Süddeutsche Zeitung

Spitzenkoch Anton Schmaus:Der Mann ohne Rezept

Lugano, Stockholm, New York - und jetzt Regensburg: Anton Schmaus vom "Storstad" kocht nach Gefühl. Was dabei herauskommt ist exklusiv, trotzdem puristisch - und inzwischen mehrfach ausgezeichnet.

Von Wolfgang Wittl, Regensburg

Seine erste prägende Erfahrung als Koch erlebte Anton Schmaus zu Schulzeiten. Er hatte ein paar Freunde aus der Kollegstufe eingeladen, es sollte ein gemütlicher Abend mit einem ambitionierten Gericht werden: Hirschrücken mit Portweinsoße. Doch offenbar ist Schmaus bei den Zutaten etwas verrutscht. In Erinnerung geblieben ist jedenfalls die Anekdote, dass jeder Gast, der noch nicht betrunken war, spätestens durch die Soße den Rest bekommen hat. Heute verhält es sich so: Wild im klassischen Sinn kocht Schmaus eher selten, Soßen bekommt er mehr als nur unfallfrei hin. Diese Woche hat ihn der Restaurantführer Gault&Millau zum Aufsteiger des Jahres in Deutschland gekürt.

Dass er die Geschichte mit einem herzhaften Lachen erzählt, verrät viel über den Spitzenkoch: eine Uneitelkeit etwa, die es zulässt, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Oder eine Lockerheit, die jüngsten Auszeichnungen bei allem Jubel nicht zu wichtig zu nehmen. Das bedeutet keineswegs, dass Schmaus nicht bis zur Perfektion ehrgeizig wäre. Wohl kaum hätte er es sonst mit 33 Jahren so weit gebracht.

Exklusiv und trotzdem puristisch

Ein Herbsttag in Regensburg, Schmaus trifft Vorbereitungen für den Lunch. Am Eingang seines Restaurants "Storstad" deutet nichts darauf hin, dass es sich hier um das beste Haus der Stadt handelt: kein Hinweis auf den Michelin-Stern, den er vor wenigen Tagen aufs Neue verliehen bekommen hat; nichts zu sehen von den drei der vier möglichen Hauben im Gault&Millau. Wird Schmaus gefragt, weshalb er seine Leistungen nicht besser anpreist, winkt er nur ab.

Wer in Regensburg gut speisen will, weiß ohnehin, dass er in dieser Gasse am Watmarkt richtig ist. Aus ganz Bayern reisen Gäste an. Auf der Straße sehen sie lediglich einen Glaskasten mit dem Schriftzug des Lokals, keine Speisekarte, nur Öffnungszeiten. Und dass Ende des Monats ein Fünf-Gang-Trüffeldinner mit Weinbegleitung für 275 Euro zu erstehen ist.

Exklusiv und trotzdem puristisch - dieses Motto zieht sich wie ein roter Faden durch sein kulinarisches Leben, das für Anton Schmaus trotz aller familiärer Vorbelastung so richtig erst nach dem Abitur im Klosterinternat Metten begonnen hat. Seine Eltern leiteten im niederbayerischen Viechtach ein Hotel und gut bürgerliches Gasthaus in 13. Generation. Dass der Sohn trotz seiner humanistischen Schulbildung das harte Handwerk des Kochs erlernen will, erfüllt den Vater zunächst mit Freude. Doch immer mehr zeichnet sich ab, dass Anton Schmaus die weite Welt näher liegt als der heimische Bayerwald.

Die Debatte um die Fortsetzung der Familientradition führt zu Spannungen, mittlerweile haben seine Eltern ihren Frieden gemacht. Der Betrieb in Viechtach ist verkauft, beide führen nun eine Wirtschaft in der Nähe Regensburgs. Der Stolz über die Karriere des Sohns hat längst obsiegt.

Schluss mit dem "Larifari-Leben"

Der junge Anton lernt ausschließlich in Sternehäusern: Seine erste Station führt ihn zu Franz Feckl ins schwäbische Ehningen, ein Freund seines Vaters. Schmaus, 20, begreift schnell, dass sein "Larifari-Leben" jetzt vorbei ist. Sein neuer Alltag ist gekennzeichnet von straffer Organisation, klarer Hierarchie und hohen Erwartungen an ihn. Vor allem lernt er bei Feckl, den er heute als väterlichen Freund bezeichnet, konsequent zu sich selbst zu sein.

