Spendenaffäre:Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen suspendierten Regensburger Bürgermeister

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  • Die Staatsanwaltschaft hat nach 14 Monaten Ermittlungsarbeit Anklage gegen Joachim Wolbergs und drei weitere Personen erhoben.
  • Die Vorwürfe gegen den suspendierten Bürgermeister von Regensburg: besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und fünf Verstöße gegen das Parteiengesetz.
  • Ob das Gericht die Anklage zulassen wird, ist noch unklar.

Von Andreas Glas und Wolfgang Wittl, Regensburg

Am Donnerstag, 12.44 Uhr, meldet sich dann auch Rechtsanwalt Peter Witting zu Wort. Dass die Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen Joachim Wolbergs erhoben hat, habe "nichts geändert" an der Haltung des suspendierten Regensburger Oberbürgermeisters, schreibt Witting per E-Mail, die gegen Wolbergs "erhobenen Vorwürfe weist er unverändert entschieden zurück". Es war eine scharfe Antwort auf eine scharfe Mitteilung, die exakt 68 Minuten zuvor Oberstaatsanwalt Theo Ziegler in die Welt geschickt hatte. Von "besonders schweren Fällen der Bestechlichkeit" ist darin die Rede und davon, dass Wolbergs (SPD) nun bis zu zehn Jahre Gefängnis drohe.

Schärfe gegen Schärfe. Das ist vermutlich nur ein Vorgeschmack auf das, was Regensburg in den kommenden Monaten noch erleben wird.

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Von Andreas Glas

Seit fast 14 Monaten köchelt die Korruptionsaffäre, so lange haben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gedauert. Nun also liegt es am Regensburger Landgericht, das Verfahren gegen OB Wolbergs zu eröffnen. Lässt das Gericht die Anklage zu, könnte Regensburg ein Mammutprozess bevorstehen. Die Fronten sind spätestens seit Donnerstagmittag geklärt: Auf der einen Seite die Justiz, die eine harte Strafe fordern dürfte. Auf der anderen Seite der OB und sein Anwalt, die sich mit nicht weniger als einem Freispruch zufrieden geben.

Sieben Seiten lang ist die Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Ein dicht bedrucktes Papier, das neue, interessante Einblicke liefert, wie der OB seine eigene Partei, die Stadtverwaltung und den Stadtrat getäuscht haben könnte, um Schmiergeldgeschäfte zu verschleiern und abzuwickeln. Aber zunächst die Vorwürfe, die nun schwarz auf weiß stehen: Die Justiz geht davon aus, dass Wolbergs sich bei zwei städtischen Grundstücksgeschäften vom Regensburger Bauunternehmer Volker Tretzel mit rund 475 000 Euro schmieren ließ.

Um die mutmaßlich illegalen Deals abzuwickeln, soll sich Wolbergs unerlaubterweise mit Tretzel abgesprochen haben. Darüber hinaus beinhaltet die Anklage den Vorwurf, dass Wolbergs auch persönlich finanziell profitiert hat. Es geht um geldwerte Vorteile von knapp 120 000 Euro für zwei Personen aus Wolbergs' familiärem Umfeld - und damit um rund 40 000 Euro mehr als bislang bekannt. Die weiteren Vorwürfe: Vorteilsannahme und fünf Verstöße gegen das Parteiengesetz.

Zwei Männer sollen als Handlanger gedient haben

Auch gegen Tretzel wurde am Donnerstag Anklage erhoben. Die Vorwürfe sind laut Staatsanwaltschaft "spiegelbildlich" zu denen, die gegen Wolbergs im Raum stehen: Bestechung in zwei Fällen, illegale Absprachen, Vorteilsgewährung, fünf Verstöße gegen das Parteiengesetz. Und dann gibt es da noch zwei Männer, die Wolbergs und Tretzel als Handlanger gedient haben sollen: Franz W., Ex-Geschäftsführer der Firma Tretzel, und Norbert Hartl, der Fraktionschef der Rathaus-SPD war, bis der öffentliche Druck im Zuge der Korruptionsaffäre so groß wurde, dass er den Posten Anfang des Jahres aufgab.

Im Zentrum der Affäre steht die Vergabe des ehemals städtischen Grundstücks auf dem Areal der früheren Nibelungenkaserne. Projektvolumen: mehr als 100 Millionen Euro. Gut möglich, dass es Tretzel bereits im Jahr 2011 auf diesen Baugrund abgesehen hatte. Damals flossen die ersten Parteispenden auf Wolbergs' Wahlkampfkonto. Zu einer Zeit also, als der SPD-Politiker noch Dritter Bürgermeister war.

Von den Parteispenden hat Wolbergs dann seinen Wahlkampf finanziert

Zu den Spendern gehören neun Personen aus Tretzels privatem und beruflichem Umfeld. So könnte verschleiert worden sein, dass das Geld allein aus Tretzels Hand stammte. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem Strohmann-System, das Franz W. organisiert haben soll. Dass die Spenden geheim bleiben sollten, darauf deutet die Höhe der Einzelbeträge hin, die jeweils nur knapp unter 10 000 Euro lagen und damit unterhalb der im Parteiengesetz festgelegten Veröffentlichungsgrenze.

