Staatsanwaltschaft:Bayern-Ei-Skandal: Behörden schlampten offenbar bei Aufklärung

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Hunderte Menschen erkrankten im Sommer 2014 durch mit Salmonellen belastete Eier. (Foto: Getty Images)
  • Im Sommer 2014 erkrankten quer durch Europa Hunderte Menschen an Salmonellose, mutmaßlich ausgelöst durch Eiern eines Betriebs aus Bayern.
  • Gegen den Bayern-Ei-Besitzer Stefan Pohlmann wird seitdem ermittelt.
  • Die Anklage der Ermittler belastet die zuständigen Behörden. Verbraucherschutzministerin Scharf hingegen hatte bislang behauptet: Für die Bevölkerung in Bayern habe keine Gefahr bestanden.

Von Philipp Grüll und Frederik Obermaier, München

Es beginnt mit einem Grummeln. Dann kommen Schmerzen, Erbrechen und Durchfall. In den schlimmen Fällen folgt das Blut im Stuhl, ein regelrechtes Auslaufen, der Kollaps. Quer durch Europa zeigten im Sommer 2014 Hunderte Menschen solche Symptome. Sie waren an Salmonellose erkrankt. Mindestens ein Österreicher starb, auch im Totenschein eines Engländers war von Salmonellen die Rede. Wenig später kursierte der Name jener Firma, die den Salmonellenausbruch ausgelöst haben soll: Bayern-Ei - der größte Eierproduzent des Freistaats.

Anfang Januar hat die Staatsanwaltschaft Regensburg Anklage in dem Fall erhoben. Die Ermittler werfen Bayern-Ei-Eigentümer Stefan Pohlmann unter anderem Betrug, Tierquälerei und Körperverletzung mit Todesfolge vor. Dem Unternehmer drohen bis zu 15 Jahre Haft. Brisant ist die Anklage nicht nur für Pohlmann. Sie birgt auch für Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf (CSU) und die bayerischen Behörden erheblichen Sprengstoff.

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Stefan Pohlmann soll salmonellenverseuchte Eier ausgeliefert haben - nun wird ihm unter anderem Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen.

Von Philipp Grüll und Frederik Obermaier

Denn in der Anklage steht eine erstaunliche Zahl: 86. So viele Erkrankte gab es laut Staatsanwaltschaft in Deutschland durch verseuchte Eier der Firma Bayern-Ei. Ein großer Teil der Infizierten soll dem Vernehmen nach aus dem Freistaat stammen. Ministerin Scharf hingegen hatte bislang behauptet: Für die Bevölkerung in Bayern habe keine Gefahr bestanden. Es habe lediglich zwei Infizierte gegeben, die mit Bayern-Ei in Verbindung standen. Von Erkrankten in Deutschland war nie die Rede.

Damit stehen nun die Angaben der Staatsanwaltschaft jenen des Ministeriums gegenüber. Recherchen von Süddeutscher Zeitung und Bayerischem Rundfunk legen nahe, dass der Widerspruch damit zu erklären ist, dass die bayerischen Verbraucherschutzbehörden im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft wichtige Schritte zur Aufklärung des Salmonellenausbruchs unterlassen haben: Schritte, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO, und der Europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA quasi zum Einmaleins des Verbraucherschutzes gehören. Offenbar haben Behörden während des Salmonellenausbruchs die Eier-Lieferwege im Freistaat nicht oder nur unzureichend untersucht. Deshalb gelang es nicht, die vielen Salmonellenfälle mit dem verdächtigen Betrieb in Verbindung zu bringen.

Mehrere Zwischenhändler von Bayern-Ei-Eiern bestätigten gegenüber SZ und BR, dass zur Zeit des Ausbruchs weder das Verbraucherschutzministerium noch das Landesamt für Lebensmittelsicherheit (LGL) noch die zuständigen Gesundheitsämter einmal bei ihnen nachgefragt hätten, wohin die offenbar verseuchten Eier überhaupt geliefert worden seien. Nach internationalem Standard ist genau das aber unverzichtbar. Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC erklärte, eine gründliche Untersuchung erfordere eine Rückverfolgung, wohin die Lebensmittel geliefert wurden - und zwar: "immer".

Schwere Vorwürfe gegen Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf

Damit steht im Gerichtsprozess gegen Bayern-Ei-Eigentümer Pohlmann auch für Ministerin Scharf viel auf dem Spiel. Die 49-Jährige hatte sich schnell festgelegt: Ihre Leute hätten hervorragend gearbeitet, die Kontrollen hätten funktioniert, für die bayerische Bevölkerung habe keine Gefahr bestanden, es seien schließlich überhaupt keine Bayern-Ei-Eier im Umlauf gewesen. Wenig später räumte sie ein, dass möglicherweise doch verseuchte Eier im Umlauf waren. Die Ministerin musste sich von einem renommierten Experten vorhalten lassen, dass ihr Haus vor Bayern-Ei-Eiern hätte warnen und bereits ausgelieferte Eier hätte zurückrufen müssen.