Zum ersten Mal auf sich allein gestellt ist Schmaus in Lugano in der italienischen Schweiz. Es geht weiter nach Sankt Moritz, er kocht für die Reichen und Schönen dieser Welt, findet langsam heraus, was ihm behagt und was nicht. Als er im Urlaub im Stockholmer "F 12" speist ("der heißeste Laden damals"), ist er so begeistert, dass er sich sofort bewirbt. Es beginnt die Phase, die ihn nachhaltig beeindruckt: Seine klassische Ausbildung hilft ihm plötzlich wenig, Schmaus kommt mit Produkten und Arbeitsweisen in Berührung, die ihm bislang völlig fremd waren. Es folgen Monate im New Yorker Drei-Sterne-Restaurant "Per Se", er spricht italienisch, englisch und französisch, doch hängen geblieben ist vor allem die Zeit in Schweden. Erst dort habe er, "der Bua vom Land", gelernt, um die Ecke zu denken.

Ein intensiver Flirt mit asiatischen Aromen und Kochtechniken

Diese besondere Art der Zubereitung ist es auch, die Kritiker schwärmen lässt: Schmaus orientiere sich an moderner skandinavischer Küche, flirte intensiv mit asiatischen Aromen und Kochtechniken, lobt Gault&Millau. Er gebe jedem Teller "eine ganz klare aromatische Aussage" mit. Bis es so weit ist, vergehen trotzdem fünf Jahre der Findungsphase. 2009 macht sich Schmaus im "Historischen Eck" in Regensburg selbständig, 2011 erlangt er seinen ersten Stern. Bayerische, mediterrane, klassische Küche - er probiert viel, bis er seinen Stil entwickelt hat. Heute ist er überzeugt, dass er sich von 95 Prozent der deutschen Küchenchefs unterscheidet.

Die Selbstverwirklichung gelingt erst Mitte dieses Jahres. Schmaus zieht mit seiner Belegschaft auf die andere Straßenseite, wo bislang Herbert Schmalhofer, einst Leibkoch des Fürstenhauses Thurn und Taxis, die Gäste verwöhnte. Es sind nur wenige Schritte, doch Schmaus eröffnen sie eine neue Welt. Statt des dunklen Gewölbes residiert er im fünften Stock über den Dächern der Stadt, die Türme des Doms sind so nahe, dass man sie von der Dachterrasse aus greifen möchte, Licht durchflutet die Räume. An der Cocktailbar ertönen Jazzklänge, die Einrichtung ist modern, die Atmosphäre entspannt. Gäste mit Turnschuhen sind so willkommen wie Anzugträger. Im Namen "Storstad", schwedisch für Großstadt, führt Schmaus alle für ihn wesentlichen Komponenten zusammen.

Säurebasiert, produktnah, ohne viel Chichi

Der Umzug sei eine bewusste Standortentscheidung für Regensburg gewesen, sagt er, während er eine Mangosoße drapiert. Sein 14-Stunden-Tag nähert sich langsam dem Ende. Jeder Teller, der an die Gäste geht, wird von Schmaus persönlich angerichtet. Dreigängige Mittagsmenüs kosten 35 Euro, am Abend gibt es Bison, der einvakuumiert bei 68 Grad im Wasserbad gegart wird (44 Euro). Oder Zander mit Sauerkraut, Ananas und Kimchi (39 Euro). Bretonische Muscheln werden mit Pflaume, Sake und Reis gereicht. "Sehen Sie, mehr ist da nicht drauf." Was für eine Untertreibung: Säurebasiert, produktnah, ohne viel Chichi - genau so interpretiert er seine Küche. Auf Geschmack und Mundgefühl komme es ihm an, die Produkte in einen zeitgemäßen Kontext zu bringen.

Wohin das alles führt - Sterne, Hauben, Aufsteiger des Jahres mit Anfang 30? Keine Ahnung, sagt Schmaus. Am wichtigsten sei es ihm, die Gäste glücklich zu machen und sich mit seinem tollen Team weiterzuentwickeln. Der Rest komme von selbst. Die Karte wechselt alle sechs Wochen, jedes Gericht gibt es nur einmal, Rezepte werden nicht dokumentiert. Kochbücher besitzt er nicht, die ständige Herausforderung, kreativ zu arbeiten, empfindet Schmaus wie eine Befreiung. Es sei schwierig genug gewesen, im "Historischen Eck" fünf Jahre lang nicht das Schnitzel von der Karte nehmen zu können. Doch Sonderwünsche wie Kinderschnitzel werden natürlich erfüllt. Und, wer weiß, für alte Freunde vielleicht sogar Portweinsoße.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2014
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