SPD-Spitzenkandidatin in Bayern:Zuhörerin Kohnen gegen Macho Söder

Außerordentlicher Parteitag SPD Bayern

SPD-Spitzenkandidatin und stellvertretende Bundesvorsitzende Natascha Kohnen

(Foto: dpa)
  • Beim SPD-Wahlparteitag in München wählen 300 Delegierten Natascha Kohnen mit 94,8 Prozent der Stimmen zu ihrer Spitzenkandidatin.
  • Kohnen prangert an, dass in einem reichen Land wie Bayern 245 000 Kinder armutsgefährdet seien und fordert kostenlose Kitas.
  • Wer wie die bayerische Sozialministerin behaupte, befristete Jobs seien Brücken in die Zukunft, habe den Wert von Arbeit für die Menschen nicht verstanden, sagt sie.

Von Lisa Schnell

Sie ist noch nicht mal gewählt, da stehen die Genossen schon Schlange für ein Selfie mit Natascha Kohnen. Kohnen muss sich mehrmals drehen, damit der Hintergrund stimmt. Nicht die graue Wand der kleinen Olympiahalle in München soll da zu sehen sein, sondern die Botschaft auf der Bühne: "Jetzt wird Zukunft gemacht" und das mit einem großen Ausrufezeichen.

Es soll im besten Fall ein Erinnerungsfoto sein an den Tag, an dem die Bayern-SPD alles Schlechte hinter sich ließ, die niedrigen Umfragewerte von 14 Prozent, die nervenzerrende Debatte um die Groko, die Personaldebatten auf Bundesebene. Und es soll ein Foto sein von der Frau, die all das schaffen soll: Natascha Kohnen.

Die letzten Wochen war die SPD-Spitzenkandidatin und stellvertretende Bundesvorsitzende viel in Berlin, hat bei den Verhandlungen mit der Union für sozialdemokratische Wohnungspolitik gekämpft. Jetzt liegt der Wahlkampf in Bayern vor ihr. Mit welcher Strategie, mit welchen Argumenten sie sich gegen Markus Söder von der CSU durchsetzen möchte, das wollen die Genossen von ihr am Samstag bei ihrem Wahlparteitag wissen.

Die diffuse Angst der Wähler

Kohnen führt ihr Publikum zu Beginn ihrer Rede in den Kopf des Wählers. In dem breite sich eine diffuse Angst aus, ein ungutes Gefühl, wenn er all die Schlagzeilen höre von Trumps Handelskrieg, von der Digitalisierung, die 3,4 Millionen Jobs kosten solle. Zwei Antworten könne die Politik da geben, sagt Kohnen. Die eine beschreibt sie so: Den Menschen Angst machen, ihnen vorgaukeln, Bayern könne sich abschotten. Es ist der Weg, den sie nicht gehen will und den sie beim politischen Gegner erkennt, auch wenn Kohnen die CSU nicht nennt. Ihr Weg aber sieht anders aus. "Wir wollen die Menschen stark machen", sagt Kohnen. Nur wie?

Kohnen beginnt mit dem Kampf für bezahlbaren Wohnraum, der immer ein ursozialdemokratischer Kampf war. Seit kurzem aber gibt sich auch der designierte Ministerpräsident Markus Söder als großer Kümmerer in der Wohnungspolitik und kündigte an, eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft zu gründen. Kohnen nennt Söder nicht, aber sie macht klar, was sie von der bisherigen Wohnungspolitik der Regierung hält: nicht viel. "Der Freistaat baut nicht", sagt Kohnen. Er habe nicht mal einen Überblick, wie viel bebaubare Flächen es gebe. Sie fordert ein eigenes Bauministerium und eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft, die in den nächsten fünf Jahren 25 000 Wohnungen pro Jahr schafft. Söder kündigte 2000 Wohnungen bis 2020 an.

Auf ihrer Liste der Versäumnisse stehen noch etliche Punkte: Der Staat soll seine Grundstücke an Kommunen nicht zu Marktkonditionen, sondern zu günstigen Preisen verkaufen. Die Sozialbindungen von gefördertem Wohnraum will Kohnen über 25 Jahre hinaus verlängern. "Das alles ist möglich, man muss es nur verdammt noch mal machen", sagt sie und erntet zum ersten Mal lange Applaus.

