Süddeutsche Zeitung

Staatsregierung:Das Start-up-Ministerium

Das neue Ressort für Digitales legt mit der Arbeit los und will mit seinem ersten Projekt mehr Frauen für die Tech-Branche begeistern. Chefin Judith Gerlach und ihre Kollegin Dorothee Bär wollen dabei Vorbilder sein

Von Maximilian Gerl

Dort, wo nominell die virtuelle Zukunft sitzt, beginnt der Dienstag klassisch analog: mit ausgedruckten Presseerklärungen und der Bekanntgabe eines Förderprogramms. Letzteres heißt "BayFiD", kurz für "Bayerns Frauen in Digitalberufen", und soll den geringen Anteil von Frauen in der Tech-Branche steigern. Dazu ist geplant, ein Netzwerk aufzubauen, das Frauen beim Einstieg in die Digitalwirtschaft begleitet. Es gehe darum, positive Beispiele hervorzustellen, sagt Digitalministerin Judith Gerlach (CSU), und Frauen zu motivieren. Heißt: Wo Frauen Vorbild sind, folgen andere Frauen nach. Was Gerlach weniger direkt sagt: Sie scheint bereit zu sein, ihren Teil als Vorbild zu erfüllen, auch wenn sie bis vor Kurzem kaum jemand auf der politischen Rechnung hatte.

Es passiert selten, dass ein neues Ministerium aus dem Boden gestampft wird. Noch seltener passiert es, dass man sich erst mal wenig unter dem Gebilde vorstellen kann. Digitalministerium, das klingt nach Flugtaxis, Smart Data, Blockchain. Nach Dingen, die wenig greifbar erscheinen. Auch in anderen Ministerien rätselten sie, wo die eigene Zuständigkeit bei Digitalthemen künftig endet und die von Gerlach anfängt. Noch dazu, wo die 33-Jährige selber Newcomerin ist. Als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Juristin aus Aschaffenburg ins Kabinett berief, musste manch einer im Politikbetrieb erst mal googeln, wer da kommt.

Es ist Gerlachs erste Pressekonferenz in den Räumen ihres Ministeriums am Münchner Oskar-von-Miller-Ring. Quasi ihre Antrittsrede, die zeigt, wo sie ihr Ressort sieht und wo sie vielleicht hinwill. Zur Unterstützung ist Dorothee Bär (CSU) angereist, ihr Pendant auf Bundesebene als Staatsministerin und Digitalisierungsbeauftragte, und ebenfalls Unterfränkin. Das Thema Frauenförderung, so geben beide zu verstehen, sei eine Art Herzensangelegenheit. Ob sie die männlichen Kabinettskollegen von den Ideen überzeugen musste, wird Gerlach gefragt. "Gar nicht", sagt sie, "die haben sehr gut mitgemacht." Später wird sie hinzufügen, dass die Informatik "ja kein reiner Männerberuf" sei, genauso wenig wie die Politik, in der Frauen auch unterrepräsentiert seien. Dann wechselt sie schnell zurück zum Thema.

Frauenförderung ist Fachkräftesicherung. Rund 490 000 Stellen sind in den Mint-Fächern - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik - deutschlandweit offen. Gleichzeitig lag der Anteil von Informatikstudentinnen zuletzt bei nur 20 Prozent. Noch weniger, nämlich sieben Prozent, waren es bei den Azubis für Fachinformatik. Um das zu ändern, will "BayFiD" an mehreren Punkten ansetzen, wobei das Wie noch nicht genau definiert zu sein scheint. Unter anderem sollen Mädchen in der Schule für digitale Themen begeistert und junge Frauen als Gründerinnen von Tech-Start-ups angesprochen werden. Herzstück wird ein Talentprogramm, das jährlich 50 Frauen zwischen 18 und 30 Jahren beim Berufseinstieg in Mint-Fächern unterstützen soll. Die Maßnahmen könnten von Seminaren bis hin zu persönlichen Mentoren reichen, so Gerlach. Daraus soll mit der Zeit ein Netzwerk entstehen, das wiederum neue Impulse für das Thema setzt - und weibliche Vorbilder schafft. Mitte kommenden Jahres soll "BayFiD" starten.

Zum Programm gehören "digitale Paten", die als "Türöffner" und "Botschafter" wirken sollen. Erste Patin wird Bär. "Wir haben bei der Digitalisierung kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit", sagt sie. Weibliche Vorbilder gebe es in der Tech-Branche kaum. Auch deshalb müsse die Nachwuchsförderung abgestimmter und zielgerichteter werden. "Frauen treffen andere Entscheidungen für Frauen als Männer." Bär sieht viele Gründe, warum sich bislang recht wenige Frauen für einen Job in der Digitalwirtschaft entschieden. Wenig Berichterstattung über erfolgreiche Frauen in der Tech-Branche zum Beispiel, aber auch tradierte Rollenbilder. Gerlach, die eine katholische Mädchenschule besucht hat, sieht das ähnlich. In ihrer Klasse habe niemand sagen können, Mathe sei ein "Jungs-Thema". Sie hätten "keine Gelegenheit gehabt, sich zu verstecken".

Nicht alles, was in dem Programm steht, wird Gerlachs Ministerium allein umsetzen. Manche Punkte sehen eine Kooperation mit dem Arbeits- beziehungsweise Wirtschaftsministerium vor. Das spiegelt die Ausrichtung eines Ressorts wider, das Gerlach als "Querschnitts-Ministerium" bezeichnet. Bei Themen wie Mobilfunk oder Glasfaser bleiben andere zuständig. Das Digitalministerium soll sich um eine übergeordnete Strategie kümmern, Expertise bündeln und anderen Bereichen zur Verfügung stellen - sozusagen eine Art Vorbild in Sachen Digitalisierung sein. Allerdings ist es zunächst vorrangig mit sich selbst beschäftigt. Der Sitz am Oskar-von-Miller-Ring ist zwar bezogen, der Stab mit 25 bis 30 Mitarbeitern aber klein. "Wir sind selbst ein bisschen Start-up", so Gerlach.

Zum Schluss wird es doch virtuell. Gerlach lädt ein, sie ein Stockwerk höher zu begleiten für einen "Special Effect". Tatsächlich steht da eine Wand mit goldfarbenen Klebestreifen. Doch wer zum Tablet greift und eine bestimmte Internetseite aufruft, aktiviert Weihnachtsstimmung. Wo die Streifen klebten, steht auf dem Bildschirm ein geschmückter Baum im Raum, als 3-D-Objekt, das je nach Entfernung größer oder kleiner wird. Im Vergleich zu den Christbäumen anderer Ministerien, sagt Gerlach, sei ihrer "etwas spezieller".

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SZ vom 19.12.2018
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