Süddeutsche Zeitung

Kulturförderung:"In dieser Weise hat es keine Zukunft"

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Dem Fünfseen-Filmfestival ist viel öffentliches Geld weggebrochen. Nun erhöht Leiter Matthias Helwig den Druck: Ohne mehr Unterstützung könne die Veranstaltung im kommenden Jahr nicht mehr stattfinden.

Von Linus Freymark, Gauting

Matthias Helwig hat schon so manche Dampferfahrt hinter sich. Aber an eine erinnert er sich ganz besonders gern: Sommer 2013, das Schiff tuckert über den Starnberger See in Richtung Sonnenuntergang, zum Film wird Weißwein serviert. Mit an Bord: eine Journalistin von der Zeit, die danach in ihrem Artikel schreibt, sie habe sich auf dem Schiff schon kurz gefragt, warum man eigentlich zum Filmfest nach Cannes fahren muss. In Starnberg gebe es all das doch auch.

Für Helwig, Leiter des Fünfseen-Filmfestivals, ist damit alles zur Bedeutung der Veranstaltung gesagt. Und ja, die Fakten geben ihm dabei recht: Jedes Jahr kommen in den zehn Tagen mehr als 20 000 Besucher, rund 130 Filme werden gezeigt. Zudem finden zahlreiche Prominente den Weg ins Fünfseenland: Sandra Hüller, Paula Beer, Margarethe von Trotta, um nur ein paar der Namen zu nennen. Damit zählt das Filmfest zu den größten seiner Art im deutschsprachigen Raum.

Die Sache ist nur: Seit der Dampferfahrt mit der Zeit-Journalistin hat sich einiges geändert. Und so schwelgt Helwig am Dienstagabend in seinem Gautinger Breitwand-Kino nicht nur in Erinnerungen, sondern hat eine klare Botschaft mitgebracht: Für das kommende Jahr müsse sich einiges ändern - ansonsten könnte die diesjährige Ausgabe Anfang September die letzte Auflage des Fünfseen-Filmfestivals sein. "In dieser Weise hat es keine Zukunft", sagt Helwig in dem gut gefüllten Kinosaal im Gespräch mit Moderator Thomas Lochte. Es wird an diesem Abend um Strukturen hinter den Kulissen gehen, um Wertschätzung und den Stellenwert der Kultur in Politik und Gesellschaft. Und weil diese Begriffe meist in Zusammenhang mit Fördermitteln fallen, wird auch das liebe Geld eine Rolle spielen.

Dazu muss man wissen: Seit dem ersten Filmfest 2006 sind Helwig und sein Team allein für Organisation und Finanzierung verantwortlich. Das finanzielle Haftungsrisiko liegt bei Helwig als Privatperson. Vor allem aber müssen er und seine Leute die Gelder dafür auftreiben. Zwar gibt es Zuschüsse der öffentlichen Hand, vom Bezirk, dem Land, den Kommunen.

Aber die Stadt Starnberg und die Gemeinde Gauting haben angesichts leerer Kassen ihre Zuschüsse für dieses Jahr um insgesamt rund 30 000 Euro gekürzt. Dadurch gibt es in diesem Jahr eventuell auch keinen Nachwuchspreis mehr. Und: Die Eröffnungsfeier findet nicht mehr am Seeufer, sondern in der Schlossberghalle statt. Und die Dampferfahrt, die nicht nur Journalistinnen, sondern auch das Publikum und die angereisten Schauspieler begeistert hat, fällt flach. Dadurch "verliert das Festival an Strahlkraft", hatte Helwig im März im SZ-Interview erklärt.

Zudem ist für Helwig mit den Beschlüssen eine Botschaft verknüpft: Kulturveranstaltungen wie das Filmfest sind politisch nur gewollt, solange sich Privatpersonen darum kümmern und die Mittel für Zuschüsse da sind. Wird das Geld knapp, werde als Erstes bei der Kultur gespart. Das ist möglich, weil die Kulturförderung im kommunalen Haushalt als freiwillige Leistung gilt - also nicht als Pflichtprogramm, sondern als Kür, gewissermaßen. Und genau darin liegt für Helwig das Problem.

Um Veranstaltungen von überregionaler Bedeutung wie das Fünfseen-Filmfest in Zukunft zu ermöglichen, müsse sich das ändern. "Wir müssen raus aus den freiwilligen Leistungen", konstatiert Helwig. Stattdessen, so der Festivalleiter, müsse ein gewisser Prozentsatz des Haushalts für die Kultur festgeschrieben werden. Schon ein Prozent des jährlichen Haushaltsvolumens sei mehr als die bisherige Fördersumme.

Helwig ist der Meinung: "Ein Festival ist ein Wirtschaftsfaktor."

Zwar könnten diese Regelung dann nicht nur Kulturveranstalter, sondern auch Sportvereine und Sozialverbände für sich beanspruchen. Denn diese profitieren ebenfalls lediglich von freiwilligen Zuschüssen. Im Falle seines Filmfests aber führt Helwig noch ein weiteres Argument ins Feld: der wirtschaftliche Effekt für die Region. Denn Schauspieler und Besucher kommen ja nicht nur nach Starnberg, um einen Film zu sehen: Sie essen, trinken und übernachten hier auch. Davon würden lokale Gastronomen und Geschäftsleute enorm profitieren, erklärt Helwig. "Ein Festival ist ein Wirtschaftsfaktor", stellt er klar.

Neben finanziellen Fragen sieht Helwig Handlungsbedarf bei den Strukturen. Er ist jetzt 64 Jahre alt, allzu lange kann und will er die Verantwortung nicht mehr übernehmen. "Ich möchte das nicht mehr allein machen", sagt er. Ihm schwebt vor, an seiner Stelle einen künstlerischen Leiter und idealerweise auch noch jemanden für das Geschäftliche einzustellen und das Filmfest in eine Gesellschaft oder Verein zu überführen. Damit wäre Helwig das finanzielle Risiko los - und einen Großteil der Arbeit. Aber: Wenn man jemanden einstellt, muss man ihn auch bezahlen.

Deshalb setzt Helwig darauf, Privatleute zu gewinnen, die sich für die Zukunft seines Filmfests einsetzen. Ein Freundeskreis wäre etwa eine denkbare Option für ihn, Freiwillige, die spenden. Und vielleicht auch mal mithelfen, wenn Arbeit ansteht. "Ich brauche Menschen, die bereit wären, das mitzugestalten", hält Helwig fest. Die Bereitschaft dafür scheint durchaus vorhanden zu sein: Am Dienstag im Kino stehen spontan ein paar Leute auf und erklären, mitmachen zu wollen.

Was wird aus dieser Idee? Wie reagieren die politischen Entscheider auf Helwigs Forderungen? Wird das Filmfest im kommenden Jahr stattfinden? Und wenn es stattfindet, in welcher Form? Wohin entwickelt sich die Kultur, wenn sich der Staat bei der Finanzierung immer mehr zurückzieht? Auf diese großen Fragen haben Helwig und sein Publikum am Dienstag keine abschließenden Antworten. Klar ist nur: In den kommenden Monaten wird sich die Zukunft des Festivals entscheiden. Dann wird auch feststehen, ob und wann wieder ein Dampfer über den See tuckert und seine Passagiere filmisch verzaubert.

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