Staatsregierung im Fall Gurlitt:Ahnungslos und unsensibel

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Der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz und die Leiterin der Einsatzgruppe "Schwabinger Kunstfund", Ingeborg Berggreen-Merkel, in der öffentlichen Ausschusssitzung im bayerischen Landtag. (Foto: dpa)

Justizministerin Merk? Wusste nichts von Gurlitts Bildern. Auch der bayerische Ministerpräsident hatte keine Ahnung. Und das, obwohl die brisanten Informationen im Justizministerium schon früher eingegangen waren als bislang bekannt. Im Kunstausschuss des Landtags zeigt sich, wie eklatant die Behörden den Fall unterschätzten.

Von Frank Müller

Die brisanten Informationen über die Bildersammlung Gurlitt gingen im Justizministerium häufiger und früher als bislang bekannt ein - und sie erreichten die zweithöchste Ebene im Haus. Das ergibt sich aus einem Bericht, den der neue Justizminister Winfried Bausback (CSU) am Mittwoch im Kunstausschuss des Landtags abgab.

Demnach wusste das Ministerium schon im November 2011 durch einen Bericht der Staatsanwaltschaft, dass es gegen den Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt den Anfangsverdacht steuerrechtlicher Verstöße gab. Es wusste auch, dass dabei Nazi-Raubkunst "womöglich aus jüdischem Besitz" eine Rolle spiele. Der zuständige Leiter der Fachabteilung Strafrecht habe dies damals als "eher schwachen Anfangsverdacht" gewertet, sagte Bausback.

Der Informationsfluss in den bayerischen Ministerien ist bedeutend, weil seit Bekanntwerden des spektakulären Schwabinger Kunstschatzes Anfang des Monats die Frage im Raum steht, wieso die gesamte Staatsregierung zwei Jahre lang nichts davon wusste.

Die damaligen Minister für Justiz und Kunst, Beate Merk (CSU) und Wolfgang Heubisch (FDP), erklärten, auch erst jetzt von den weit mehr als tausend Bildern erfahren zu haben, unter denen vermutlich auch Nazi-Raubkunst ist. Ebenso äußerte sich Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).

Bausback sprach von insgesamt fünf Berichten, die im Justizministerium eingingen. Spätestens im März 2012 ist demnach auch die Spitze des Hauses eingeweiht gewesen. Den Bericht der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt hätten der Amtschef im Ressort und Merks persönlicher Referent abgezeichnet.

Unzufriedenheit mit den langwierigen Abläufen

Amtschef Walter Schön ist der zweite Mann im Ministerium. Vor seinem Wechsel ins Justizministerium war er mehr als zehn Jahre lang in selber Funktion in der Staatskanzlei. Im Anschluss hätten das Ministerium noch drei weitere, immer detailliertere Berichte der Staatsanwaltschaft erreicht, sagte Bausback.

Merk, die jetzt Europaministerin ist, hatte sich schon zuvor "entsetzt" darüber gezeigt, dass der Fall an ihr vorbeigelaufen war. Bausback sagte, aus den Vermerken im Ministerium lasse sich dazu nichts ersehen. "Nach meiner Kenntnis" sei Merk nicht informiert gewesen, bestätigte Bausback. Er zeigte sich erneut unzufrieden mit den langwierigen Abläufen insgesamt in dem Fall. "Damit meine ich auch mein Haus."

Er habe inzwischen die Abläufe im Justizministerium neu organisiert und "die Berichtspflichten präzisiert", sagte der Minister. "Politisch bedeutsame Verfahren werden ab sofort nicht nur meinem Büro, sondern mir persönlich zugeleitet." Außerdem gebe es nun einmal monatlich einen Jour fixe zu wichtigen Fragen im Ressort. Dieses hatte sich zuvor schon mit Vorwürfen auseinandersetzen müssen, auch im Fall Mollath nicht ausreichend reagiert zu haben.

Auf verbesserten internen Informationsfluss dringt auch Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU). Auch bei ihm fällt der Fall Gurlitt vor seine Amtszeit. Unter Vorgänger Heubisch war die zum Ressort gehörende Staatsgemäldesammlung in den Bilderfund eingeweiht gewesen. Spaenle sagte im Ausschuss, er habe auf eine "Sensibilisierung der obersten Landesbehörden" hingewirkt und sichergestellt, dass er selbst von solchen Vorfällen künftig informiert werde. Spaenle wertete den Kunstschatz als "Fall mit einer nahezu einmaligen Dimension".

Mit Gurlitt selbst hat offenbar noch kein staatlicher Vertreter über das weitere Verfahren gesprochen. Die Vorsitzende der Task Force in dem Fall, Ingeborg Berggreen-Merkel, sagte: "Ich suche das Gespräch mit ihm und wir werden es auch sicher führen."

Generalstaatsanwalt Christoph Strötz zufolge gab es zumindest "Kontakt" mit Gurlitt. Die Staatsanwaltschaft habe versucht, mit ihm über die Rückgabe der etwa 300 Bilder zu sprechen, die ihm auf alle Fälle rechtmäßig gehören. Gurlitt habe sich aber bislang "nicht bereit erklärt zu einer Terminvereinbarung, um die Bilder auch entgegen zu nehmen". Strötz wehrte sich auch gegen Vorwürfe, den Fall zu langsam behandelt zu haben. "Wir selber sind keine Experten."

Gab es Amtspflichtverletzungen?

Der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr zeigte sich unzufrieden mit den Auskünften. Der Umgang in den Ministerien werfe die Frage auf, ob es Amtspflichtverletzungen gegeben habe, sagte Dürr und forderte entsprechende Ermittlungen. "Im Steuerfall Hoeneß wurde sofort nach oben berichtet und zwar ganz nach oben, bis zum Ministerpräsidenten."

Werke aus Münchner Kunstfund
:Mit großen Namen auf Fahndung

Chagall, Liebermann, Matisse: Schon die ersten veröffentlichten Werke aus dem Münchner Kunstfund sind spektakulär. Die Behörden haben 25 der insgesamt 1400 aufgetauchten Bilder auf der Fahndungsseite für verlorenes Kulturgut veröffentlicht. Hier sind sie zu sehen.

Die SPD-Abgeordnete Isabell Zacharias sprach von einem "Totalversagen" der Behörden, CSU-Mann Thomas Goppel meinte dagegen, diese hätten "saubere Arbeit" abgeliefert. Das wollte Ausschusschef Michael Piazolo (Freie Wähler) nicht so stehen lassen: "Da sollten wir noch mal genauer die Dinge ansehen." Gelegenheit dazu besteht an diesem Donnerstag: Dann debattiert auch der Rechtsausschuss über den Fall.

© SZ vom 28.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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