SPD nach der Europawahl:Allein unter Irrenden

Nach der Niederlage bei der Europawahl sucht die SPD die Schuld nicht bei sich, sondern beim Wähler.

Christine Burtscheidt

Es ist einer dieser Sprüche, für die der bayerische SPD-Chef Ludwig Stiegler bekannt, manche sagen auch berüchtigt ist. "Es hat immer wieder Irrende in der Arbeiterschaft gegeben", sagt er am Montagmorgen und kommentiert damit die schlimmste aller Nachrichten für die SPD - dass ihr sogar die Stammwähler aus der Arbeiterschaft zur FDP abgewandert sind. Ein flotter Spruch. Dabei steht der SPD das Wasser bis zum Halse.

SPD nach der Europawahl: undefined
(Foto: Foto: ddp, SZ-Grafik)

Elf Stunden vorher hatte dieselbe Nachricht noch den Nerv des SPD-Spitzenkandidaten Wolfgang Kreissl-Dörfler getroffen. Spät abends hatte er es sich soeben auf einem Stuhl in der SPD-Zentrale bequem gemacht, das innere Beben, das das Debakel der SPD bei der Europawahl ausgelöst hatte, war ein wenig abgeklungen. Da erschien die Analyse auf dem Bildschirm, dass die SPD selbst Arbeiter an die FDP verloren hatte. Kreissl-Dörfler sprang auf, langte sich an den Kopf. "Das kann nicht sein, dass die in der Wirtschaftskrise zu den Liberalen überlaufen", rief er. "Wir stehen doch für ein soziales Europa!"

Die Bayern-SPD hat am Sonntag ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegszeit eingefahren. Sie hat an alle verloren, an die FDP, die Linke, die Grünen, die Freien Wähler und an die CSU. In manchen Landkreisen wie in Garmisch-Partenkirchen kam sie nur auf 6,5 Prozent.

Selbst die Genossen tun sich da schwer, noch von einer Volkspartei zu reden. Allein die Geschichtsbücher sind noch Zeugen dafür, dass es einmal anders war. Mit so charismatischen Leuten an der Spitze wie einen Wilhelm Hoegner, dem einzigen SPD-Ministerpräsidenten in Bayern. Oder Intellektuellen wie Waldemar von Knoeringen, Hans-Jochen Vogel oder Peter Glotz, die kräftig in der Bundespolitik mitmischten. Das war einmal. Damals, als die Messlatte der SPD noch bei mindestens 30 Prozent und nicht bei zwölf Prozent lag.

Doch seit zehn Jahren ist die Bayern-SPD im Abwärtstrend, scheinbar unaufhaltsam. Inzwischen sind die Grünen dabei, die altgediente Sozialdemokratie in den Städten, wo sie die ewige zweite Kraft war, abzulösen.Das ist bitter, auch für Stiegler. "Mit so viel Trauergästen hätte ich gar nicht gerechnet", begrüßt er ironisch bei der Pressekonferenz am Tag danach die Journalisten und sagt dann ernst: "Das war in der Tat ein ziemlicher Tiefschlag."

Eine "schonungslose Analyse" forderten die Genossen noch am Abend, als die Augen noch von den Tränen glasig und die Wangen blass waren, doch schon einen Tag später üben sie sich wieder in ihrer größten Kunst, der Verdrängung. Eine Stunde nur hat das Landespräsidium am Montagmorgen beraten, danach tritt das Duo Stiegler und Kreissl-Dörfler vor die Presse und sagt, dass "uns der mobilisierende Drive" fehlte, die Wähler zur Urne zu treiben. Mehr kommt nicht.

Ein bisschen wird noch die CSU kritisiert, dass sie "ihr Revival" einer Personalkampagne zu verdanken habe, die sich auf Ministerpräsident Horst Seehofer und Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg konzentrierte. Auch ist vom "Blutzoll" die Rede, den man in Bayern dafür zahle, dass man im Bund seit zehn Jahren mitregiere; und dass die Lage der SPD als Volkspartei in Bayern stets prekär gewesen sei. Was den Genossen stimmungsmäßig schon alles abverlangt worden sei - "von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt."

Selbstkritik aber gibt es keine. Die SPD hat keinen Fehler gemacht. Die Themen stimmten, das Personal auch. "Da gibt es nicht die geringste Spur der Kritik", sagt Stiegler. Am Ende also kann es nur mehr der Wähler gewesen sein, der nicht verstanden hat, wo er zu seinem eigenen Wohl das Kreuz zu machen hat. "Wenn die Arbeitnehmer erstmal die Krise am eigenen Leib verspüren, schaut alles ganz anders aus", sagt Stiegler.

Noch immer herrscht das Prinzip Hoffnung. Man gibt sich kämpferisch und glaubt im Herbst mit einem Frontalangriff auf Union und FDP Stimmen zu holen: "Eine schwarz-liberale Horrorkombination ist eine Gefahr für den Sozialstaat und das Bildungsland", beschreibt Stiegler die Devise. Sonst herrscht Ratlosigkeit. "Tjaaa!", sagt SPD-Landtagsfraktionschef Franz Maget, der sich rechtzeitig zu den Hochrechnungen am Sonntag in den Flieger nach Berlin verabschiedet hatte, "bei Europawahlen steht die SPD immer schlecht da."

Wer an diesem Tag eins nach dem Debakel die Zukunft der Partei sucht, muss sich an die Jugend halten. Die Jusos fordern "personelle und inhaltliche Konsequenzen". Der designierte Parteichef Florian Pronold stimmt zu, meint aber: "Nur neue Köpfe reichen nicht." Vielleicht wird er sich ja demnächst mit Axel Berg zusammensetzen. Der Münchner Bundestagsabgeordnete, der es zuletzt in Bayern als einziger vermochte, das Direktmandat zu holen, sagt am Wahlabend, als sich alle ihre Wunden lecken: "Wir müssen bürgernäher werden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: