Bayern-SPD zu Koalitionsverhandlungen:„Ich habe Kopf- und Bauchschmerzen mit Merz – und die Füße tun mir auch weh“

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Soll die SPD mit der Union koalieren? An der Parteibasis bläst der Wind heftig.
Soll die SPD mit der Union koalieren? An der Parteibasis bläst der Wind heftig. (Foto: Stefan Boness/IPON/SZ Photo)

Eine Koalition der SPD mit der Merz-Union stößt bei den Sozialdemokraten auf wenig Begeisterung. So wenig, dass eine Koalition an einem Mitgliederentscheid in der SPD scheitern könnte? Nachgefragt an der SPD-Basis in Bayern.

Von Olaf Przybilla, Jonas Strehl und Max Weinhold

Eine Koalition der SPD mit der Merz-Union? Direkt nach der Bundestagswahl waren vor allem aus der Bayern-SPD prominente Stimmen zu hören, die starke Vorbehalte gegen einen erneuten Eintritt der Sozialdemokraten in eine Bundesregierung äußerten. Könnte die sogenannte große Koalition gar an einem Mitgliederentscheid in der SPD scheitern? Die Süddeutsche Zeitung hat sich an der Basis der Bayern-SPD umgehört.

Anil Altun, Co-Vorsitzender der Nürnberger Jusos, sieht die SPD in einer „äußerst schwierigen Lage“. Man habe die Bundestagswahl verloren, ganz klar. Stehe nun aber trotzdem wieder vor einer möglichen Regierungsverantwortung. Eine Koalition mit der Union? „Das wird kein Selbstläufer“, warnt Altun. Zumal Friedrich Merz in den Wochen vor der Wahl „eine scheiß Vorlage geliefert“ habe für eine Koalition mit der Sozialdemokratie. Auch sehe er die Gefahr, dass die SPD als kleinerer Koalitionspartner weiter Stimmen verlieren könnte bei kommenden Wahlen, womöglich an Grüne und Linke, die als künftige Opposition linke Politik in Reinkultur verkörpern können. Nur, fragt sich Altun: „Was ist denn, wenn wir das nicht tun?“ Wenn also die SPD sich einer Koalition verweigerte? Es drohten Neuwahlen oder eine schwarz-blaue Koalition. Insofern ziehe das Argument der „staatspolitischen Verantwortung“ seiner Beobachtung nach auch in der Jugendorganisation der SPD, den Jusos. Der im Raum stehende Mitgliederentscheid? „Ich glaube, dass die Mitglieder das mehrheitlich auch so sehen werden und sich fragen: Was ist denn die Alternative?“, sagt Altun.

„Es wird nichts Anderes übrig bleiben“, sagt Maria Lell zu einer Koalition mit der Union. Wenn ihre Partei nein sage, gebe es wohl Neuwahlen, mutmaßt die Schriftführerin des SPD-Stadtverbandes Schwandorf. „Und das will ich auf keinen Fall. Die zwei sollen sich jetzt zusammenraufen.“ Diese Stimmung habe sie auch kürzlich bei einer Sitzung des Kreisverbandes Schwandorf-Land erlebt, wo sie Frauenbeauftragte ist: „Wir müssen diese Koalition zustande bringen.“ Lell, 2020 in die Partei eingetreten, ist zuversichtlich, dass das gelingt – unter bestimmten Voraussetzungen. „Auf jeden Fall ein Tempolimit auf der Autobahn“ sollten die SPD-Verhandlungsführer in den Gesprächen mit den Unionsvertretern durchsetzen, sagt die 67-Jährige, das sei das Einfachste, um den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. Und auch an ihre Parteifreunde hat sie Erwartungen. Es müsse, vor allem digital, um junge Menschen zu erreichen, viel besser kommuniziert werden, „was ist auf Anstoß der SPD passiert“, um als Partei nicht so unsichtbar zu sein wie in den Merkeljahren.

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„Wir stecken in einer Zwickmühle“, sagt Anja König, SPD-Stadträtin in Landshut und bayerische Co-Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 (DL21). „Wir sind abgewählt, die Opposition würde uns nicht schaden“, aber man sei sich der staatspolitischen Aufgabe „absolut bewusst“. Deshalb müsse die SPD „eventuell gegen unsere innerste Einstellung“ eine Koalition mit der Union bilden. Aus Sicht von König und des D21, einer linken Parteiorganisation mit etwa 250 Mitgliedern im Freistaat, sollten die Genossen dabei auf keinen Fall zu weit von ihren Positionen abrücken. Das Forum hat gerade eine Liste mit neun aus seiner Sicht unverhandelbaren Forderungen für die Koalitionsbildung beschlossen, darunter 15 Euro Mindestlohn, eine Reform der Schuldenbremse, eine höhere Erbschaftssteuer und ein kategorisches Nein zu jeder Zusammenarbeit mit der AfD. So etwas wie die „unsägliche Abstimmung“ zur Migrationspolitik im Bundestag „darf einfach nicht wieder passieren“, sagt König. Und wenn die SPD nicht all diese Forderungen durchsetzen kann – wie würden die Parteilinken dann bei der Mitgliederbefragung votieren? „Es würden sicherlich viele von uns nicht dafür stimmen.“

Manfred Paul, SPD-Chef im unterfränkischen Kitzingen, hält eine Koalition mit der Union nicht für wünschenswert: „Weil da ziehen wir wieder den Kürzeren.“ Notwendig aber sei sie allemal: „Wer jetzt den Knall nicht gehört hat, dem ist nicht mehr zu helfen.“ Einfach allerdings werde die Koalitionsbildung ganz sicher nicht: „Der Merz macht’s uns Sozialdemokraten nicht einfach.“ Erst die Bundestagsabstimmung mit der AfD. Dann „sein Wort von den linken Spinnern“. Jetzt noch die 551 Fragen der Union zu den Nichtregierungsorganisationen, bei denen Paul „die Wortwahl zum Teil an die AfD“ erinnere. Und trotzdem sei nun „keine Zeit für linke Utopien, sondern für pragmatische Lösungen“. Ob ein SPD-Mitgliederentscheid einer Koalition noch gefährlich werden könne? Glaube er nicht. „Es werden viele sagen: Ich habe Kopf- und Bauchschmerzen mit Merz – und die Füße tun mir auch weh.“ Gleichwohl gehe er davon aus, dass sich genügend „Realos in der SPD“ fänden, die am Ende für eine Koalition mit der SPD stimmten.

