Stadtwald von Eger:Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei

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Das tschechische Cheb bekommt seinen Stadtwald zurück - der liegt in Bayern und steht bis jetzt unter deutscher Verwaltung.

Max Hägler

Die tschechische Stadt Cheb (Eger) bekommt nach mehr als 60 Jahren womöglich bald wieder Zugriff auf ihren in Bayern gelegenen Stadtwald. Das Verwaltungsgericht Regensburg entschied am Freitag überraschend, dass die bis heute andauernde Zwangsverwaltung durch den deutschen Staat unrechtmäßig sei.

Der Stadtwald von Eger ist eines der letzten Symbole, das an die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert - und in deutscher Verfügungsgewalt ist. (Foto: dpa)

Eine entsprechende Regelung aus Zeiten des Kalten Krieges habe sich spätestens durch den EU-Beitritt Tschechiens überholt. Die Richter erwähnen ausdrücklich, dass die Stadt Cheb nicht unmittelbar für Enteignungen durch die Benes-Dekrete verantwortlich gemacht werden könne. Die Bundesrepublik Deutschland hat nun einen Monat Zeit, um Rechtsmittel einzulegen.

In dem Streit geht es um weit mehr als um den Zugriff auf die Fichtenbestände des 650 Hektar großen Gebietes im Landkreis Tirschenreuth. Der Stadtwald von Eger ist eines der letzten Symbole, das an die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert - und in deutscher Verfügungsgewalt ist. Immer noch pilgern zahlreiche Vertriebene und deren Nachfahren zu der mitten im Wald gelegenen Gaststätte "Egerer Waldhäusl". "Sie reden dann von unserem Waldhäusl und unserem Wald", sagt Pächter Albert Kunz. Sein verwunschenes Lokal samt Garten werde immer wieder als Museum gesehen. An einem Schuppen hat er ein Egerländer Wappen montiert, das er allerdings - entnervt von den Pilgerströmen - bald wieder abbauen will.

Die Grundbucheinträge des Waldgebiets stammen aus den 1920er Jahren und sind ausgestellt auf die "Stadt Eger". Darauf beriefen sich nach dem Krieg auch Vertriebenenverbände, die Ansprüche auf den Wald erhoben. Sie seien die echten Egerer, argumentierten sie und sprachen auch von Vergeltung für die Benes-Dekrete, mit denen die Tschechoslowakei Vertreibung und Enteignung der Deutschen rechtfertigte. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat dieses Ansinnen vor Jahrzehnten jedoch zweimal zurückgewiesen und festgestellt, dass Cheb trotz eines Wechsels der Einwohnerschaft die Rechtsnachfolgerin der Stadt Eger ist. Allerdings ordnete der Bund mit dem sogenannten Rechtsträger-Abwicklungsgesetz eine Treuhand-Verwaltung des Waldes an. Dem Gesetz zufolge endet die Verwaltung mit einer Regelung zwischen den beiden Staaten Deutschland und Tschechien. Diese Regelung ist erfolgt, hat nun das Gericht auf Klage der Stadt Cheb festgestellt.

Das Gericht sieht die "Deutsch-Tschechische Erklärung vom 21.1.1997" als entsprechende zwischenstaatliche Regelung an. Beide Länder erklären darin, "dass ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belastet werden". Ein "Zurückbehaltungsrecht" durch Deutschland würde nun nur dazu dienen, rechtlich nicht durchsetzbare Rechtspositionen zu verfolgen, führen die Richter aus.

Bund und Land Bayern hatten zuletzt betont, die Gebietsfrage klären zu wollen, allerdings unter Rücksichtnahme auf die Anliegen der Vetriebenen. Der Lösungsvorschlag war eine Stiftung. Bayern wollte den Wald kaufen und die Stadt Cheb sollte Teile des Erlöses in grenzüberschreitende Projekte investieren. Ein Wunsch, der die Vertrieben zufriedengestellt hätte, der aber in Cheb bislang nicht durchsetzbar war und mit dem Urteil wohl auch obsolet wird.

Der Stadtwald war auch Thema bei Gesprächen zwischen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und seinem tschechischen Kollegen Karel Schwarzenberg. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte den Stadtwald gerade noch als Problem bezeichnet, bei dem man sich Zeit lassen und das "mit äußerster Klugheit" behandelt werden müsse. Die Vorsicht verwundert nicht: Als CSU-Politiker Alois Hundhammer das Stadtwald-Problem in den 1960er Jahren durch einen Ankauf pragmatisch lösen wollte, scheiterte er an einem "Sturm der Entrüstung".

Angesichts des starken politischen Drucks kommt die juristische Lösung unerwartet. Prozessbeobachter hatten angenommen, dass die Richter die Klage inhaltlich oder wegen vermeintlicher Unzuständigkeit zurückweisen könnten. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft reagierte enttäuscht. Es sei ein "moralischer Tiefschlag", dass das Gericht entschieden hätte, ohne die Anliegen der ehemaligen Bewohner zu berücksichtigen, sagte der Landesvorsitzende Franz Pany. Er hoffe, dass die Stadt Eger anerkenne, dass Eigentum nicht nur Rechte mit sich bringe, sondern auch Pflichten.

© SZ vom 04.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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