Dorfprozelten:Wo jeder Archäologe sein kann

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Die ehrenamtliche Grabungshelferin Anne Hußlein und ein vierjähriger Bub sind Hobby-Archäologen beim Archäologischen Spessartprojekt. Gerade legen sie einen mittelalterlichen Hof frei. (Foto: Vanessa Köneke/dpa)

Geschirrscherben, Mauerreste, alte Wasserstellen – verborgen im Spessart kann jeder Mensch mit wissenschaftlichen Archäologen in der Vergangenheit graben. Auch Kinder dürfen mitmachen.

Nach dem Schulabschluss will er Archäologie studieren. Da ist sich der zwölfjährige Anton sicher. Denn er weiß schon genau, wie die Arbeit in der Archäologie aussieht. Seit drei Sommern ist er begeistertes Team-Mitglied beim Archäologischen Spessartprojekt (ASP). Diesen Sommer gräbt er die Überreste eines alten Hofes aus dem Mittelalter in Dorfprozelten (Landkreis Miltenberg) mit aus. In den etwa 30 Zentimeter tiefen Erdlöchern im Spessart-Wald sind schon meterweise Mauerreste zum Vorschein gekommen. Mehrere Menschen knien mit Spitzkelle und anderen Werkzeugen in der Hand in den Ausgrabungen. Immer wieder finden sie Keramikscherben und Dachziegelstückchen aus dem 14. Jahrhundert. „Die kommen in den weißen Fundeimer“, sagt Anne Hußlein. Die 63-Jährige ist eine von mehreren Ehrenamtlichen beim ASP. Sie kümmert sich besonders gerne um die Kinder.

Das Besondere am Spessartprojekt: Wirklich jeder Mensch darf mitmachen und niemand muss sich anmelden. Einfach kommen und los graben. An manchen Tagen sind angemeldete Schulklassen dabei. Aber selbst zufällig passierende Wanderinnen oder Mountainbiker können spontan stoppen und direkt einsteigen. Denn das Motto lautet: „Open Dig“ oder „Communal Dig“ – offenes und gemeinschaftliches Graben.

Die Ehrenamtlichen, die schon länger dabei sind, leiten an und geben an manchen Tagen zudem eine kleine Führung über das Gelände. Da Privatpersonen mitmachen können, ist die Grabung eine Form von Bürgerwissenschaft, auf Englisch „Citizen Science“ genannt. Ein anderes bekanntes Beispiel von Bürgerwissenschaft ist, wenn Privatpersonen mithelfen, Vögel oder Insekten in ihren Gärten oder in Parks zu zählen.

Das Spessartprojekt ist ein Verein. Gleichzeitig ist es der Universität Würzburg angegliedert, genauer gesagt am Institut für Geschichte. Der leitende Archäologe Harald Rosmanitz ist von der Idee der Bürgerwissenschaft überzeugt. „Ich sehe darin die Zukunft der Archäologie“, sagt der 62-Jährige. Andere archäologische Grabungen seien meist „Notgrabungen“ unter Zeitdruck. Etwa, wenn vor Bauarbeiten ein Gelände archäologisch erkundet werden muss. „Außerdem tragen die Einheimischen durch ihr Orts- und Geschichtswissen viel zu den Erkenntnissen bei“, sagt Rosmanitz. „Wir als Wissenschaftler sehen uns vor allem als Impulsgeber und Moderatoren.“

Behörden wie das Denkmalschutzamt seien oft zunächst skeptisch, berichtet Rosmanitz. Aber Probleme habe es noch nie gegeben: Keine versehentlich oder absichtlich erzeugten Schäden, keine heimliche Grabung am Wochenende, wenn niemand zum Anleiten da ist.

Beim Archäologischen Spessartprojekt darf jede Person zur Hobbyarchäologin werden. Zum Beginn und Abschluss der Saison gibt es Feste beziehungsweise einen offenen Besichtigungstag. (Foto: Vanessa Köneke/dpa)

Seit gut 20 Jahren gibt es das Projekt bereits. Jedes Jahr steht eine andere Grabungsstelle im Mittelpunkt. Dieses Jahr wird am sogenannten Lufthof in Dorfprozelten geforscht. Den Forschenden zufolge war er ab circa 1380 bis kurz vor 1800 besiedelt. „Bei Mittelalter denken alle an Burgen, aber der Lufthof war ein Versorgungshof“, sagt Rosmanitz. Der studierte Geisteswissenschaftler, der über Ofenkacheln im Spessart promoviert hat, geht davon aus, dass der Lufthof ein Vorzeigehof zum Imponieren war. Die eigentlichen Voraussetzungen für Landwirtschaft seien an dem Ort nämlich nicht gut gewesen. Zerstört wurde ein Großteil des Hofes vermutlich durch Brände. Davon zeugt eine schwarze Schicht in der Erde, die auch für Laien deutlich zu sehen ist. Die Grabungen am Lufthof haben im Juni begonnen. Sie laufen noch bis Ende September.

Den diesjährigen Abschluss bildet ein „Tag der offenen Grabung“ unter dem Motto „Wenn Steine reden“ am 29. September. Bis dahin wird jeden Werktag gegraben. Und noch mehr: Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer graben nicht nur: Sie waschen die Scherben, vermessen das Gelände, dokumentieren die Funde. Zwischendurch kommen alle Helfer des Tages zum gemeinsamen Mittagessen und Kaffeetrinken zusammen.

Viele, die mit graben, sind „Wiederholungstäter“. Auch Hußlein, die über einen Zeitungsartikel auf die Hobby-Grabungen aufmerksam geworden war, ist schon seit mehreren Jahren dabei. Sie hat hier viele Tage und Stunden verbracht. Für die Grabungstage hat sich die Pädagogin extra freigenommen. Mehrere Ehrenamtliche nutzen Urlaubstage, um archäologisch mitzuarbeiten. Andere sind in Rente oder arbeitslos. Manche kommen aus den umliegenden Orten, andere reisen aus weiter entfernten Städten oder Landkreisen an. Auch Kinder sind immer wieder dabei. Wie Anton, für den die Hobbyarchäologie inzwischen sogar zum Berufswunsch geworden ist.

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