Bundestagswahl:Die Bayern-SPD schwankt zwischen Elend und Hoffnung

Lesezeit: 4 Min.

In Bayern ist die SPD bei vergangenen Wahlen in die Einstelligkeit gerutscht. Kurz vor der Bundestagswahl schöpft die Partei neue Hoffnung. (Foto: Johannes Simon)

Der Streit um die Brandmauer zur AfD hat den Wahlkampf der Sozialdemokraten belebt, viele Menschen treten der Partei im Freistaat bei. Kommen die Genossen raus aus ihrer Misere? Eine Reportage.

Von Thomas Balbierer

Manchmal kommen Geschenke unverhofft. Am vergangenen Mittwoch saß Ronja Endres im ICE von Berlin nach München, als ein Zugbegleiter sie ansprach. „Du bist doch die Ronja von der SPD“, habe er gesagt und ihr einen Kaffee spendiert. „Eigentlich trink’ ich gar keinen Kaffee“, sagt Endres, Chefin der Bayern-SPD. „Aber ich wollte auch nicht ablehnen.“ Deshalb sei sie jetzt ein wenig aufgeputscht, sagt Endres bei einem Treffen etwas später am Tag.

Mit Überraschungen und deren aufputschender Wirkung macht die SPD dieser Tage ja einige Erfahrung. Seit CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz Ende Januar im Bundestag Asylverschärfungen mit den Stimmen der AfD durchdrücken wollte, sind die Sozialdemokraten elektrisiert. Von einem Geschenk will Endres zwar nicht sprechen, sie befürchtet einen „Paradigmenwechsel, der die AfD normalisiert“. Doch gerade deshalb gebe es nun einen „Motivationsschub bei unseren Wahlkämpfern“. Innerhalb von vier Tagen habe die Bayern-SPD 160 neue Mitglieder gewonnen, sagt Endres. Ein Hoffnungsschimmer für die entkräftete Sozialdemokratie im Freistaat.

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Das Zusammenspiel von Union und AfD, das Merz zuvor ausgeschlossen hatte und das die ehemalige CDU-Kanzlerin Angela Merkel falsch nannte, nutzt der SPD als Argument gegen den CDU-Chef: „Merz kann es nicht“, sagt Endres, er habe ohne Not ein Tabu gebrochen. „Scholz ist die verlässliche Alternative.“

Das Drama im Bundestag hat die bayerischen Sozialdemokraten wie ein Koffeinkick wachgerüttelt. An jenem Freitag, an dem das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union trotz Stimmen der AfD im Bundestag knapp scheiterte, füllte sich im Regensburger Marinaforum der Saal mit 500 Gästen. Die Leute waren gekommen, um Olaf Scholz zu sehen. Doch der saß kurz vor Veranstaltungsbeginn noch immer im Bundestag. Gebannt verfolgten die Anwesenden auf Handy-Livestreams, was in Berlin geschah. „Wir sind ein demokratisches Land“, sagte eine junge Frau, die in der Warteschlange am Einlass stand. „Ich will nicht, dass das kaputtgeht.“ Obwohl der Kanzler abends mit anderthalb Stunden Verspätung auftrat, blieb der Saal voll. Wer wollte, konnte an diesem Abend ein Momentum spüren.

In Bayern ist die SPD in die Einstelligkeit abgerutscht

Die SPD kann einen Wachmacher gut vertragen, zumal in Bayern. Hier ist sie bei den vergangenen Wahlen in die Einstelligkeit abgerutscht. Seit der Landtagswahl 2023 ist sie mit 8,4 Prozent die kleinste Fraktion im Parlament. Bei der Europawahl 2024 sah es mit 8,9 Prozent nicht besser aus. Und in der letzten BR-Umfrage zur Bundestagswahl kam die SPD auf zehn Prozent in Bayern – acht Punkte weniger als beim Scholz-Sieg 2021. Es sind Zahlen des Schreckens.

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Die Bayern-SPD hat viele Baustellen: ständige Personalquerelen, eine überalterte Anhängerschaft und eine fast 70-jährige Abstinenz von der Macht. Das größte Problem aber lässt sich mit dem Namen Renate Schmidt erklären.

