Süddeutsche Zeitung

Politik in Bayern:Und dann kommt der Arbeitskanzler

Die SPD nominiert Landeschef Florian von Brunn zum Spitzenkandidaten für die bayerische Landtagswahl, bei der die Genossen trotz Umfrage-Tief Markus Söder ablösen wollen. Kanzler Olaf Scholz spielt aber nicht gerade den Motivator und zieht nur nüchtern Bilanz - viel gejubelt wird trotzdem.

Von Johann Osel

Gerade noch hat Dieter Reiter, der Münchner SPD-Oberbürgermeister, erzählt, wovon er nachts so träumt. Da gehe er, "wenn ich übermütig werde", von seinem Rathaus durch den Hofgarten hinüber zur bayerischen Staatskanzlei, wo Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sitzt: Und dort herrsche dann hektische Betriebsamkeit: Weil es aufwendig sei, die Büros zu räumen, die Altlasten aus 60 Jahren zu entsorgen, "den ganzen Filz" und die Strauß-Devotionalien, die Aktenvernichter "rattern". Und weil dann ein SPD-Ministerpräsident dort einziehe.

So berichtet es Reiter dem Parteitag im Münchner Osten am Samstag, der ein erster "Auftakt" sein soll für die bayerische Landtagswahl im kommenden Jahr - mit der Nominierung von Parteichef Florian von Brunn als Spitzenkandidat und dem Besuch des Bundeskanzlers. Olaf Scholz als Motivator, so war es zuvor zu hören in der Partei, auf dass im Freistaat auch das gelingen möge, was die SPD 2021 im Bund schaffte: Aus dem Belächelt-Werden wegen des Machtanspruchs tatsächlich einen Regierungswechsel zu machen.

Und dann kommt Scholz, die Delegierten springen auf und applaudieren. Es kommt aber gar kein Wahlkämpfer, fast wirkt es, als hätte man dem Kanzler vergessen Bescheid zu geben, dass in Bayern 2023 gewählt wird. Es kommt ein Arbeitskanzler, der in aller Ruhe Regierungsbilanz zieht. Scholz sichert den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen die volle Unterstützung beim Abfedern der hohen Energiepreise zu. Das sei die Botschaft, sagt er: "Es ist alles dafür getan, dass wir sie unterstützen können. Und wir werden es tun." Strompreisbremse, Gaspreisbremse, der am Freitag im Bundestag beschlossene Stabilisierungsfonds mit 200 Milliarden Euro würden dazu beitragen, "damit wir gemeinsam durch diese Zeit kommen". Seine Regierung habe etwa die Gasspeicher gefüllt, die SPD sei "die Industriepartei", sie stehe für "Respekt" für alle in der Gesellschaft.

Scholz gelingt das Kunststück - in der Hauptrede bei einer Oppositionspartei -, kein einziges Mal die Landtagswahl direkt zu erwähnen. Und kein einziges Mal den Namen Markus Söder. Es ist eine Ansprache, die er wohl wortgleich bei einem Arbeitgeber- oder Gewerkschaftertreffen irgendwo in Deutschland hätte halten können. Tosenden Applaus gibt es dennoch, wenngleich mancher Teilnehmer auf Nachfrage befindet, dass die Rede "weniger hanseatisch" auch nicht schlecht gewesen wäre. Selbst Brunn wird nur einmal namentlich genannt von Scholz. Am Ende, zur Überleitung.

Der Landes- und Fraktionschef der Bayern-SPD attackiert dann dafür Markus Söder, wirft der CSU jahrzehntelange Versäumnisse unter anderem in der Energie-, Bildungs-, Sozial- und Wohnungspolitik vor. In zentralen Bereichen scheue sich der Ministerpräsident davor, Verantwortung zu übernehmen, daher müsse die SPD dies tun. Er wolle zum Beispiel, "dass Bayern weltweit ein Vorbild ist für Klimaschutz und Energiewende".

