Sozialpolitik:Wenn Fürsorge plötzlich endet

Ehemalige Heimkinder müssen mit 18 Jahren oft ohne Unterstützung zurechtkommen. Der Verein Careleaver bietet Hilfe an

Von Dietrich Mittler

Für die Mehrheit der Heranwachsenden in Bayern gilt, dass sie sich auch nach dem Erreichen der Volljährigkeit bei Problemen vertrauensvoll an ihre Eltern wenden können - zumindest, um sich bei ihnen Rat einzuholen. Etliche profitieren auch vom "Hotel Mama", sparen sich so hohe Ausgaben für Miete und Unterhalt. Von den Strapazen bei der Wohnungssuche ganz zu schweigen. Völlig anders aber stellt sich die Situation für jene dar, die in Heimen oder bei Pflegeeltern groß werden und mit dem 18. Geburtstag plötzlich vor einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen. Mit deren oftmals sogar existenziellen Sorgen beschäftigte sich am Donnerstag der Sozialausschuss des Landtags.

Angestoßen durch einen Antrag der Grünen-Sozialpolitikerin Kerstin Celina, waren zwei Expertinnen eingeladen, die das Problem beleuchten sollten. Petra Rummel vom Fachverband für die Erziehungshilfe in katholischer Trägerschaft deckte die sozialpädagogische Seite ab. Alexandra van Driesten, selbst ehemaliges Heimkind, gab Einblicke, wie es den Betroffenen geht, wie sie sich fühlen und welche Lösungen sie sich von der Politik erwarten. Klar ist beiden Expertinnen: Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe werden nur selten über das 18. Lebensjahr hinaus verlängert - eine Nachbetreuung sei "zeitlich und im Umfang stark begrenzt".

"Mit achtzehneinhalb Jahren war auch meine Jugend vorbei", sagt Alexandra van Driesten, nun 33 Jahre alt. Zwei Fragen genügten ihr, um die Sozialpolitiker im Ausschuss einzubinden: "Wer hat selber schon Kinder?" und "Würden Sie die mit 18 vor die Tür setzen?" Genau das aber passiere vielen jungen Erwachsenen, die in Heimen, Wohngruppen oder Pflegefamilien groß gezogen wurden, weil die eigenen Eltern ihren Pflichten nicht nachkamen.

Vor sechs Jahren hat die mittlerweile mitten in ihrer Promotion steckende Münchnerin mit Gleichgesinnten den Verein "Careleaver e. V." gegründet. Frei übersetzt geht es hier um Menschen, die den Bereich der Fürsorge verlassen - so wie das einst auch Driesten tun musste.

Anfangs seien die Betroffenen meist sogar froh, endlich selbständig Entscheidungen treffen zu können, stellte Driesten klar. "18-Jährige denken oft, sie könnten schon alles selber. Aber nach zwei, drei Jahren kommt dann das böse Erwachen: Sie sind völlig überfordert", sagte sie. Von diesen jungen Menschen werde aber deutlich mehr erwartet als von ihren Altersgenossen: Sie sollen schneller auf eigenen Beinen stehen, müssen ohne Unterstützung für sich eine Wohnung finden, den Einstieg ins Berufsleben organisieren, sich selbst im Behördendschungel zurechtfinden, wenn es um mögliche Hilfsangebote für junge Erwachsene geht. Petra Rummel spricht hier vom "Bermuda-Dreieck zwischen verschiedenen Rechtskreisen".

Driesten ihrerseits betonte, dass sich viele staatliche Hilfsangebote "gegenseitig ausschließen". Gemeinsam mit Rummel appellierte sie an die Politiker, mehr niederschwellige Beratungsangebote zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Behörden tatsächlich ihrem Auftrag nachkommen und Hilfeleistungen - wie vom Gesetz vorgeschrieben - auch über das 18. Lebensjahr hinaus gewähren. Das geschehe im Alltag leider nicht im erforderlichen Maße.

Dass solche Positionen auf Widerstand stoßen können, war den beiden Fachfrauen bewusst. Ein Mitarbeiter des Sozialministeriums widersprach energisch, dass für die von der Jugendhilfe betreuten jungen Menschen mit dem 18. Lebensjahr "plötzlich der Schalter umkippt" und es dann keine Hilfsangebote mehr für sie gebe. "Das ist nicht der Fall", sagte er.

Für die Mitglieder des Sozialausschusses stand am Ende des Fachgesprächs jedoch fest: Es besteht Handlungsbedarf. Einigkeit herrschte auch darin, dass es nicht mehr angehe, dass jenen Jugendhilfe-Empfängern, die sich um Arbeit bemühten, 75 Prozent des Lohns entzogen wird. Auch die CSU-Abgeordneten sehen das so. Darüber freut sich die Grüne Kerstin Celina. "Vor nicht einmal zwölf Monaten war ein entsprechender Antrag von mir abgelehnt worden", sagte sie.

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