Sportstunden:Bewegt Euch!

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Spielen, toben, turnen: Viele Kinder bewegen sich heutzutage viel zu wenig, in der Freizeit, aber auch in der Schule. Das wollen die Mitglieder eines Bündnisses für mehr Schulsport jetzt ändern. (Foto: Florian Peljak)

Ein Bündnis will den Schulsport fördern und fordert dafür eine dritte Stunde in der ersten Klasse. Lehrer und Wissenschaft sehen die Eltern in der Pflicht

Von Anna Günther

Kinder bewegen sich heute im Umkreis von 60 Metern um ihr Elternhaus, vor 100 Jahren waren es sechs Kilometer. "Die Straßenspielkultur ist weit zurückgedrängt, das entdeckende Lernen findet nicht mehr statt", sagte Stefan Voll, Sportdidaktiker an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Dazu komme, dass Grundschulkinder 9,5 Stunden pro Tag sitzen, ältere Schüler noch länger. Die Folgen sind laut Voll gravierend: Haltungsschäden, schwächere soziale Fähigkeiten, schlechte Konzentration. "Wir erleben sogar Kinder in der Grundschule, die nicht schwimmen und nicht Radfahren können; sogar beim Laufen gibt es Störungen im Bewegungsablauf", ergänzt Jörg Ammon. Für den Präsidenten des Bayerischen Landes-Sportverbands (BLSV) ist die Lage so dramatisch wie für Lehrer, Eltern und Wissenschaftler. Ein Aktionsbündnis für den Schulsport soll nun neuen Schub verleihen, am Freitag stellten die Beteiligten in München ihre Positionen vor.

Im Bündnis sind die Sportzentren der Unis Bamberg und Augsburg, der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), der Sportlehrerverband, der BLSV und die Realschuleltern engagiert. Sie fordern die dritte Sportstunde in der ersten Klasse, in den anderen Grundschuljahren sind drei Stunden Usus. Für guten Unterricht brauche es gut ausgebildete Fachlehrer - an Grund- und Mittelschulen haben viele nur eine Zusatzqualifikation, Sport haben sie nicht studiert. Alle Grundschüler müssten Schwimmen lernen, im Ganztag solle Sportprogramm Standard sein.

Alle müssten für mehr Bewegung in der Schule eintreten, war einhellige Meinung. Besonders aber sehen Lehrer, Vereine und Politik die Eltern in der Pflicht. Es sei üblich, eher Mathe oder Englisch vertreten zu lassen, wenn Lehrer krank sind, sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Gerade vor dem Übertritt seien die Proteste sonst groß. So habe sie es in ihrer Zeit als Schulleiterin auch gemacht. Solange Eltern nicht protestierten, wenn Sport ausfällt, ändere sich daran nichts. "Wir müssen ein Bewusstsein bei den Eltern schaffen, das Bewegung wichtig ist", sagte Ammon. Dass diese ihre Kinder täglich vors Schultor fahren und abholen, trage dazu bei, dass sogar "Laufen immer mehr degeneriert". In das Profil Sportgrundschule setzt Ammon Hoffnung. Schulminister Bernd Sibler zeichnete damit in dieser Woche 70 Grundschulen aus. Vom neuen Schulminister erhofft Ammon sich Schwung für Schulsport und Vereine.

Bringt Sibler Schwung? Oder versucht er im Wahlkampf, gute Stimmung und Ruhe in die Schulen zu bringen? Die neuen Sportgrundschulen nennt Sibler jedenfalls eine "Herzensangelegenheit", zum Schild fürs Schultor gibt es 1000 Euro für Kleingeräte. Im Juni übernahm er den Vorsitz der Fördergemeinschaft Sport in Schule und Verein, im August verlieh er Günther Lommer, dem BLSV-Ehrenpräsidenten, den Bayerischen Staatspreis. Eine "Herzensangelegenheit", heißt es wieder in der Mitteilung des Ministeriums. Den Sportler nimmt man Sibler sogar ab, er geht nach eigenen Angaben jeden Morgen joggen - angeblich sogar am Morgen nach dem Ministeriums-Sommerfest. Der erste Kabinettstermin folgte schon um 8 Uhr in der Früh.

Die CSU-Fraktion bewegte sich bisher selten. Seit Jahren fordern Verbände und die Opposition im Landtag mehr Sport- und Schwimmstunden, mehr Sportlehrer und mehr Bewegung. Die Freien Wähler brachten eine Anfrage mit 148 Punkten und passende Anträge ein. Die CSU-Mehrheit lehnte stets alles ab. Begründung? Braucht es nicht in Bayern. Die Ablehnung eines SPD-Antrags begründete Gerhard Waschler, Vorsitzender des CSU-Arbeitskreises Bildung, 2015 sogar pantomimisch: Er zog die Schultern bis zu den Ohren hoch, ließ sie fallen, zog sie hoch, ließ sie fallen. "Bewegtes Sitzen", nannte er das. Im Ausschuss bewegten sich Augenbrauen und Mundwinkel nach oben. Der Sportlehrerverband verlieh ihm dafür die eigens kreierte "Luftpumpe des Jahres". Waschler fand es weniger witzig. Als Akademischer Direktor am Sportzentrum der Passauer Uni hatte er eine Studie zu "Bewegtem Ganztag" herausgegeben.

Bewegung gehe über den Sportunterricht hinaus, heißt es stets im Ministerium, es gebe auch Wettbewerbe, Bewegung im Ganztag oder die seit zehn Jahren laufende Initiative "Voll in Form". Dabei sollen Grundschüler sich an Tagen ohne Sport 20 Minuten bewegen. Allerdings werde dieses Programm "nur überschaubar" umgesetzt, entgegnete der Bamberger Professor Voll beim Aktionsbündnis, ein Lachen konnte er dabei kaum unterdrücken. Die "kathartische Wirkung" des Sportes komme in der Schule viel zu kurz.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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