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Soziale Medien:#bayernklischee

Auf Plattformen wie Instagram posten Touristen die immer gleichen Fotos. Einige Sehenswürdigkeiten werden inzwischen regelrecht überrannt

Postkarten zu verschicken ist längst ein nostalgischer Akt aus vergangenen Zeiten. Die Lieben daheim verfolgen heute live in den sozialen Medien, wo man gerade Urlaub macht. Und alle anderen sehen, wo in Bayern die besten Motive zu knipsen sind. Die Jagd aufs spektakulärste Urlaubsfoto führt in einigen Regionen zu Problemen. Die beliebtesten Flecken in Bayern werden schier überrannt. Eine Auswahl von Motiven, auf die verzichtet werden kann:

1 Für eine spektakuläre Aufnahme auf Instagram begeben sich junge Menschen am Königssee sogar in Lebensgefahr. Was sie anzieht? Die makellose Fotogenität des Königsbachfalls und seiner glasklaren Gumpen am Ostufer. Mehr als hundert Meter stürzt der Bach in den türkis-blauen Königssee. Hunderte Fotos von Instagrammern, die im Bikini am Rand der höchstgelegenen Gumpe posieren, sind auf der Fotoplattform zu finden. Ein ähnlicher Ausflug endete für zwei 21-jährige Sachsen im April tödlich. Sie wollten in einer der unteren Gumpen des Wasserfalls baden. Die heftige Strömung zog sie unter Wasser. Die Retter konnten die beiden Männer nur noch tot bergen. Gerade im Frühjahr entwickelt der Wasserfall durch das viele Schmelzwasser eine enorme Wucht - von außen ist das schwer abzuschätzen. "Der Weg zu den Gumpen ist gefährlich und deshalb auch von der Bergwacht gesperrt", sagt Brigitte Schlögl von der Berchtesgadener Land Tourismus GmbH. Doch auch "Stopp-Lebensgefahr"-Schilder hielten passionierte Instagrammer auf der Suche nach einem sensationellen Selfie nicht ab. "Wir leben scheinbar in einer Gesellschaft, wo solche Verbote nichts mehr zählen", sagt Schlögl. Sie und ihr Team haben sich entschieden, in ihrem eigenen Onlineauftritt die "Instagram-Hotspots" zu ignorieren.

2 Der beliebteste Standort für fotografierende Bambergbesucher ist der Geyerswörthsteg, eine Fußgängerbrücke über die Regnitz. Denn von dort hat man den malerischsten Blick aufs Alte Rathaus. Das kuriose Bauwerk mit dem kleinen, an den Brückenturm angebauten Fachwerkhaus ist auf Instagram das meistverbreitete Motiv aus der Welterbestadt, was eine Suche mit dem Hashtag #bamberg bestätigt, sich aber nicht genau beziffern lässt, weil wenige ausländische Touristen ihre Werke mit #altesrathausbamberg markieren. Dass Bamberg insgesamt sehr fotogen ist, wussten Touristen schon in analogen Zeiten. Ob Instagramnutzer der Stadt zusätzliche Besucher bescheren, ist schwer zu sagen. Unfälle mit Selfiesticks wurden bisher jedenfalls nicht verzeichnet.

3 Die Kirche St. Sebastian im Bergsteigerdorf Ramsau gilt als eine Art Weltidyll, es ist eines der populärsten Postkartenmotive aus Bayern und wurde sogar schon von einem amerikanischen Präsidenten, Dwight D. Eisenhower, gemalt (1960). Die Landschaftsmaler machten das Motiv im 19. Jahrhundert populär, heute sorgen die sozialen Medien dafür, dass der Aussichtspunkt am Steg ein Selfie-Hotspot ist. "Das Kircherl ist instagramability", sagt der Ramsauer Kurdirektor Fritz Rasp und zielt damit vor allem auf die asiatischen Touristen, die von ihren Bussen aus unentwegt zum Steg eilen. Was Rasp wundert: Viele Asiaten wandern vom Kircherl aus durch den Zauberwald, immerhin vier Kilometer, eine Stunde. Und das, obwohl sie auf ihren Europatrips kaum Zeit haben. Aber der Wald ist halt "extrem schee", sagt Rasp.

