Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Welche Bäume eine Zukunft in Bayerns Städten haben

Linde, Ahorn, Kastanie - sie spenden Schatten, binden CO₂, sind schön. Doch die Bedingungen in den Städten setzen ihnen massiv zu.

Von Christian Sebald

Der Silber-Linde könnte die Zukunft gehören. Denn die Silber-Linde steht auch dann noch sattgrün da, wenn die heimischen Linden und Ahornbäume vor lauter Hitze und Trockenheit schlapp machen. Extreme Wetterlagen, wie sie wegen des Klimawandels immer öfter auftreten, ist die Silber-Linde gewohnt. Sie stammt aus Südosteuropa und Kleinasien. Sie kommt auch mit winterlichem Frost gut zurecht und ist wenig anfällig für Schädlinge. Sogar Blattläuse meiden sie. Der Grund ist die silbrige Unterseite ihres Laubs - von der die Silber-Linde ihren Namen hat. "Wir setzen sehr auf die Silber-Linde", sagt Susanne Böll.

Susanne Böll, 60 und Biologin an der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau im unterfränkischen Veitshöchheim, ist Chefin des Projekts "Stadtgrün 2021". Seit 2009 suchen Böll und ihre Mitarbeiter nach Baumarten, die nicht nur dem Klimawandel trotzen. Sondern auch so hart im Nehmen sind, dass sie den Stress vertragen, dem Bäume in der Stadt ausgesetzt sind. Denn bei "Stadtgrün 2021" geht es um Bäume an kleinen und großen Straßen, auf verkehrsumtosten Grüninseln, an Haltestellen und anderen innerstädtischen Brennpunkten.

Stadtbäume müssen aber auch mit vielen weiteren widrigen Bedingungen klar kommen. Sie werden in klein bemessene Lücken gepflanzt, in denen ihre Wurzeln kaum Platz haben. Die Böden um sie herum sind meist sehr hart, zugepflastert oder asphaltiert. Stadtbäume sind Schadstoffen und Abgasen, Urin und Exkrementen ausgeliefert. Auch die Temperaturen in der Stadt sind höher als auf dem Land. Sogar nachts. Dann geben Gebäude und Straßen die Wärme wieder ab, die sie tagsüber gespeichert haben. Außerdem fällt in Städten weniger Regen als auf dem Land.

Bisher ist die Linde der Stadtbaum Nummer eins. Auf Platz zwei rangiert der Ahorn. Danach folgen Kastanien, Eschen, Ulmen und Platanen. "Sie alle leiden immer stärker unter dem Klimawandel", sagt die Biologin Böll. "In besonders heißen Städten wie Würzburg waren Linden, Ahornbäume und Kastanien zuletzt komplette Ausfälle." Anderen Arten machen die neuen Schädlinge zu schaffen, die sich mit dem Klimawandel ausbreiten. "Der Laubholzbockkäfer etwa", sagt Böll, "oder das Falsche Weiße Stengelbecherchen, das die Eschen dahinrafft."

Seit 2009 suchen Böll und ihre Mitarbeiter nach Alternativen für Linde, Ahorn und Co. In Würzburg, Hof und Kempten testen sie in einem Langzeitversuch 30 Baumarten aus nah und fern, ob sie mit den immer härteren Anforderungen an einen Stadtbaum zurechtkommen. Mit dabei ist nicht nur die Silber-Linde. Sondern auch der japanische Woll-Apfel, dessen Laub sich im Herbst leuchtend rot färbt, die Zerreiche, die auf dem Balkan beheimatet ist, der Zürgelbaum, der sich in südeuropäischen Metropolen gut macht, oder die nordamerikanische Rotesche. Aber auch mit heimischen Arten wie der Hain-Buche forschen die Wissenschaftler.

