Sozialgericht:Pflegegeld muss bei Tod nicht zurück bezahlt werden

Landtag Bayern

Die frühere Gesundheitsministerin Melanie Huml.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Rückforderung an Angehörige geschieht oft rechtswidrig

Von Dietrich Mittler

Erich Neuhauser kämpft gegen seine Enttäuschung an. Doch die dringt immer noch durch, lässt ihn zynisch werden. "Was das Landespflegegeld angeht", so setzt er an, "hatte meine Frau das Pech gehabt, ein paar Tage zu früh zu versterben." Josephine Neuhauser starb sieben Tage, bevor das Landespflegegeld in Höhe von 1000 Euro auf ihrem Konto eintraf. Ihr heute 79-jähriger Ehemann erhielt in der Folge vom Bayerischen Landesamt für Pflege die Aufforderung, das Geld zurückzuüberweisen. Die Auszahlung sei "zu Unrecht" erfolgt. Laut Gesetz sei der Anspruch auf Landespflegegeld "nicht abtretbar, nicht pfändbar und nicht vererblich".

Erich Neuhauser ist kein Einzelfall. Etliche Menschen, die wie er ihre Lieben zuhause gepflegt hatten, haben solche Bescheide erhalten. Fakt ist: Wenn Pflegebedürftige vor Auszahlung des Landespflegegeldes sterben, wird die Auszahlung verweigert - oder zurückgefordert. Das Sozialgericht München hat nun jedoch entschieden, diese Praxis sei "in vielen Fällen rechtswidrig". "Wenn bestimmte nahe Angehörige mit dem Pflegebedürftigen im Zeitpunkt des Todes mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder wesentlich von ihm unterhalten worden sind", so eine Sprecherin des Gerichts, dann hätten diese Personen als "Sonderrechtsnachfolger" sehr wohl Anspruch auf das vorenthaltene Landespflegegeld. Nach Auffassung der 59. Kammer hat die gängige Praxis "bei den Hinterbliebenen teilweise zu großer Verbitterung geführt". Einer dieser Verbitterten ist Erich Neuhauser. Ihm wurde beschieden, sein Widerspruch sei "unbegründet". Von der Möglichkeit, Klage zu erheben, sah er aber ab. Zu sehr hatte ihn der Tod seiner Frau geschwächt.

Wie eine SZ-Recherche Ende November 2019 ergab, waren nach Angaben der Staatsregierung rund 3500 Bezugsberechtigte gestorben, bevor das Landespflegegeld auf ihrem Konto eintraf. Eine aktuelle Anfrage im Gesundheitsministerium ergab nun am Freitag, dass hier "leider keine Auswertung möglich" sei. Ob die Betroffenen "vor oder nach Bezug der Leistung" verstorben seien, könne "nicht aufgeschlüsselt werden". Überhaupt werde nur in schätzungsweise einem Prozent der Fälle das Landespflegegeld zurückgefordert - so etwa auch "wegen nicht gemeldeten Wegzugs aus Bayern".

Bei Manfred Rott war es die Mutter, die die Auszahlung nicht mehr erlebte. "Sie hatte das Landespflegegeld im Mai 2018 beantragt, die Auszahlung war aber erst im September - einen Monat nach ihrem Tod", sagt er. Das Geld hat er widerspruchslos zurücküberwiesen. Schon deshalb bauen Rott und seine Frau nicht darauf, vom Urteil des Sozialgerichts (Az. S 59 P 138/20 LP) profitieren zu können. Über die Gerichtsentscheidung freut er sich dennoch. "In Zukunft haben vielleicht die Leute nach mir a bissel was davon", sagt er. Ihm gehe es ums Prinzip. Das im April 2018 vom Kabinett auf den Weg gebrachte Landespflegegeld-Gesetz sei "schnell, schnell" rausgeschossen worden - und "ungerecht".

So sieht das auch die Landtags-SPD, die 2020 durchfechten wollte, dass das Pflegegeld auch dann ausbezahlt wird, wenn Antragsteller zwischen der Antragsgenehmigung und der ersten Auszahlung sterben sollten. Die Zahlung müsse in die Erbmasse des Antragstellers übergehen. "Wie üblich, wurde das von den Regierungsfraktionen abgelehnt", sagt Ruth Waldmann, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Dabei sei das Landespflegegeld-Gesetz "mit heißer Nadel gestrickt worden". Die Staatsregierung, so Waldmann, könne "das aktuelle Urteil nun aber zur Gelegenheit nehmen, das Gesetz zu überarbeiten". Dazu sieht die aber derzeit keinen Anlass. Das Gesundheitsministerium, so eine Sprecherin, werde das weitere rechtliche Vorgehen prüfen, "sobald die Urteilsbegründung vorliegt und ausgewertet wurde".

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Im April 2018 hatte die damalige Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) betont, das Landespflegegeld diene auch dazu, jenen "eine materielle Anerkennung zukommen zu lassen", die Pflegebedürftige "bei der Bewältigung ihres schwierigen Alltags unterstützen". Erich Neuhauser empfindet diese Worte als Hohn. Das Gesundheitsministerium wiederum verweist auch jetzt wieder auf die Erfolge: "Für das erste Pflegegeldjahr 2017/2018 wurde das Landespflegegeld rund 340 000 mal ausgezahlt", hieß es - und im zweiten und im dritten Jahr sogar rund 360 000 mal.

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