SPD-Spitze:Der Millimeterarbeiter

Florian Pronold rackert, kämpft und will alles richtig machen. Trotzdem kommt der SPD-Landeschef auch bei den eigenen Leuten schlecht an. Mit Generalsekretärin Natascha Kohnen erwächst ihm jetzt auch noch eine parteiinterne Konkurrentin

Von Lisa Schnell, Würzburg

Ein kleiner Saal im Würzburger Kulturspeicher, draußen ist es schon dunkel. Nur zwei Stuhlreihen, nicht mal 50 Plätze. Die Würzburger SPD lädt ein zur Diskussion über den Wohnungsmarkt, ihr Stargast: Florian Pronold. "Flori wer?", fragt eine junge Frau mit Piercing ihre Freundin. Die hat zwar einen knallroten Schal um den Hals, wer dieser Flori von der SPD sein soll, weiß sie aber auch nicht. "Der wird doch beim Nockherberg immer veralbert", hilft ein älterer Herr mit Schnauzer weiter. Florian Pronold steht nur ein paar Meter weiter, verzieht keine Miene. Dass ihn hier nicht jeder kennt, mache ihm nichts aus. Witzfigur vom Nockherberg? Na und.

Florian Pronold ist hart im Nehmen, muss es wohl sein. Er ist nicht nur Staatssekretär im Umweltministerium in Berlin, sondern auch Landesvorsitzender der Bayern-SPD. Die feierte ihre letzten Erfolge gefühlt in der Steinzeit, es wird schon gejubelt, wenn die Umfragen nicht noch weiter sinken. Zu diesem Trauerspiel gute Miene zu machen, das ist Pronolds Job. Sieben Jahre lang macht er das jetzt. Und er will noch zwei Jahre dranhängen. Im Mai tritt er wieder an - zum fünften Mal. Das letzte Mal endete der Parteitag für Pronold im Fiasko. Nur 63 Prozent entschieden sich für ihn, ein Ergebnis, das wohl selbst dem Leidgeprüften weh getan haben muss. Seit fast 30 Jahren strampelt er sich für die SPD ab. Fast ein Drittel der Delegierten gaben ihre Stimme aber Walter Adam, einem zotteligen Ur-Bayern, der gegen faule Kompromisse und für alte sozialdemokratische Werte eintrat. Zu glatt, zu pragmatisch, zu stromlinienförmig. Das waren damals die Vorwürfe an Pronold. Wird sich das Debakel bald wiederholen? Wie gern hat die SPD ihren Dauervorsitzenden noch?

In Würzburg kommt Pronold in Nadelstreifenanzug, Krawatte und blitzblanken Lederschuhen. Ein Fernsehinterview? Kein Problem. Er weiß, wo das kleine schwarze Mikro hin muss an seinem Hemdkragen, formuliert knackig, ohne Versprecher. Seine Rede später hält Pronold frei nur mit ein paar Krakeleien auf einem Briefumschlag als Notizen. Er kann etwas tun, wofür ihn seine Kollegen aus dem Landtag sicher beneiden. Er kann Erfolge aufzählen. Höhere Mittel für Sozialwohnungsbau, die Mietpreisbremse, das Bestellerprinzip für Makler. All das hat Pronold 2013 in den Koalitionsvertrag mit der Union hineinverhandelt.

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Als geborenen Bierzeltredner würde sich Florian Pronold wohl nicht mal selbst beschreiben. Chef der Bayern-SPD will er trotzdem bleiben, auch bei wenig Applaus aus der eigenen Partei.

(Foto: picture alliance / dpa)

Für seine "klare Linie in der Wohnungspolitik" schätzt ihn ein älterer Herr im Publikum. "Der Inhalt stimmt", sagt er. Und die Form? "Naja", dann höfliches Schweigen. Pronold am Rednerpult und man muss unweigerlich an einen Musterschüler denken, der ein Impulsreferat hält. Das Bubihafte kriegt er nicht weg, auch nicht mit 43 Jahren, auch nicht mit Bart. In der SPD nennen ihn einige ernsthaft noch "den Flori". Seine Gesten sind immer die gleichen. Etwa die Pronold-Fäuste: Beide Hände zur Faust ballen, auf Brusthöhe anheben und dann mit einem Ruck nach vorne. Entschlossenheit soll das heißen. Für Vertrauen gibt es das Pronold-Zwinkern. Mit dem unter Genossen beliebten festen Schulterklopfer oder gar einer herzhaften Umarmung tut er sich schwer. Bei ihm ist es eher ein zaghaftes Schulterstreicheln.