4 Der Ausblick ist traumhaft, auf vielen Bildern, speziell in der Dämmerung oder im Morgengrauen, wirkt er gar mystisch. Über Wiesen und alte Heustadel wandert der Blick auf den Geroldsee und weiter zu einem dunklen Wald, hinter dem erhaben das Karwendelgebirge thront. Doch diese einzigartige Schönheit ist auch ein Problem. Anton Simon, der ein Gästehaus direkt am See betreibt, wird der Trubel allmählich zu groß. Er zählt Woche für Woche Hunderte Menschen, die hier ihre Fotos schießen. "Die trampeln die Wiesen platt und lassen denn Müll liegen", sagt er. Etliche Hobbyfotografen führen Autos mit fremden Kennzeichen. "Die kommen am Flughafen an, fahren hierher, schießen Fotos und hauen wieder ab." Und dabei parkten sie so, dass man die Wagen auf den Bildern nicht sieht.

5 Polizeikontrollen, hohe Bußgelder und Infokampagnen: Das sind die Mittel, mit denen sie im Oberallgäu den Ansturm auf den Schrecksee einzudämmen versuchen. Der Schrecksee ist ein idyllischer Gebirgssee auf 1813 Metern Höhe in einem kesselartigen Hochtal mitten im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Er liegt zur Gänze jenseits der Baumgrenze und ist von Zweitausendern umgeben. Dank Instagram (#schrecksee) und anderer sozialer Netzwerke ist der Schrecksee Ziel für Digital Natives aus nah und fern. Bei gutem Wetter haben schon bis zu 80 Leute an dem See gezeltet. Dieses Jahr ist etwas weniger los. Womöglich hat sich ja in den sozialen Netzwerken herumgesprochen, dass die Oberallgäuer ihre Naturschutzgebiete auch mit harten Bandagen schützen. Vielleicht ist aber auch nur der eher verhangene Sommer der Grund dafür.

6 Etwa 1,5 Millionen Besucher kamen 2018 ins Allgäu, um sich das Märchenschloss von Ludwig II. anzusehen - und sich vor, in und hinter Schloss Neuschwanstein zu fotografieren. Gut 343 000 Erwähnungen zählt der Hashtag Neuschwanstein, #neuschwansteincastle kommt auf 190 470, #schlossneuschwanstein auf mehr als 88 000. In Schwangau und Füssen leben die Menschen zwar seit Jahrzehnten vom Tourismus, das Gemoser über die "Fremden" gehört dazu. Aber mit jedem neuen Besucherrekord wächst die Sorge vor dem Kollaps. Im Kreisboten schlägt der ehemalige Füssener Bürgermeister Paul Wengert nun vor, die Zahl der Reisegruppen zum Schloss zu begrenzen, um die Stadt zu entlasten. Oben am Schloss betreiben sie längst Massenmanagement, Gruppen werden streng und eng getaktet durchs Schloss geschleust. Aufseher regeln sogar den Zutritt zur Marienbrücke. Wer das Klassikerfoto von sich vor dem Märchenschloss haben will, muss geduldig warten und sich auf der Brücke durch Selfiesticks an die Brüstung drängeln. Der Hit im Fotoportal ist eine Katze vorm Königsschloss mit 5715 Likes in 24 Stunden.

7 Wenn es Probleme gäbe mit den Instagrammern in Rothenburg ob der Tauber, dann wäre das am Plönlein so. Ein schmales Fachwerkhaus mit Brunnen davor, gerahmt von Tor und Turm, spätestens seit Disneys "Pinocchio" gilt das als ikonisches Ensemble dieser sehr deutschen Stadt. Probleme? Vermag Anett Utz, Inhaberin eines Modeladens direkt am touristischen place to be, nicht zu erkennen. Um zehn Uhr früh, wenn die Busse kommen, da stehen sie schon mal in Scharen vorm Laden. "Gerade eben waren 30 Chinesen da", sagt Utz. Aber Ärger und Tumulte? Davon kann keine Rede sein in Rothenburg, findet sie. Der Stadtsprecher Robert Nehr erklärt die Rothenburger Entspanntheit auch damit, dass man dort Besucher gewohnt ist. Bis zu 1,9 Millionen Besucher pro Jahr kommen in eine Altstadt mit 2500 Einwohnern, wer da nicht mit an- und abschwellenden Touristenströmen leben könnte, der hätte ein Problem. In Instagram-Rankings gilt Rothenburg als drittbeliebteste deutsche Kleinstadt, fotografiert aber wurde da schon immer. Und das Plönlein war immer top. Aufpassen müsse man aber darauf, sagt Nehr, dass in den Altstadtgassen nicht halbprivate Innenhöfe als Hotspot angepriesen werden. Oder für besondere Fotografen etwa der Blick von bestimmten Türmen genehmigt wird. Weil den Blick würden dann andere auch wollen. Und sich womöglich in Gefahr begeben dafür.

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SZ vom 23.08.2019 / angu, cws, emo, hak, henz, otth, prz
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