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Eigentlich müsste die SPD wieder Stärke in sich selbst finden, sagt Veronika Peters, SPD-Vizechefin im Ingolstädter Stadtrat. Die Partei sei nicht mehr als Volkspartei erkennbar, sie habe sich angepasst, ihren Kern verloren und müsse sich wieder klarer definieren. Für Sondierungsgespräche mit der CDU/CSU hätte das geheißen: „Dass man nicht zur Verfügung steht“, sagt Peters, „dass man einfach mal so klare Kante zeigt, dass es schon fast weh tut.“  Angesichts der politischen Großwetterlage, angesichts von Trump, Putin und der schwachen Stellung Europas, sei sie jetzt aber doch dafür, miteinander zu reden. „Ich glaube, dass Zusammenhalten angesagt ist“, sagt die 68-Jährige. Wie Trump agiere, mache ihr Angst, vielleicht gelte es da doch, mit den wenigen Vernünftigen zu reden, die noch bleiben. Und sich die klare Kante irgendwie anders zu verschaffen. Parteipolitische Scharmützel solle man dabei außen vor lassen, doch hadert Peters mit der Personalie des kommenden Kanzlers: „Ich glaube einfach, dass Merz nicht der Richtige ist.“

„Wegducken ist jetzt auch a Schmarrn“

Für Roland Hof, SPD-Gemeinderatsmitglied im niederbayerischen Stephansposching, steht fest: „Wir sollten Verantwortung übernehmen.“ Schwarz-Rot sei jetzt die beste Option fürs Land. Allerdings hat auch Hof, seit zwölf Jahren SPD-Mitglied, die Sorge, dass die Menschen Erfolge der Koalition – wie in früheren Bündnissen aus Union und Sozialdemokraten – hauptsächlich mit dem Regierungschef und seiner Partei verbinden werden. „Das kennt die SPD schon seit Jahren“, sagt er. Seiner Partei täte es vielleicht besser, in die Opposition zu gehen, vermutet Hof, richtig fände er es trotzdem nicht, „insbesondere in derer Zeit, wo wir momentan san, in derer Lage. Wegducken ist jetzt auch a Schmarrn“, sagt der 54-Jährige. Friedrich Merz nimmt er dessen Äußerungen aus der jüngeren Vergangenheit nicht übel, „dem muss man jetzt Vertrauen geben, fertig“, sagt Hof. Seine Erwartungen für den Koalitionsvertrag? Mehr Engagement für Frieden in Europa, auch die Migrationspolitik müsse „priorisiert“ werden – für eine künftig weniger starke AfD.

Nach den letzten Wochen blickt Katharina Schrader, Vorsitzende der SPD Kempten, mit gemischten Gefühlen auf eine mögliche Koalition. Das In-Kauf-Nehmen von AfD-Stimmen beim Zustrombegrenzungsgesetz, Aussagen von Merz über „linke und grüne Spinner“ – all das erschwere eine gute Grundhaltung bei den Gesprächen. Dass die Gespräche jetzt laufen, findet sie gut. „Ich hoffe einfach, dass die Gruppe der SPD unsere Punkte aus dem Wahlkampf gut einbringen kann“, sagt die 43-Jährige. Beide Seiten müssten nun „ein bisschen verbal abrüsten“. Die Stärke der AfD dürfe kein Grund sein, allen Forderungen der Union nachzugeben. „Es muss schon auch eine sozialdemokratische Handschrift mit erkennbar sein.“ Wichtig ist für Schrader, dass die SPD-Basis eingebunden wird. Denn diese müsse jeden Tag in Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern „den Kopf hinhalten“. Da helfe es nichts, wenn der Parteivorstand und die Landesvorstände etwas zustimmten, das keinen Rückhalt bei der Basis vor Ort habe.

Inge Aures war mal Landtagsabgeordnete, jetzt ist sie Kreisvorsitzende der Kulmbacher SPD. Eine Koalition mit der Union? „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, sagt sie. Werde sich die SPD als kleinerer Partner an einer Bundesregierung beteiligen, sei bereits abzusehen, dass die Zustimmung zu ihrer Partei wohl weiter abnehmen werde. Womöglich werde man sogar „untergehen“. Deshalb sei sie in den Tagen nach der Bundestagswahl maximal skeptisch gewesen. Seit Freitag aber – nach dem Trump-Eklat im Oval Office – habe sich ihre Haltung geändert: Seither habe sie „richtig Angst, was da auf uns zukommt“, sagt Aures. Sie plädiere deshalb nun für eine rasche und handlungsfähige Regierung. „Weil: Die Welt hat sich verändert.“ Verstimmt sei sie freilich immer noch über Markus Söder. Der habe vor der Bundestagswahl nicht in erster Linie die SPD heruntergemacht – diese aber auch. Und bekomme sich seither kaum mehr ein zu betonen, dass die Sozialdemokratie historisch ja stets Verantwortung übernommen habe. Das aber habe auch schon vor der Wahl genau so zugetroffen. Dergleichen mache sie wütend.

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