müssen. Also Verkaufbarkeit. Als Langfristziel bleibt die Idee eines Shirts aber im Unternehmen.

Schwerpunkt ist erst mal der Rückensensor. Neben dem Konferenzraum stinkt es. In einer Kammer steht ein 3-D-Drucker, ein Kasten mit Glasfront, Tuben und Spachtel, in der Luft ein Plastikgeruch. Hier haben sie erste Modelle des Sensors ausgedruckt, vor einer industriell gefertigte Charge. Der Prototyp werde gerade bei einigen Unternehmen getestet, zum Beispiel bei BMW in Büros. Inzwischen steht das Produkt so weit, dass Seeland und Tischner eine Markteinführung im Sommer planen. Gut 90 Euro soll der Sensor im Laden kosten.

Gespräche mit strategischen Vertriebspartnern laufen - es geht um Reichweite, für potenzielle Kunden. Es stellt sich dabei immer die Frage, ob man das überhaupt will: diese Selbstoptimierung. Der Trend dazu in vielen Fragen des Lebens - vom Schlaf bis zum Essen, für alles gibt es Apps - spricht dafür, dass die Idee funktionieren kann. Weitere Zielgruppe des Start-ups sind in einem zweiten Schritt Gesundheitsmanager von Unternehmen. Das verspräche Absatz en masse. In einer Werbebroschüre rechnet die Firma vor, welcher wirtschaftliche Schaden jährlich durch Rückenleiden entstehe.

Eher Wettbewerb als Vorbeugung

Begriffe wie "Squat" - die gute alte Kniebeuge heißt heute so - stehen im Konferenzraum an einer Tafel. Denn neben dem Alltagscoach setzen die Gründer stark auf ihr Trainingsmodul. 80 Übungen sind aktuell gespeichert, die Weiterentwicklung soll aber mehr bieten als eine normale Fitness-App. Individuelle Übungen nach Sitzverhalten, beim Training selbst soll der Sensor Übungen automatisch erkennen und bei fehlerhafter Ausführung Alarm schlagen.

Spiele sind integriert, bei denen man am Schreibtisch sitzend zum Beispiel das Becken kreist. Ein Physiotherapeut würde von einer Mobilisierung der Lendenwirbelsäule sprechen. Den Ruch der Krankheit und des Leidens haben die Macher aber gar nicht so im Blick - eher Lifestyle. In einem Imagefilm sind die Spiele ein Wettstreit im Großraumbüro, die Schauspieler reißen jubelnd die Hände in die Höhe. Fernab eines Rückenschmerzes.

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