Kohnen fordert kostenlose Kitas

Kohnen prangert an, dass in so einem reichen Land wie Bayern 245 000 Kinder armutsgefährdet sind, sie fordert kostenlose Kitas, eine Kindergrundsicherung und ruft die "Stunde der sozialen Berufe" aus, die in ihren Augen endlich besser bezahlt gehören. Vom Freistaat erwartet sie, dass er als Arbeitgeber Vorbild ist. Das heißt für Kohnen: Gute Arbeitsbedingungen wenn der Freistaat bezahlt und Schluss mit den befristeten Jobs im öffentlichen Dienst. Wer wie die bayerische Sozialministerin behaupte, befristete Jobs seien Brücken in die Zukunft, habe den Wert von Arbeit für die Menschen nicht verstanden, sagt sie.

Es ist das einzige Mal, dass sie eine Person aus dem gegnerischen Lager nennt, und selbst da nicht mit Namen. Söder erwähnt sie mit keiner Silbe. Sie glaubt nicht daran, dass die Menschen dem vertrauen, "der am lautesten schreit". Nicht Draufhauen, sondern zuhören, den Wählern Respekt entgegen bringen, so will Kohnen im Wahlkampf punkten. Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher lobte Kohnen schon im Vorfeld: "Nicht so machomäßig" wie der politische Gegner. Zuhören statt poltern, Respekt statt Geschrei: "Das ist der politische Stil, für den ich stehe", sagt Kohnen am Ende ihrer Rede.

Es gab Zeiten, etwa als die Urwahl zum Landesvorsitz lief, in der sich Kohnen durchsetzte, da hätte der ein oder andere bei diesen Worten kurz das Gesicht verzogen. Jetzt aber steht die Partei geschlossen hinter Kohnen, das ist die Botschaft dieses Parteitags. Die etwa 300 Delegierten wählen sie mit 94,8 Prozent zu ihrer Spitzenkandidatin. Nach ihrer Rede applaudieren sie minutenlang im Stehen.

Nur einmal erlaubt sie sich einen verhaltenen Handkuss

Söder riss in diesem Moment die Faust in die Luft zur Siegerpose, Kohnen aber legt ihre Hände wie zum Gebet gefaltet vor die Brust und verbeugt sich leicht. Nur einmal erlaubt sie sich einen verhaltenen Handkuss, den sie ins Publikum schickt. Anstatt ihren großen Moment auf der Bühne auszukosten, sucht sie schnell wieder ihren Stuhl. Als das Klatschen nicht aufhören will, schaut sie kurz fragend in die Runde. Soll sie wirklich? Ja, nicken sie ihr zu. Erst dann geht Kohnen noch mal auf die Bühne.

Wen man auch fragt, von überall gibt es Lob für Kohnen, selbst von den größten Nörglern. Es müsse jetzt Schluss sein mit den merkwürdigen Intonierungen, die zu hören waren, als Kohnen um den Landesvorsitz kandidierte, sagt der Münchner OB Dieter Reiter. Damals hatte sich sein Vorgänger Christian Ude offiziell gegen Kohnen ausgesprochen. "Hier in München stehen wir auf deiner Seite", sagt er zu Kohnen. Um das klarzustellen ist Reiter, der sich bis jetzt rar machte auf Landesparteitagen, extra gekommen. Genau wie der Nürnberger OB Uli Maly. Mit ihr bekämen die Wähler " eher fröhliche Weltverbesserung als besserwisserische Zwangsbeglückung", sagt er in seiner Vorschlagsrede für Kohnen. Auch wenn es immer heiße, die SPD starte von einem relativ aussichtslosen Posten, gehe er durchaus optimistisch in den Landtagswahlkampf.

Kohnens Vorgänger Florian Pronold dagegen hat gelernt, mit Optimismus sparsam umzugehen. Er geht lieber als "Zweckpessimist" durchs Leben, sagt er, denn, wer das Schlechteste annehme, werde später positiv überrascht. An diesem Tag aber probiert es selbst Pronold mit Optimismus. Zu den schlechten Umfragewerten sagt er: "Wir haben ein Riesenentwicklungspotenzial, ist doch super."

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