Süddeutsche Zeitung

Sozialpolitik:Die Heimpflege wird teurer

  • Die tatsächlichen Kosten der stationären Pflege sind in der Regel höher als der Zuschuss der Pflegekassen.
  • In Bayern lag der finanzielle Eigenanteil an den Heimkosten bereits im vergangenen Jahr über dem Bundesdurchschnitt.
  • Fast 2000 Euro monatlich müssen Pflegebedürftige oder Angehörige selbst aufbringen.
  • Gesundheitsministerin Melanie Huml fordert, dass sich der Bund aus Steuermitteln an den steigenden Kosten beteiligt.

Von Dietrich Mittler

Um Pflegebedürftige und ihre Angehörigen künftig besser "vor einer finanziellen Überforderung" schützen zu können, setzt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) auf "einen Bundeszuschuss aus allgemeinen Steuermitteln". So lasse sich der Eigenanteil der zu pflegenden Menschen und ihrer Nächsten insbesondere bei langen Pflegeverläufen künftig begrenzen. Hintergrund dieser Forderung: Im Freistaat lag der finanzielle Eigenanteil an den Heimkosten bereits im vergangenen Jahr über dem Bundesdurchschnitt.

Das Problem dabei: Die tatsächlichen Kosten der stationären Pflege sind in der Regel höher als der Zuschuss der Pflegekassen. Den Differenzbetrag haben die Pflegebedürftigen selbst tragen - 2018 lag dieser Betrag in Bayern im Schnitt bereits bei 1869 Euro monatlich. Können die Betroffenen das nicht selbst aufbringen, werden sie zum Sozialfall. Ihr Leidensdruck ist oft beträchtlich, und Humls politische Forderung im Augenblick nicht mehr als eine Vision - eine Vision, die auf eine harte Realität trifft: Die finanzielle Belastung der bayerischen Pflegeheimbewohner ist 2019 erneut gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr um 100 Euro, wie die bayerische Landesvertretung vom Verband der Ersatzkassen (vdek) am Donnerstag bekannt gab. Viele Menschen überfordere der zu leistende Eigenanteil so sehr, dass sie auf die sogenannte Hilfe zur Pflege vom Sozialamt zurückgreifen müssen. "In Bayern gibt es mehr als 51 000 Menschen, die auf diese Hilfe angewiesen sind, und das sind mehr als 13 Prozent der Fälle bundesweit", teilte der Verband der Ersatzkassen mit.

Nur in Nordrhein-Westfalen seien noch mehr Menschen betroffen - und zwar 103 000. "Die Kostendynamik der letzten zwei Jahre bereitet uns große Sorgen, denn der Eigenanteil in bayerischen Pflegeheimen stieg von 2018 auf 2020 um nicht weniger als 11,5 Prozent", erklärte Ralf Langejürgen, der Leiter der vdek-Landesvertretung in München.

Wie aber ist es um Senioren bestellt, die nach Alternativen zur Heimversorgung suchen? Hier versprechen Modelle wie das betreute Wohnen oder auch spezielle Wohngemeinschaften - Stichwort Pflege-WGs - Bedingungen, die dem Wunsch entgegenkommen, im Alter möglichst lange eigenständig leben zu können. In Bayern leben aktuell rund 3000 Senioren in 403 ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Zum Vergleich: Mehr als 100 000 Menschen sind im Freistaat in Pflegeheimen untergebracht. Beim betreuten Wohnen liegen der Barmer nur bundesweite Zahlen vor. Demnach haben sich in Deutschland rund 150 000 Menschen für diese Art der Altersunterbringung entschieden.

Der Trend geht hin zu mehr Pflege-WGs und anderen Alternativen zur Heimunterbringung. "Diese neuen Wohnformen erscheinen für Bewohner auch finanziell attraktiv", sagt Claudia Wöhler, die Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern. Dies liegt vor allem daran, dass die Kassen viele Kosten übernehmen müssen, die durch die ambulante Pflege der alten Menschen entstehen. Dadurch werden die Pflegenden und ihre Angehörigen natürlich entlastet. "Häusliche Pflege bringt Anbietern von Pflegeleistungen mehr ein als die Heimpflege", sagt Wöhler. Einfach ausgedrückt liegt das daran, dass Leistungen der Pflegeversicherung im ambulanten Bereich "im großen Umfang mit Leistungen der Krankenversicherung kombiniert werden können", was der Gesetzgeber den Heimen nicht ermöglicht.

In der Folge entstünden bei ambulant versorgten WG-Bewohnern für die Kassen Monat für Monat erhebliche Mehrkosten - je nach Pflegegrad der Versicherten zwischen 368 und 730 Euro im Schnitt. Wöhler betont indes, dass das Problem ein ganz anderes sei. "Wenn ich hohe Ausgaben habe, erwarte ich eine hohe Pflegequalität, die sich auch nachprüfen lässt", sagt sie. Letzteres sei mangels gesetzlicher Vorgaben aber nicht gegeben. Die neuen Wohnformen seien "intransparent und kaum geprüft", bringt es Wöhler auf eine Formel. Zum Schutz der Bewohner müsse jedoch "mehr Transparenz über die Qualität hergestellt werden".

Wöhler hat ihre Kritikpunkte aufgelistet: So etwa gebe es für die neuen Alters-Wohnformen nur minimale Personalvorgaben, meist keine räumlichen Anforderungen, kaum ordnungsrechtliche Prüfungen. Eine Meldepflicht für Pflege-WGs und betreutes Wohnen existiere nur eingeschränkt, Bewohnergremien - vergleichbar dem Heimbeirat - seien meist nicht vorgesehen. Auch Johanna Sell, die stellvertretende Geschäftsführerin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern, wünscht sich mehr Kontrollbefugnis. Die neuen Wohnformen glichen einer "Black-Box". Der Gesetzgeber müsse endlich Qualitätsvorgaben entwickeln, zum Schutz der Bewohner. Es gelte zu verhindern, dass "aus dem Wunsch der alten Menschen nach einem guten Leben ein Albtraum wird".

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SZ vom 21.02.2020/vewo
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