Eigentlich haben es die Augsburger gut. Die Sanierung ihres Theaters läuft schon, sie ist nicht mehr zu stoppen. Und dass die Baupreise drastisch gestiegen sind in den vergangenen Jahren, das weiß vom Häuslebauer bis zum Kommunalpolitiker jeder. Trotzdem ist das, was Bau- und Kulturreferat an diesem Donnerstag dem Bauausschuss des Augsburger Stadtrats zu verkünden hatten, ein Schock aufs erste Hören: Die Sanierung des Staatstheaters Augsburg, zu der auch ein neuer Anbau gehört, wird bis zu ihrem Abschluss im Jahr 2030 mehr als 416 Millionen Euro kosten. Diese Summe liegt noch einmal 76 Millionen über den Schätzungen, die über die Jahre ihrerseits immer wieder angepasst worden waren. Die Ausgangsbasis waren im Jahr 2015, als man erstmals wagte, eine „belastbare Zahl“ auszusprechen: 200 Millionen.
Zum Guten im Betrüblichen: Diese 76 Millionen wird die Stadt nicht allein aufbringen müssen. Weil ihr Haus in den vergangenen Jahren vom Stadt- zum Staatstheater erhoben worden ist, wird der Freistaat die Hälfte dieser Kosten übernehmen. Anders ist das bei zwei anderen Augsburger Bauprojekten, einem Oberschulzentrum und einer Grundschule, deren Prognose dem Stadtrat nicht zuletzt zur Verdeutlichung der Unausweichlichkeit dieser Entwicklung vom Baureferat in einem Atemzug vorgerechnet wurde. Dass die Opposition die schwarz-grüne Stadtregierung nun trotzdem heftig attackiert, ist ein erwartbarer Reflex.
Vor der Krise im Baugewerbe, in den Jahren 2018 bis 2021, lagen die durchschnittlichen Baukostensteigerungen bei rund vier Prozent im Jahr. Entsprechend haben die Planer den Risikozuschlag über den zu erwartenden Bauzeitraum gerechnet, wenn es galt, die Gesamtkosten zu prognostizieren. Was infolge von Corona-Pandemie, Lieferketten-Problemen im Handel mit China und durch den Fachkräftemangel auf dem Bau in den Jahren 2021 bis 2023 ablief, war trotzdem nicht vorauszusehen: Die realen Baukosten sind in manchen Quartalen um mehr als 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr förmlich explodiert.
Was passiert, wenn solche Spitzen beim staatlichen Bauen in die Prognosen einfließen, konnte die Republik am Beispiel des lang diskutierten Münchner Konzerthauses eindrucksvoll beobachten. Dessen weitere Planung war im Landtag noch während der Pandemie, im Jahr 2021, mit 700 Millionen Euro bewilligt worden, um an deren Ende auf 1,3 Milliarden Euro Schätzkosten zu steigen.
Das war das Aus für den architektonischen Entwurf, für den man sich entschieden hatte, um in Bayerns Landeshauptstadt mit der Hamburger Elbphilharmonie zu konkurrieren. Nun gibt es nach Wunsch der Staatsregierung einen neuen Anlauf zum halben Preis und mit einem womöglich kostengünstigeren Totalunternehmer-Konzept. Der für Nürnberg geplante Konzertsaal hat es noch nicht einmal zu so einem Kompromiss geschafft. Er ist komplett auf Eis gelegt.
Das kann im Fall des Augsburger Theaters nicht mehr passieren, zu dem auch ein Neubau gehört: das „Kleine Haus“ mit Werkstätten, einer Werkstattbühne und Räumen für die immer wichtiger erachtete Kulturvermittlung. Ein Drittel des Bauvorhabens ist schon geschafft. Von einer etwaigen Baupause rät die Beschlussvorlage dringend ab. „Die laufenden Baumaßnahmen sind uneingeschränkt fortzusetzen, neue Baumaßnahmen sind unverzüglich zu beginnen. Nur damit können unkontrollierbare Kostenmehrungen aufgrund von Stillständen oder Verzögerungen sicher ausgeschlossen werden“, heißt es darin.
Bauen muss rasant „wie Pflaster entfernen“ gehen, wenn es günstig sein soll
Bildlicher drückt es Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger aus. „Beim Bauen muss man vorgehen, wie beim Pflaster entfernen. Hat man einen Bau einmal beschlossen, muss man ihn auf einen Ruck herunterreißen. Das tut dann zwar weh, aber der Schmerz hat auch wieder einmal ein Ende“, sagt er. Apropos Ende: Auch eine weitere Verzögerung wurde im Zuge des neuen Beschlusses bekannt. Das Große Haus soll nun 2029 den Theaterleuten übergeben werden, das Kleine im Jahr darauf. Das heißt, mit der offiziellen Wiedereröffnung ist nach der Erprobungsphase aller Anlagen und Abläufe im Großen Haus wohl auch erst 2030 zu rechnen.
Beinahe alle Städte in Bayern wie in ganz Deutschland kämpfen aktuell mit maroden Kulturbauten. Viele von diesen sind in der Nachkriegszeit aus Ruinen wiederaufgebaut worden, andere entstanden in den Wirtschaftswunderjahren. Weil nicht kontinuierlich in diese Kulturinfrastruktur investiert worden ist – auch nicht in den „fetten Jahren“ – stellen sie Kommunen und Freistaat nun vor eine gewaltige Herausforderung. Und wer heute mit der Planung erst beginnt, hat nicht nur finanzielle Nöte im Nacken. Aufgrund der langen Planungs- und Bauzeiten muss er zudem haben, was noch schwerer zu beschaffen ist als Geld: eine klare Vision von der Gesellschaft der Zukunft. Augsburg ist da Schritte voraus.