"Ein bisschen lockerer könnte er schon sein", sagt ein SPD-Abgeordneter im Landtag. Das Plenum ist vorbei, zum Feierabend gibt es Wiener Würstl mit Senf am Stehtisch. Hier erfährt man am ehesten, wie glücklich die SPD mit ihrem Vorsitzenden noch ist. Viel Lob gibt es für seine Arbeit nach innen. Dass er sich getraut hat, den Mitgliederbeitrag zu erhöhen, dass es jetzt auch im hintersten CSU-Land eine SPD-Geschäftsstelle gibt. Wohltuend auch, dass die Bayern-SPD mal wieder einen am Kabinettstisch hat. Nur, wer in Berlin in der Regierung sitzt, kann der zugleich Opposition in Bayern? "Das ist ein Spagat, der fast nicht auszuhalten ist", sagt ein Abgeordneter. Gerade erst krachte es in der Partei, weil Pronold beim SPD-Parteikonvent als einziger aus Bayern für das kanadische Handelsabkommen Ceta und gegen die Parteilinie in Bayern gestimmt hat. Aus tiefer innerer Überzeugung, sagt Pronold. Wohl eher aus Loyalität zu SPD-Chef Sigmar Gabriel, so die Meinung im Landtag. Man erinnert sich an früher, an das "Riesentalent" Pronold, mit 16 Jahren Gründer der Jusos in Deggendorf, jüngstes Vorstandsmitglied, Juso-Vorsitzender. "Einer, der sich traut", der "so richtig auf's Blech hauen" konnte. Pronold nannte das Kruzifix "Lattengustl", initiierte als junger Bundestagsabgeordneter eine Mitgliederbefragung gegen die "Agenda 2010". Jetzt muss er aufpassen, dass kein Fotograf in der Nähe ist, wenn er sich eine seiner geliebten Zigarren anzündet. Sonst ist er gleich der Großkotz aus Berlin.

Vom Juso-Revoluzzer zum glatten Polit-Profi, nicht alle sehen das als Aufstieg. Doch am Stehtisch im Landtag ist man milde. Die ewige Machtskepsis sei ein "Gendefekt der SPD". Der Unmut über Pronold speise sich vielmehr aus dem allgemeinen Frust in der Partei. Einer muss ja schuld sein, dass es bei der SPD nicht weitergeht, und Pronold mache es eben schon so lange. "Das ist sein Dilemma." Johanna Uekermann sieht ein ganz anderes. "Wir müssen in Bayern unser linkes Profil mehr schärfen", sagt sie. Uekermann ist Bundesvorsitzende der Jusos, wo Pronold gern mal als "zahmer Stubentiger" bezeichnet wird. Und es könnten bald noch viel schlimmere Ausdrücke kursieren. Die Jusos fordern für Uekermann einen aussichtsreichen Platz auf der Bundestagsliste. Sie kandidiert ausgerechnet in Pronolds Bezirk Niederbayern, der jetzt schon drei Abgeordnete stellt. Über noch einen werden die Bezirksfürsten nicht glücklich sein. Es ist Pronold, der mit ihnen über die Listenplätze verhandelt. Er gilt nicht als Vorkämpfer für Uekermann, unwahrscheinlich, dass sie einen guten Platz bekommt. Das bedeutet wohl eine Kampfkandidatur von Uekermann bei der Listenaufstellung am 10. Dezember und neue Vorwürfe an Pronold. Weit weg ist seine Wahl dann nicht mehr.

Programmkonferenz der Bayern-SPD

Generalsekretärin Natascha Kohnen als neue SPD-Chefin oder doch wieder Florian Pronold (rechts)? Fraktionschef Markus Rinderspacher schweigt dazu.

(Foto: Daniel Karmann)

"Ich konnte aus dem persönlichen Angriff keine Kritik entnehmen, die mich inhaltlich nach vorne gebracht hätte."

Es ist fast elf Uhr nachts in Würzburg. Pronolds Chauffeur wartet. Das Licht auf der Rückbank schimmert bläulich. Pronold nimmt seine Krawatte ab, fädelt sie in die Schlaufe auf der Rückseite, mal ganz locker. Was hat er eigentlich gelernt aus seiner letzten Wahlschlappe? "Ich konnte aus dem persönlichen Angriff keine Kritik entnehmen, die mich inhaltlich nach vorne gebracht hätte", sagt Pronold. Er macht so weiter wie bisher. "Politik heißt nicht Revolution, sondern Millimeterarbeit." Außerdem sei er doch selber ein Linker, zitiere sogar Rosa Luxemburg. Als Linker aber nicht gestalten zu wollen, das sei "unpolitisch". Mitregieren ist das Ziel, in Bayern wie im Bund. Wenn es inhaltlich passt, auch mit der CSU. Genau der Satz hatte ihm damals die Kampfkandidatur eingebracht.

Diesmal aber sei Pronold "unumstritten", heißt es von der einen Seite. Andere aber prophezeien auch für den nächsten Parteitag im Mai ein Spektakel. Sie hätten da schon jemanden im Blick für eine Kampfkandidatur, Natascha Kohnen, Generalsekretärin und in den Augen vieler das, was Pronold nicht ist: Quereinsteigerin, authentisch, offen, eine gute Rednerin. Kohnen hat gute Chancen, Spitzenkandidatin für die nächste Landtagswahl 2018 zu werden. "Wer Spitzenkandidat ist, muss auch Landesvorsitzender sein", sagt ein Abgeordneter und seufzt: "Endlich Aufbruchstimmung." Aber Streit kurz vor der Wahl? Nicht gut, deshalb werde man Pronold wohl noch einmal "hinnehmen".

Der ist inzwischen bei McDonalds angekommen. Zwei Cheeseburger, einmal Chickenwings. Nicht selten, dass sein Abendessen so aussieht. Er redet vom guten Wohnen, er selbst aber wohnt vor allem im Auto. Acht Termine am Tag sind noch nicht viel. Und das alles für so wenig Anerkennung? Nicht alles sei vergnügungssteuerpflichtig an seinem Job, sagt Pronold. Aber es gebe Sozialdemokraten, die hätten schon ganz anderes ausgehalten: die Widerstandskämpfer im Dritten Reich etwa.

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