Nein, die langjährige Bayern-SPD-Chefin ist natürlich nicht das Problem, ganz im Gegenteil: Ihr Name fällt in der Partei oft, wenn die Rede von einer „Leuchtfigur“ ist. So eine fehlt schmerzlich. Schmidt war als Bundesfamilienministerin deutschlandweit bekannt, ihre Prominenz strahlte auf die Bayern-SPD ab. Das Tragische: Ihre Amtszeit als Bundesministerin endete 2005, vor 20 Jahren. Seitdem ist es den bayerischen Sozis nicht gelungen, auch nur eine halbwegs prominente Person aufzubauen. Wem fällt, kleiner Test, auf Anhieb der Name des bayerischen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl ein? Eben.

Aus eigener Kraft geht bei der SPD also wenig. Sie muss im Wahlkampf auf äußere Umstände hoffen, die Schwung verleihen. Die Debatte um das Bröckeln der Brandmauer zwischen Union und AfD war so ein Aufputschmittel. Dreht sich noch was?

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Eine Woche nachdem sich Merz erstmals mit Stimmen der in Teilen rechtsextremen Partei durchgesetzt hat, steht Saskia Esken in der Stadthalle von Germering bei München. Bei dem Termin soll es vor allem um Frauenpolitik gehen, die Co-Chefin der Bundes-SPD schlägt aber schnell den Bogen zum Lieblingsgegner: Sie zitiert einen Satz von Merz, der über die gleichmäßige Aufteilung der Bundesministerien auf Männer und Frauen sagte: „Wir tun damit auch den Frauen keinen Gefallen.“ Im überwiegend weiblichen Publikum ruft jemand „Buh“. So ein Satz sei „ungeheuerlich“, sagt Esken. Er zeige ein überkommenes Frauenbild. „Dieser Mann darf nicht ins Kanzleramt einziehen!“

„Ich verstehe diese Diskussion überhaupt nicht“

Nichts scheint SPD-Leuten dieser Tage leichter zu fallen, als politische Themen so zu destillieren, dass am Ende hochprozentige Merz-Kritik herauskommt. Ob die SPD bei der Bundestagswahl davon profitieren wird, ist offen. In Umfragen ist bislang kein Effekt erkennbar, das AfD-Drama hat der Union nicht geschadet. Derweil protestieren bundesweit Hunderttausende gegen rechte Politik, zuletzt in München. Ronja Endres sagt zuversichtlich: „Wir sind für unseren Schlussspurt bekannt.“

In Germering sitzt jedenfalls ein Paar im Publikum, das vom Rettet-die-Brandmauer-Kurs nicht überzeugt ist. „Ich verstehe diese Diskussion überhaupt nicht“, sagt Peter Seige, 81. Er und seine Frau Hella, 77, sind keine SPD-Wähler, sie beschreiben sich als konservative Bayern – was das im Land der CSU heißt, ist nicht schwer zu erraten. Trotzdem besuchen sie regelmäßig Veranstaltungen aller Parteien, links wie rechts. „Die Einzigen, die von dieser Debatte profitieren, sind die von der AfD“, sagt Seige. Er findet es falsch, die AfD aus dem demokratischen Prozess auszuschließen. Bei der Migration hat das Ehepaar den Eindruck, dass sich die SPD „um das Thema herumdrückt.“

Migration als „Mutter aller Probleme“? „Einer der dümmsten Sätze, die je in der Politik ausgesprochen wurden“, sagt Esken

Dabei wird Esken in Germering ziemlich deutlich. Horst Seehofers Satz, wonach Migration „die Mutter aller Probleme“ sei, kritisiert die SPD-Chefin hart. „Einer der dümmsten Sätze, die je in der Politik ausgesprochen wurden“, sagt sie. Man dürfe in der Migration nicht immer nur das Schlechte sehen. Aber ja, sagt Esken, die Zuwanderung müsse kontrolliert ablaufen, „deswegen haben wir Grenzkontrollen eingeführt“. Sie warnt vor einem Klima, „das sich gegen Migrantinnen und Migranten wendet“.

Als eine Frau, seit 52 Jahren SPD-Mitglied, wissen will, ob man angesichts aller Konflikte eine Koalition mit der Union nicht ausschließen muss, wiegelt die Parteichefin ab. „Darüber machen wir uns heute keine Gedanken.“

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