Natürlich gibt es Zwischenergebnisse. Der Französische Ahorn, der im Mittelmeerraum gedeiht, hat sich unter hiesigen Bedingungen nicht nur als hitzebeständig, sondern auch als frosthärter erwiesen als erwartet. Die Kobushi-Magnolie aus Japan ist ebenfalls frosthart, neigt aber bei großer Hitze zu Stammrissen. Der Eisenholzbaum wiederum ist außerordentlich anpassungsfähig. Er stammt aus den feuchtwarmen Laubwäldern des Nordirans und des Kaukasus, ist hitzeverträglich und frosttolerant und wächst auf nahezu allen Böden. Besonders attraktiv ist er im Herbst, wenn sich seine Blätter von gelb über orange bis violett verfärben.

Für eine Prognose, welche Arten die Stadtbäume der Zukunft sind, ist es zu früh. Bölls Forschungen laufen bis 2021. Außerdem wollen sich die Biologin und ihr Team nicht auf einen, zwei oder drei Stadtbäume der Zukunft festlegen. Ihr Ziel ist ein Leitfaden mit Artenmischungen für alle möglichen Standorte. Sicher ist nur: "Wir brauchen auch in Zukunft Stadtbäume", wie Böll sagt. "Gerade wegen des Klimawandels." Sattgrüne Bäume sind ein schöner Anblick, spenden Schatten, kühlen, sorgen für frische Luft, binden CO₂, absorbieren Feinstaub und vieles mehr. "Irgendwer hat mal ausgerechnet, dass ein ausgewachsener Baum die Leistung mehrerer großer Klimaanlagen erbringt", sagt Böll. "Stadtbäume sind unverzichtbar."

Regensburg

Es ist nicht so, dass sie in Regensburg eine Revolution gestartet haben. Die steinerne Stadt wird steinern bleiben. Aber verändern, da sind sie sich einig, soll sich schon etwas: von grau zu grün, in kleinen Schritten. Die zum Unesco-Welterbe zählende Altstadt ist an Orten wie dem Haidplatz quasi baumlos, die für die Planung und Entwicklung Verantwortlichen wollten das bekannte Stadtbild möglichst lange erhalten. "Dass man hier eine durchgängig mittelalterliche Struktur erleben kann, macht den großen Reiz aus", sagt Dietrich Krätschell, Leiter des städtischen Gartenamts. "Das ist ein besonderer Denkmalwert." Blöd nur, dass sich dieses Alleinstellungsmerkmal stark aufheizt und die Wärme entsprechend an die Umwelt abgibt.

Nach Studien zu klimagerechter Stadtentwicklung, an der sich auch Regensburg beteiligte, kam die Verwaltung zu dem Ergebnis, dass man wohl doch vom bisherigen Grundsatz abweichen sollte. Zumindest ein bisschen. "Wir begrünen jetzt so viel wie möglich, haben aber vorher genau überprüft, wo das geht", sagt Krätschell. "Regensburg steht auf einer meterhohen Schicht archäologischer Funde. Man kann nicht einfach anfangen zu graben." Die 2013 gestartete Analyse zur Bepflanzung des Innenstadtbereichs dauerte dreieinhalb Jahre. 2014 wurden die ersten Bäume gegen Hitze und Staub gesetzt, bis 2020 sollen an 70 weiteren Standorten Pflanzungen folgen. Dabei wird vor allem auf resistente Arten wie die Hopfenbuche gesetzt. Die Signale, sagt Krätschell, seien auch aus der Bevölkerung unmissverständlich gewesen: Alle wollen mehr Grün in ihrer steinernen Stadt.

München

Dem Central Park in New York fehlt es noch an ein bisschen Doppelhaushälften-Grün, um mit der Größe des Englischen Gartens in München (375 Hektar) mithalten zu können. In der Landeshauptstadt wachsen seit der Eröffnung des ersten Bürgerparks Europas im Jahr 1792 etwa eine Million Bäume - wenn man noch den Nymphenburger Schlosspark hinzurechnet. Dazu kommen noch etwa 1,7 Millionen, die auf öffentlichen Plätzen, entlang der Straßen und auf Privatgrundstücken stehen. Das klingt nach einem regelrechten Wald, doch die Botaniker in München sind besorgt: Der Klimawandel trifft bereits jetzt durch seine manchmal extremen Hitze- und Trockenperioden im Sommer viele Bäume. München gilt als ein klimatischer Extremstandort - mal sehr trocken und heiß, mal sehr kalt und feucht.