Brunn, im Landtag als Wadenbeißer vom Dienst bekannt, hält unterm Strich jedoch eine dezente Rede; vielleicht will er ein bisschen Scholz kopieren. Renate Schmidt, die altvordere Sozialdemokratin, die in Bayern in den Neunzigerjahren 30 Prozent holte, trägt auf der Bühne schließlich noch mal den gewünschten Ablauf des Wahlkampfs 2023 vor: Sie wisse, "dass uns manche für deppert halten", den Machtanspruch zu formulieren. Doch bei der Nominierung von Scholz als Kanzlerkandidat, damals im Umfragetief bundesweit, sei es genau so gewesen. Und jetzt hocke Scholz hier, als Bundeskanzler.

Die jüngste Umfrage: nur zehn Prozent

Dass man Kanzlerpartei ist, hat der darbenden Sozialdemokratie im Freistaat erst mal einen Push gegeben. Zur Bundestagswahl trugen die Genossinnen und Genossen in Bayern 18 Prozent bei, danach zeigte eine Landesumfrage gar mal 20 Prozent, später immerhin solide 14, 15. Vergessen wirkte schon das Landtagswahldebakel von 2018: 9,7 Prozent, fünftstärkste Kraft statt Oppositionsführerin. Da kamen auch die Gedanken auf, dass es für eine Ampel in Bayern, die Ablösung der CSU reichen könnte - "zum Greifen nahe", frohlockte Brunn damals.

Der jüngste BR-Bayerntrend verkündete nun wieder glatte zehn Prozent, kurz davor wiesen Umfragen auch mal nur einstellige Zustimmungswerte aus. Auch kein struktureller Kanzlereffekt nach 2021 ist geblieben, viele Wiederbelebungen von Ortsvereinen etwa oder neue Mitglieder. Die Bayern-SPD hat eine "demografisch bestimmte Entwicklung", räumt auch Brunn ein. Heißt: Ältere Genossen sterben, Nachwuchs gleicht das nicht aus. Das ist keine ideale Ausgangsbasis für 2023, vor allem im Vergleich zu den Grünen, die Zulauf und Expansion vermelden können.

Von all dem lässt sich der Parteitag nicht betrüben, es wird im Halbminuten-Takt geklatscht, egal bei wem. Auch bei den Unterstützern für Brunns Kandidatur, und es gibt ausschließlich Befürworter. Ergebnis seiner Wahl am Ende: 93 Prozent. Zu Brunns Fürsprechern zählt auch Ronja Endres, seine Co-Parteichefin. Bis heute vertreten viele in der SPD die Meinung, dass nicht Brunn und Endres bei der Vorsitzwahl damals gewonnen haben, sondern das Konzept Doppelspitze. Dass Brunn die Gewerkschafterin Endres also brauchte im Team. Endres schaffte es als Landesvorsitzende aber kürzlich nicht, in der Oberpfalz einen Stimmkreis zu ergattern.

Dennoch gibt sie auf dem Parteitag die Einpeitscherin, es ist die wuchtigste Rede des Tages. Sie sagt, dass in einem Jahr Bayern "endlich die Chance auf eine soziale Politik" bekommen werde, "wir treten nicht nach unten, wenn die Zeiten nicht rosig sind". Die SPD habe den Regierungsanspruch und "heute wählen wir den, der mit uns und für uns nach vorne geht": Florian von Brunn. Der übrigens bei ihm zu Hause, wie Endres schildert, ein Eichhörnchen "mit extra gekauften Haselnüssen füttert" und ihr, wenn sie nicht gut drauf sei, Katzenvideos zuschicke.

Abschluss-Pressekonferenz des Parteitags mit Scholz und Brunn. Vielleicht ein persönliches Wort für den frisch Nominierten? Der Spitzenkandidat habe "die richtigen Konzepte", sagt der Kanzler, nichts Persönliches. Zumindest: "Alles Gute!"

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