Söder will AKW Isar 1 abschalten:Größtes anzunehmendes Restrisiko

Selbst Atom-Befürworter sagen, das AKW Isar 1 bei Landshut erfülle nicht die gängigen Sicherheitsstandards. Jetzt will Bayerns Umweltminister Markus Söder die Anlage abschalten.

Max Hägler und Christian Sebald

Die CSU will den umstrittenen Reaktor Isar 1 dauerhaft vom Netz nehmen - ein entsprechender Vorschlag des Umweltministers Markus Söder fand nach SZ-Informationen bei der Präsidiumssitzung am Montagnachmittag breite Zustimmung.

Inside Nuclear Power Plant 'Isar 2'

Gleich neben dem mächtigen Kühlturm der Anlage Isar 2 liegt der Atomreaktor Isar 1 - einer der ältesten und umstrittensten in Deutschland. Seit 1979 ist er am Netz - ohne Laufzeitverlängerung müsste er im Laufe dieses Jahres stillgelegt werden. Der Siedewasserreaktor der Baulinie 69 erfüllt längst nicht alle Sicherheitsstandards, die nach heutigem Stand an Atomanlagen gestellt werden.

(Foto: Getty Images)

Das Argument ist eines, das die Atomkritiker schon seit langem vorlegen: Isar 1 werde nicht mehr gebraucht, es gebe schlicht genügend anderen Strom in Deutschland. Den Landshuter CSU-Oberbürgermeister Hans Rampf wird das besonders freuen. Hatte er sich doch den Zorn der CSU-Größen zugezogen, als er im Sommer 2010 die Stilllegung von Isar 1 forderte.

Die überraschende Wendung der CSU-Spitze und wohl auch der Spitze des Betreibers Eon, die am späten Nachmittag bekannt wird, dürfte in Niederaichbach nicht mehr auf ganz großen Widerstand treffen. Der Ort, in dem die Atomanlage von beinahe jeder Kreuzung aus zu sehen ist, profitiert zwar von den 700 Arbeitsplätzen in den Reaktoren Isar 1 und Isar 2.

Doch regt sich seit drohenden Atomkatastrophe in Japan erstmals sanfte Kritik. "Nach diesem Wochenende macht sich auch der Bürgermeister Gedanken, ob das sicher ist", sagt Josef Haselbeck. Die distanzierten Worte drücken wohl aus, wie ungewohnt sie für den CSU-Politiker sind, der über 50 Prozent seiner Gewerbesteuer-Einnahmen von Eon bekommt.

Noch vor Bekanntwerden der CSU-Präsidiumsentscheidung hat der Landshuter Landrat Josef Eppeneder, der bislang klar für Atomkraft war, am Mittag eine Sondersitzung des Kreistages einberufen. Am 19. April sollen Experten des Umweltministeriums und der Betreiberfirma "unmissverständlich" Auskunft geben, ob Unfälle wie in Japan auch in Isar 1 oder Isar 2 denkbar seien. Wenn die Atomkraftwerke nicht sicher genug betrieben werden könnten, "müssen sie vom Netz - und zwar alle", fordert der CSU-Landrat.

An der Anlage selbst ist wenig zu spüren von all dem politischen Trubel. Der Parkplatz ist voll, Lastwagen fahren ein und aus, über den Parkplätzen flirrt es in den Hochspannungsleitungen: Der im Jahr 1988 in Betrieb gegangene Reaktor Isar 2 mit seinem markanten Kühlturm und Isar 1 laufen im Vollbetrieb.

Ein Reaktor mit zahlreichen Schwachstellen

Isar 1 ist eines der umstrittensten Kraftwerke in der Republik, vor allem, weil es eines der ältesten ist. Seit 1979 ist es am Netz, der Siedewasserreaktor der Baulinie 69 erfüllt längst nicht alle Sicherheitsstandards, die nach heutigem Stand an Atomanlagen gestellt werden. Das sagen nicht nur Atomgegner. Das erklären Experten wie Wolfgang Renneberg, der Ex-Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung am Bundesumweltministerium (BMU), und der Physiker Wolfgang Neumann, der etlichen Nuklear-Gremien des BMU angehört hat.

Und das sagt auch der österreichische Sicherheits- und Risikoforscher Wolfgang Kromp. "Die schwerwiegenden Konstruktionsmängel können durch Nachrüstungsmaßnahmen nicht ausgeglichen werden", heißt es in einem Gutachten, das unter Krombs Leitung über Isar 1 und andere deutsche Alt-Reaktoren erarbeitet wurde, und weiter: "Das Design des Reaktordruckbehälters erfüllt nicht die Grundbedingungen der Basissicherheit." Bei schweren Unfällen könnten rasch hohe Mengen an Radioaktivität freigesetzt werden.

Einer der Hauptmängel ist das Reaktorgebäude selbst. Dessen Wände sind nur zwischen 35 Zentimeter und 1,20 Meter dick. Damit sind sie nicht gegen den Absturz eines Flugzeugs ausgelegt. Dabei liegt Isar1 keine 50 Kilometer vom Münchner Flughafen entfernt. Täglich passieren ungefähr 120 Flugzeuge den Meiler in weniger als einem Kilometer Abstand. 1988 stürzte eine französische Mirage nur zwei Kilometer von Isar 1 entfernt in einen Wald. Gleichwohl beteuerten sämtliche bayerischen Umweltminister stets, Isar 1 sei sicher.

Aber auch der Reaktor selbst hat zahlreiche Schwachstellen. Der Sicherheitsbehälter etwa ist sehr viel dünnwandiger als der in modernen Anlagen. Er hat auch ein sehr viel geringeres Volumen. Deshalb könne sich bei einem Störfall, so der Physiker Neumann, sehr schnell ein so hoher Druck aufbauen, dass der Behälter birst. Bei einer Kernschmelze versage er womöglich binnen Minuten mit allen katastrophalen Konsequenzen für die Umgebung. Auch das Lagerbecken für die Brennelemente ist eine Schwachstelle. Es liegt außerhalb des Sicherheitsbehälters im oberen Teil des Reaktorgebäudes und ist daher kaum geschützt.

Isar 1 besitzt auch nur einen Kühlkreislauf, die Rohrleitungen liegen so dicht beieinander, dass man nur sehr schwer an sie herankommt. Auch das Notstromsystem gilt als veraltet. Sinnbild sämtlicher Mängel von Isar 1 sind die vielen, meist feinen Risse, die sich seit der Inbetriebnahme an den Rohrleitungen fanden. Zwar wurden die Rohre permanent erneuert. Doch die Bildung dieser Risse konnte nicht abgestellt werden. Die Rissbildungen machen denn auch den größten Teil der meldepflichtigen Ereignisse in Isar 1 aus. Es gab aber auch andere Störfälle.

In der Gegend hat man von solchen Vorfällen gehört, sie aber meist kleingeredet. "Wer Atomkraft kritisiert, gefährdet Existenzen", sagt eine grauhaarige Frau auf der Straße. Viele arbeiten in den Anlagen, müssen Häuser abzahlen, ihre Kinder gehen hier zur Schule. Doch seit Japan geht in Niederaichbach sehr viel mehr Angst um.

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