Von den Parteispenden hat Wolbergs dann seinen Wahlkampf finanziert. Mit Erfolg: Im Frühjahr 2014 gewann er die OB-Wahl - und soll die Stadtverwaltung gleich am 2. Mai, dem zweiten Tag seiner Amtszeit informiert haben, die bereits beschlossenen Kriterien für die Ausschreibung des Nibelungenareals ändern zu wollen. An dieser Stelle kommt der damalige SPD-Fraktionschef Hartl ins Spiel: Er soll im Juni 2014 den Entwurf der Ausschreibung an Volker Tretzel geschickt haben - "mit der Aufforderung, Änderungswünsche in Rot einzutragen, was auch geschehen sein soll", schreibt die Staatsanwaltschaft.

Bei städtischen Mitarbeitern und Fraktionschefs im Stadtrat sollen Wolbergs und Hartl dann "entgegen dem Rat der Verwaltungsmitarbeiter" für Tretzel "geworben haben, ohne eine Vergabe an andere Bewerber überhaupt in Betracht zu ziehen und die Einflussnahme des Unternehmers auf die Ausschreibung offenzulegen". Letztlich stimmte die Mehrheit der Stadträte zu, Tretzel bekam das Grundstück. Laut Staatsanwaltschaft war auch der SSV Jahn Regensburg "Teil der Unrechtsvereinbarung". Tretzel unterstützte den Fußballklub, dessen Aufsichtsratschef OB Wolbergs ist, mit mehreren Millionen Euro.

Anruf bei Norbert Hartl, es ist Donnerstagmittag, 12.20 Uhr. Er nimmt sofort ab. Gerade im Moment habe er die Vorwürfe gelesen, sagt Hartl. Dass nun auch gegen ihn Anklage wegen Beihilfe zur Bestechlichkeit erhoben wurde, dazu will er nichts sagen. Was er von den Anschuldigungen hält, macht er durch ungläubiges Seufzen deutlich. Am Nachmittag werde er sich mit seinem Rechtsanwalt treffen, sagt Hartl, dann beendet er das Gespräch.

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Dabei hätte man ihn gerne noch zu einem zweiten Deal befragt, der Bestandteil der Anklage ist: das Grundstück am Roten-Brach-Weg im Stadtwesten. Auch in diesem Fall soll sich Wolbergs über das erlaubte Maß hinaus für Bauunternehmer Tretzel eingesetzt haben. Konkret ging es darum, dass dessen Firma eine Wohnungsbaugenehmigung für Flächen bekommt, die zunächst Gewerbeflächen waren. Im Gegenzug soll Tretzel dem OB weitere 200 000 Euro "an ihn persönlich" in Aussicht gestellt haben. Dass Wolbergs als Vorsitzender des Kreditausschusses der Sparkasse im Februar 2016 einem günstigen 4,5 Millionen-Kredit an Tretzel zustimmte, ist ebenfalls Bestandteil der Anklage.

Donnerstag, 15.45 Uhr, Neues Rathaus. Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) tritt jetzt vor die Mikrofone. "Keine große Überraschung" sei die nun erhobene Anklage, sagt die Zweite Bürgermeisterin, die OB Wolbergs seit einem halben Jahr vertritt. "Positiv ist, dass die ungewisse Zeit des Wartens auf das Ende des Ermittlungsverfahrens vorbei ist", sagt sie. Und weiter: "Man wird jetzt sehen, was das Gericht entscheidet, ob es die Anklage zulässt."

Derweil setzt die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte in der Affäre fort: gegen die mutmaßlichen Strohmänner, zwei weitere Bauunternehmer und Alt-OB Hans Schaidinger (CSU), der ebenfalls im Verdacht steht, Volker Tretzel begünstigt zu haben. Wie Wolbergs weist auch Schaidinger jede Schuld von sich. Aus Wolbergs' Umfeld heißt es gar, der suspendierte OB fühle sich als Justizopfer. Auch Volker Tretzels Anwälte hatten über "mögliche politische Implikationen" bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft spekuliert.

Auch Gustl Mollath stand in Regensburg vor Gericht

Es gab schon mal einen, der sich von der Justiz zu Unrecht verfolgt fühlte und in Regensburg vor Gericht stand. Vor drei Jahren wurde im Landgericht das Wiederaufnahmeverfahren von Gustl Mollath verhandelt - ein Prozess, auf den ganz Deutschland geblickt hat. Wird die Anklage gegen Wolbergs zugelassen, werden nicht viel weniger Menschen nach Regensburg blicken. Dass sich der Oberbürgermeister einer Großstadt wegen Bestechlichkeit verantworten muss, dass er eine Hauptfigur im größten kommunalen Spendenskandal der Republik sein soll, zeigt die ganze Fallhöhe von Joachim Wolbergs. Für so einen Prozess braucht es ein souveränes Gericht, eines, das so zielstrebig wie feinfühlig agiert. Elke Escher, die Vorsitzende Richterin im Fall Mollath, wäre so eine Person.

Bis zur Entscheidung des Landgerichts, ob ein Verfahren gegen den OB und die drei weiteren Beschuldigten eröffnet wird, dürften allerdings noch Wochen, vielleicht sogar Monate vergehen.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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