Seit zwei Jahrzehnten forschen Experten des Gartenbaureferats an 100 Arten, welche Bäume sich für einen Stressstandort wie München eignen könnten und pflanzen bereits deutlich mehr Arten an als früher. Damit ist gesichert, dass bei einem Krankheitsbefall nicht gleich Tausende Bäume betroffen sein könnten. Zum anderen experimentieren die Experten mit neuen und auch exotischen Arten. Besonders Bäume vom Balkan scheinen vielversprechend zu sein, um auch in München zu gedeihen. Seit Jahrzehnten setzt man an Alleen wie der Leopoldstraße auf die italienische Pyramidenpappel. Künftig könnten aber auch mehr Zerreichen und Hopfenbuchen am Straßenrand wachsen. Die Kastanie hingegen droht bald aus den Biergärten zu verschwinden, Schuld ist ein in München neues Bakterium.

Nürnberg

In Nürnberg kommen nur die wirklich Harten in den Garten, denn der Boden ist nährstoffarm und etwas sauer. Mit Abgasen und Streusalzen ergibt das eine schwierige Mischung. Weil sich die Altstadt im Sommer extrem aufheizt und es dort wenig Wasser gibt, müssen Bäume hohe Temperaturen und Trockenheit genauso aushalten wie kalte Winter. Die Stadtgärtner haben ein Standardsortiment, aus dem sie ihre Straßenbäume auswählen. Die Liste ist zwei Seiten lang und gibt Auskunft darüber, welche Baumart für welchen Standort geeignet ist. Wenn der Platz zur nächsten Häuserfassade begrenzt ist, wird gerne der Feldahorn gewählt oder die Säumenhainbuche. Beiden gefällt es auch im Halbschatten. Die Schwedische Mehlbeere hat es dagegen lieber sonnig. Und Freiraum braucht sie auch. Anders als in Italien, wo man über Orangen- und Zitronenbäume am Straßenrand staunt, wurden Obstbäume in Nürnberg als öffentliches Grün ausgeschlossen. Schließlich wolle niemand matschiges Obst auf den Gehwegen und Straßen haben, erklärt die Stadtverwaltung.

An Nürnbergs Straßen stehen 28 000 einzelne Bäume. Zusammen mit den Bäumen aus "flächenhaften Beständen" wie Parks sind die Stadtgärtner für 80 000 Bäume zuständig. Sie haben 163 Arten gezählt, am häufigsten Ahorn, Linde und Eiche. Um die fast baumlose Altstadt zumindest ein wenig grüner zu machen, lässt die Stadt an einigen Ecken sogenannte Pocket-Parks anlegen. Diese grüne Oasen im Westentaschenformat sind Teil des "Masterplans Freiraum", durch den Nürnberg insgesamt grüner werden soll.

Ingolstadt

Ein bisschen Zeit bleibt noch für die Beantwortung wichtiger Fragen. Fühlt sich dieser Baum dort wirklich wohl? Oder steht er lieber an einer anderen Stelle? Je früher sich ein Baum entscheidet, desto mehr freut sich Ulrich Linder, Leiter des Gartenamtes in Ingolstadt. 2020 wird hier zum zweiten Mal nach 1992 die Landesgartenschau ausgerichtet. Neben den täglichen Aufgaben und dem Umgang mit durch den Klimawandel und Schädlinge hervorgerufene Probleme soll bis dahin eine Fläche von 30 Hektar zwischen Westpark und Güterverkehrszentrum erblühen. "Es gibt dort so gut wie keinen Altbestand", sagt Linder. "Wir versuchen, auf dem Gelände über 500 Bäume zu pflanzen, die möglichst dort bleiben sollen." Sorgen über die Bewältigung dieser Aufgabe macht er sich keine. Das Gelände ist eben, auch traditionelle Arten wie Eiche, Linde oder Ahorn haben viel Platz und so soll hier ein weiterer Grünring um die Stadt entstehen. "Wenn wir da nichts mehr hoch bekommen, sehe ich schwarz, aber so schlimm ist es ja nicht", sagt Linder.