Schon Monate bevor im Sommer 2014 europaweit Hunderte Menschen an Salmonellen erkrankt waren, hatten amtliche Kontrolleure bei Bayern-Ei Salmonellen festgestellt. Die Auswertung der Proben dauerte jedoch teils mehrere Wochen. Als das Ergebnis vorlag, waren die betroffenen Eier vermutlich längst verzehrt. Zudem gingen mehrere Warnmeldungen aus dem Ausland ein. Die Rede war explizit von Bayern-Ei-Eiern. Wissenschaftler stellten bei den Erkrankten eine in Deutschland besonders seltene Form von Salmonellen fest. Genau die wurden zu jener Zeit plötzlich vermehrt aus Bayern gemeldet, insbesondere aus Niederbayern. Dort, wo Bayern-Ei seine vier Ställe hat.

Dass es bei Bayern-Ei offenkundig ein Salmonellenproblem gab, hielten Bayerns Behörden vor der Bevölkerung geheim, bis SZ und BR im Mai 2015 erstmals darüber berichteten. Millionen womöglich verseuchter Eier gelangten mutmaßlich noch in den Handel. Dass die Bevölkerung nicht - wie in solchen Fällen eigentlich üblich - gewarnt wurde, begründete Bayerns Verbraucherschutzministerium bislang damit, dass für die Bevölkerung hierzulande keine Gefahr bestanden habe.

Aus Sicht der Behörden bestand keine Gefahr

Keine Gefahr? Noch einmal: In der Anklage gegen Stefan Pohlmann ist von 86 erkrankten Personen in Deutschland die Rede, neben 95 Erkrankten in Österreich und sechs in Frankreich. Und selbst diese Zahlen spiegeln mutmaßlich nur einen Ausschnitt dessen wieder, was sich 2014 in Europa abgespielt hat. Länder wie Großbritannien flossen in die Zählung nämlich gar nicht ein, da die dortigen Behörden nicht wirklich kooperierten, wie zu hören ist.

Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihren Berechnungen auf einen "molekularbiologischen Vergleich" der Salmonellen, die bei den Erkrankten gefunden wurden und jenen, die bei Bayern-Ei festgestellt wurden. Außerdem - und das ist in diesem Fall besonders wichtig - hat die Staatsanwaltschaft in etlichen Fällen die Lieferwege von Bayern-Ei über Zwischenhändler bis hin zu erkrankten Verbrauchern ermittelt. Sollte sich das Landgericht Regensburg der Auffassung der Staatsanwaltschaft anschließen, wäre dies der gerichtlich verbriefte Beleg für das Versagen bayerischer Verbraucherschutzbehörden. Die fanden offenbar nur deshalb keinen Zusammenhang zwischen den Salmonellen bei Bayern-Ei und den europaweit Hunderten Salmonellose-Fällen, weil sie nicht richtig nach einem Zusammenhang suchten.

Ministerin Scharf wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern. Das Landesamt für Lebensmittelsicherheit verweigerte indes über mehrere Tage hinweg eine klare Antwort, lavierte herum, um dann mitzuteilen, dass Ermittlungen "entlang der Lieferkette" erfolgt seien. Details nannte das Amt jedoch nicht. Auf den Einwand, dass mehrere Zwischenhändler glaubwürdig versichern, 2014 nicht kontaktiert worden zu sein, ging das LGL nicht weiter ein. Der BR, mit dem die SZ in diesem Fall seit Jahren recherchiert, reichte deshalb am Mittwoch eine Eilklage ein, um eine detaillierte Antwort zu bekommen.

Der Betrieb von Pohlmann weiste schon lange Mängel auf

Die Anklage gegen Stefan Pohlmann wirft indes noch in einem weiteren Punkt Fragen auf. So hält ihm die Staatsanwaltschaft vor, am Standort Ettling statt der erlaubten 487 000 Hennen mehr als 523 000 gehalten zu haben. Dies soll ausgerechnet bei einem Unternehmer wie Pohlmann erst aufgefallen sein, als SZ und BR über Bayern-Ei berichteten. Ebenso ein "massiver Befall" mit roten Vogelmilben. "Das Umweltministerium und die verantwortlichen Kontrolleure haben über ein Jahr lang nichts gegen diese Tierquälerei unternommen, obwohl in dieser Zeit mehrere tierschutzrechtliche Kontrollen stattfanden", kritisiert SPD-Verbraucherschutzexperte Florian von Brunn.

Das Brisante: Im Zusammenhang mit Milben stand Pohlmann in den Neunzigerjahren schon einmal vor Gericht. Damals soll er zusammen mit seinem Vater in einem Stall Nikotin gegen die Milben versprühen haben lassen. Stefan Pohlmann kam damals mit einer Strafzahlung davon, nachdem sein Vater alle Schuld auf sich genommen hatte.

Jetzt wird nicht nur gegen Pohlmann ermittelt, auch weitere Personen sind im Visier der Staatsanwaltschaft. Das Umweltministerium hat 2014 zwei hohe Beamte vom Dienst suspendiert: Ein Amtstierarzt kam vorübergehend in U-Haft, weil er Bayern-Ei vor Betriebskontrollen gewarnt haben soll. Außerdem wurde ein Mitarbeiter der Regierung von Niederbayern vorläufig von seinen Aufgaben entbunden. Die Staatsanwaltschaft Regensburg wirft ihm vor, dem Unternehmen ebenfalls eine Probennahme angekündigt zu haben. Gegen ihn wurde ein Strafbefehl erlassen, gegen den er Widerspruch eingelegt hat.

Der Mann ist mittlerweile seit rund einem Jahr wieder im Dienst - nach Angaben der Regierung von Niederbayern ausgerechnet im Bereich "Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz".

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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