"Früher hat das alles geblitzt", sagt Gerhard Hufnagel, "da war immer einer da, der das geschmiert und gepflegt hat." Früher, das ist lange her, heute schmiert und pflegt hier keiner mehr was, seit fast 15 Jahren rottet das kleine Turbinenhaus vor sich hin. "Da herinnen", sagt Hufnagel, "da hat alles angefangen." Hufnagel, Josef Wiesmeth und Andreas Birner (v.l.) haben ihr Arbeitsleben in der Maxhütte verbracht.
Im Turbinenhaus begreift man vielleicht am besten, wie bedeutsam das hier alles mal war und wie egal dieser Ort dem Freistaat geworden ist. Das Turbinenhaus, 1863 entstanden, ist das älteste Bauwerk auf dem Gelände der früheren Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg, dem einst größten Stahlwerk in Süddeutschland. Im Ruhrgebiet haben sie längst Museen gemacht aus ihren Kohlezechen und Stahlwerken, die so viel erzählen über die Industriekultur einer ganzen Region. Und in der Oberpfalz? Da frisst der Rost die Erinnerung auf.
Gerhard Hufnagel steht jetzt wieder draußen, auf dem Hof vorm Turbinenhaus. Er schaut direkt auf den Hochofen (rechts), diesen Stahldinosaurier, der mal das Herz der Maxhütte war und jetzt genauso vergammelt wie alles andere hier. Der Hochofen war sein Arbeitsplatz, 37 Jahre lang, ein halbes Leben, am Ende war er Schichtleiter. Wer in der Maxhütte gearbeitet hat, dem kann man das heute noch am Körper ablesen. Die Hitze, das Gas, es war ein gefährlicher Knochenjob. "Wenn du einen Fehler gemacht hast, dann hat es gerumpelt im Karton", sagt Hufnagel. Er hebt seinen linken Arm und zeichnet mit dem Zeigefinger einen Kreis unter seine Achsel. Dorthin, wo sich damals die Glut durch seinen feuerfesten Overall gefressen hat. Die Narben sind heute noch da.
Immerhin, der Hochofen soll stehen bleiben. Soll in ein Museumskonzept integriert werden, auch die turmhohen Winderhitzer daneben (Foto) und die Gießhallen. Nur hat den Museumsplan halt immer noch keiner richtig angepackt. Im Stadtrat reden sie seit Jahren über ein Konzept, jetzt auch wieder im Landtag - und nichts geht voran. Dabei sind Hochofen, Winderhitzer und Gießhallen eh nur ein Bruchteil dieses monströsen Industriegeländes, das heute eine Ruine ist. Etwa 80 Fußballfelder hätten Platz, in den besten Zeiten haben hier 5000 Mann geschuftet, die Maxhütte war eine Stadt in der Stadt.
Doch die Chance, die Stahlerzeugung lückenlos zu dokumentieren, ist dahin. Das alte Stahlwerk, das gewaltige Walzwerk (Foto), alles verloren. Vom Rost aufgefressen, abgerissen oder ausgeschlachtet, weil der Konkursverwalter zumindest noch ein bisschen Geld machen wollte, als die Hütte im Herbst 2002 endgültig pleite war und dichtmachen musste. Dampfmaschinen, Walzwerk, Turbinenhaus, "das müsste eigentlich dazugehören" zu einem Industriemuseum, sagt Gerhard Hufnagel, nur dann könnte der Besucher den kompletten Weg verfolgen von der Winderzeugung bis zum fertigen Stahlprodukt, das am firmeneigenen Bahnhof verladen wurde. So abgespeckt wie das Museumskonzept geplant ist, "kannst du das den Leuten nicht verklickern".
"Eine Hitze war da herin", sagt Josef Wiesmeth, 82, während er eine Hand auf einen Hacklstecken stützt, mit der anderen eine Taschenlampe ins Guckfenster einer Maschine steckt und die massive Kolbenstange begutachtet. Hier, im Maschinenraum, riecht es immer noch nach Schmieröl, in den Spinden kleben noch die verblassten Poster mit den nackten Pin-up-Mädchen, auf dem Brotzeittisch liegt noch die Zeitung aus dem Sommer 2002. Als hätte die Maxhütte nur eine lange Schichtpause gemacht, als würden die Kolben der Dampfmaschinen gleich wieder los stampfen.
Die Maxhütte erzählt nicht nur Industriegeschichte, sie erzählt ganze Familiengeschichten. Auch Josef Wiesmeth hat einen Lebenslauf, wie ihn damals so viele der Stahlarbeiter hatten: Sein Opa hat in der Maxhütte gearbeitet, sein Vater auch, und 1956 hat er dann selbst dort angefangen. Erst hat er Dreck geschaufelt und weggekarrt, später wurde er Schichtmeister im Stahlwerk, dann Betriebsassistent. Er hat sich nach oben gebuckelt. Einmal Maxhütte, immer Maxhütte, so sei das gewesen, sagt Wiesmeth. Eine sichere Bank, gut bezahlt, fast wie ein Beamtenjob. Bis die Stahlkrise kam, in den Siebzigern, danach hat die Hütte ums Überleben gekämpft, ein Vierteljahrhundert lang, bis es keine Hoffnung mehr gab.
Nirgendwo anders ließe sich so gut erzählen, dass Bayern auch mal ein Arbeiterland war. Allein in der Maxhütte waren rund 90 Prozent in der Gewerkschaft, die Stahlkocher haben nicht für sich selbst gearbeitet, sondern füreinander. Hier ließe sich der Aufstieg der Stahlindustrie erzählen, die in der Oberpfalz ganze Ortschaften geformt hat. Und der Niedergang, der alles verändert hat. Nach dem Krieg, erzählen die drei Stahlwerker, habe es in Sulzbach-Rosenberg 19 Wirtshäuser gegeben. Da trafen sich die Arbeiter vor der Nachtschicht zum Schafkopfen und hinterher zum Feierabendbier. Heute gibt es keine Handvoll klassischer Wirtshäuser mehr, seit dem Ende der Maxhütte sinkt die Einwohnerzahl, immerhin Arbeitsplätze gibt es aber wieder genug.
Um Arbeit muss sich Gerhard Hufnagel keine Sorgen mehr machen, nach dem Aus der Hütte hat er eine Weile gestempelt, dann ist er in Rente gegangen. Dass das Gelände verlottert, findet er traurig. Ihm selbst aber kann keiner nachsagen, er hätte die Hütte nicht bis zur letzten Schicht behutsam behandelt. Bis zum 24. September 2002, als er den Hochofen langsam runtergefahren hat oder eben "ausgeblasen", wie er das nennt. "Wir haben das gut über die Bühne gekriegt", sagt Hufnagel, im Gegensatz zur Politik, die den Erhalt der Maxhütte mindestens zehn Jahre zu spät in Angriff genommen habe. "Zehn verlorene Jahre", sagt er.