2016 gab es eine Großbaumpflanzaktion, 63 Stück haben der Fläche eine erste Struktur gegeben. In diesem Jahr stehen die Modellierung des Geländes und des künstlichen Sees an, neue Bäume werden wohl nicht gepflanzt. Insgesamt aber hat Ingolstadt einen konstanten Zuwachs an Grünfläche - wobei es auch um den Erhalt alter und großer Bäume geht. "Wir kämpfen da um jeden Einzelnen", sagt Linder. "In Zeiten des Klimawandels ist das so ziemlich das Wertvollste."

Passau

Die Vergangenheit und die Gegenwart können selten streng getrennt betrachtet werden, bei Pflanzen ist das genauso. Auch die Zukunft will immer stärker ein Wort mitreden. In Passau haben sie deswegen schon 1998 angefangen, sich bei der Bepflanzung der Stadt zwar durchaus daran zu orientieren, was war und ist - aber eben auch an dem, was wird. "In meiner Ausbildung wurde gesagt: Pflanzen Sie in Zukunft Savannenbäume, die kommen am besten mit den Bedingungen einer Stadt zurecht", sagt Hermann Scheuer, Dienststellenleiter der Stadtgärtnerei. Früher sei viel Unsinn gemacht worden, als Bäume aus bayerischen Wäldern in die Stadt gebracht wurden, die nicht ihr Lebensraum ist. Inzwischen werden Bäume erst drei bis fünf Jahre an verschiedenen Stellen getestet. Denn auch wenn der Klimawandel Passau noch nicht zu einer Savanne gemacht hat, müssen die Bäume mit einem ähnlichen Stress durch Hitze, Staub und Trockenheit klarkommen.

Vor allem Ginkgo wird deswegen vermehrt gepflanzt. "Sie halten den widrigen Bedingungen besser stand", sagt Scheuer. "Die Stadt selbst kann ein extremer Standort sein." Dem Sturm im August konnten aber selbst sie nicht standhalten. Auch die Passauer Goldpomeranze hat darunter gelitten, eine winterfeste Orangenart, deren Name sich die Stadt 2015 patentieren ließ. Eine Chance immerhin bietet sich durch die Schäden: Unter den 11 000 Bäumen in der Stadt werden nach Neubepflanzungen künftig mehr resistente sein.

Würzburg

Würzburg hat eine überdimensionale Klimaanlage in Hufeisenform: den Ringpark, der am Main beginnt und endet und die Innenstadt umschließt. Er kann Temperaturspitzen ausgleichen, Feuchtigkeit speichern, Staub aus der Luft filtern. Der damalige Bürgermeister Georg Zürn ließ den Grüngürtel Ende des 19. Jahrhunderts anlegen. Den Auftrag für einen Park im englischen Stil bekam der in Würzburgs Diensten stehende schwedische Landschaftsarchitekt Jöns Person Lindahl. 4800 Bäume stehen heute im Ringpark. Die Stadt hat sie zählen und kartieren lassen. Registriert wurden 220 Arten, darunter 80 seltene oder exotische wie die Gurkenmagnolie aus Nordamerika oder die Persische Eiche. Von der Linde allein sind es 26 verschiedene. Häufigster Baum ist die Gemeine Eibe. Von ihr wurden im Ringpark 700 Exemplare gezählt.

So sehr sie ihren Park schätzen, die Würzburger sind nicht ganz zufrieden. Viele Bürger wünschen sich mehr Grün im Zentrum. Auch der Stadtrat sieht Bedarf, weshalb er die Verwaltung beauftragt hat, in der Innenstadt gezielt nach Standorten für Großbäume zu suchen. Also nach Plätzen, an denen keine Leitungen verlaufen und sich Wurzeln in die Erde graben können. Die Verwaltung meldete im Frühjahr 100 mögliche Standorte. Noch wird geprüft, ob dort entgegen der vorhandene Pläne doch Leitungen verlaufen. Deshalb könnten die ersten Bäume erst im Herbst gepflanzt werden. Das Geld ist da. Auf Antrag der Grünen wurden 25 000 Euro im Haushalt bereitgestellt.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2017/axi
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